Was für ein Theater
Geschichten aus 50 Jahren Städtische Bühnen
Vor einem halben Jahrhundert eröffnete Frankfurt ein modernes Theater, das Oper und Schauspiel erstmals unter einem Dach vereinte. Die „Theaterdoppelanlage“ hat in den vergangenen 50 Jahren vielen Inszenierungen einen Platz geboten, die mal nachdenklich, dann wieder laut und provokant das Publikum herausforderten.
Frankfurt am Main (pia) Der Frankfurter Theaterhimmel hängt voller goldener Wolken. Noch während die Theaterdoppelanlage für Oper und Schauspiel geplant wurde, beauftragte die Stadt drei bedeutende zeitgenössische Künstler damit, Werke für das Foyer zu schaffen. So entstanden das Großgemälde „Commedia dell’Arte“ (1959) von Marc Chagall, die Figur „Knife Edge“ (1961) von Henry Moore und die Deckenskulptur „Wolken“ (1963) von Zoltan Kemeny. Nicht jedem gefiel das. Vor allem die Wolken, die hinter der modernen Glasfront des Baus für die Städtischen Bühnen eine unübersehbare Länge von 116 Metern erreichen, ließen die Frankfurter lästern: „Jetz hänge die aach noch lauter aale Blechbichse unner die Deck!“ Weniger prosaische Gemüter dagegen lieben die Goldwolken für den besonderen Glanz, den sie bei abendlicher Beleuchtung aus dem gläsernen Foyer in die Nacht hinausstrahlen. Damit erging es den Wolken ganz ähnlich wie manchen Bühnenereignissen, die in den vergangenen fünf Jahrzehnten unter ihrem Horizont vorbeizogen: Sie wurden viel gescholten und werden heiß geliebt.
Raus aus der 'Breitwand-Spelunke'
Vor 50 Jahren, am 14. Dezember 1963, wurde die Theaterdoppelanlage der Städtischen Bühnen am heutigen Willy-Brandt-Platz eröffnet. Der Bau, der Oper und Schauspiel unter einem Dach vereinte, machte endlich Schluss mit den Nachkriegsprovisorien bei den Städtischen Bühnen. Schon seit Weihnachten 1951 hatte das Theater zwar wieder einen festen Platz in der Stadt, im wiederaufgebauten Schauspielhaus, das künftig als „Großes Haus“ für Oper und Schauspiel dienen sollte. Doch mehr und mehr beanspruchte die Oper das Große Haus ganz für sich. Das Schauspiel sah sich weiterhin in den Börsensaal abgedrängt, den die Städtischen Bühnen seit 1945 als Behelfsbühne nutzten. Generalintendant Harry Buckwitz, der selbst seine bedeutenden Frankfurter Brecht-Inszenierungen nicht immer im Großen Haus platzieren konnte, begnügte sich nicht damit, den Börsensaal einmal als „Breitwandspelunke“ zu beschimpfen. Er stritt im Interesse des Schauspiels für einen Neubau, den die Stadtverordnetenversammlung bereits 1954 beschloss. Im folgenden Jahr legte die Architektengemeinschaft Apel, Beckert und Becker erste Entwürfe vor: Die neue Theaterdoppelanlage sollte um den bestehenden Kern des Großen Hauses gebaut werden, der durch einen Neubau für das Schauspiel erweitert werden würde. Nach langwierigen Planungen wurde diese Idee in dreijähriger Bauzeit, von 1960 bis 1963, verwirklicht.
Größte Drehbühne Europas
Zur feierlichen Eröffnung des Theaterbaus der Städtischen Bühnen präsentierte sich das Schauspiel auf seiner neuen Bühne mit Goethes „Faust I“ in einer Inszenierung von Heinrich Koch. Im bisherigen Großen Haus nebenan, im alten Schauspielhaus, behielt die Oper ihren nun alleinigen Sitz. Die dortige Bühne war bereits im Zuge des Wiederaufbaus 1951 eigentlich für die Anforderungen des Mehrspartenbetriebs als „doppelte“ Drehbühne konstruiert worden, in der eine normale Drehscheibe (Durchmesser 16 Meter) und eine große Drehbühne (Durchmesser 38 Meter) zu einem variablen System kombiniert sind. Sie ist bis heute die größte Drehbühne Europas.
Die moderne Theaterdoppelanlage, die Opern- und Schauspielhaus mit ihrer Verwaltung, den Probenräumen und Werkstätten zentral zusammenfasste, bietet außerdem noch Platz für eine dritte Bühne. Das Kammerspiel startete am 21. Dezember 1963, nur eine Woche nach der großen Eröffnungspremiere, mit der Uraufführung von Wittlingers „Seelenwanderung“ unter der Regie von Ulrich Erfurth. Als weitere Sparte war auch das Ballett, bis zu seiner Schließung im Jahr 2004, auf der Theaterinsel am heutigen Willy-Brandt-Platz beheimatet.
Von der Prinzessin zur Putzfrau
Generalintendant Harry Buckwitz, dessen Ära mit der Einweihung der Theaterdoppelanlage auf dem Höhepunkt war, hatte noch im Großen Haus 1952 Brechts Oper „Das Verhör des Lukullus“ uraufgeführt. Damit begann er seine Reihe der Frankfurter Brecht-Inszenierungen, die er – gegen alle Proteste – zu einer Zeit herausbrachte, als der Dramatiker wegen seiner politischen Haltung von den bundesdeutschen Bühnen boykottiert wurde. Zu Beginn der Siebzigerjahre dann rumorte es im Schauspiel, als in dem Team um Peter Palitzsch die „Mitbestimmung“ eingeführt wurde, die die traditionell hierarchische Ordnung des Theaterbetriebs auf den Kopf stellte.
Geradezu legendär wurde die Blütezeit der Oper unter Michael Gielen ab 1977. Das Publikum sah sich mit den Opern aus dem klassischen Repertoire in radikalen und oft provokanten szenischen Neuinterpretationen konfrontiert. Zum größten Skandal in der deutschen Theatergeschichte der Nachkriegszeit geriet 1981 „Aida“, deren Titelfigur vom Regisseur Hans Neuenfels von der Prinzessin zur Putzfrau degradiert wurde – woraufhin es unter dem feinen Theaterpublikum zu Schlägereien gekommen sein soll, wenn auch nur im zweiten und dritten Rang. Immer hatten Gielen und sein Team ebenso bedingungslose Feinde wie Fans – bis zum Abschied mit dem letzten Meisterstreich eines fulminanten „Ring der Nibelungen“ in der Inszenierung von Ruth Berghaus 1987.
Opernbrand statt Uraufführung
Bald darauf bedrohte ein unvorhersehbarer Zwischenfall die Theaterdoppelanlage in ihrer Existenz und führte letztlich zu deren bisher umfassendster baulicher Modernisierung. In der Nacht zum 12. November 1987 brach ein Obdachloser in das gerade erst sanierte Opernhaus ein und setzte es – aus Enttäuschung darüber, dass er nichts Essbares fand – in Brand. Das Bühnenhaus wurde fast völlig zerstört. Auf der Bühne blieben von den Dekorationen zu Glucks „Iphigenie“, in denen am Vorabend noch gespielt worden war, nur ein paar Fetzen übrig. Der Eiserne Vorhang, der sich rechtzeitig geschlossen hatte, begann zwar zu glühen, hielt jedoch den Flammen stand und bewahrte den Zuschauerraum wie den gesamten übrigen Bau vor schlimmeren Schäden.
Draußen, auf dem damaligen Theaterplatz, stand der große Komponist John Cage im Overall. Feuerwehrmänner hatten ihn aus einem der Gästezimmer im dritten Stock geholt, und nun sah er fassungslos das Haus brennen, wo kurz darauf eigentlich seine Werke „Europeras 1 & 2“ uraufgeführt werden sollten. Dass unmittelbar nach dem Opernbrand nicht nur Cages Opern herausgebracht werden konnten, sondern der gesamte Bühnenbetrieb weiterlief, war dem Entgegenkommen des Schauspielintendanten Günther Rühle zu verdanken: Für die dreijährige Zeit des Wiederaufbaus zog die Oper auf die Schauspielbühne um, und das Schauspiel wich in das Bockenheimer Depot aus, ein umgebautes gründerzeitliches Straßenbahndepot, das sich seitdem als reizvolle Spielstätte im Frankfurter Kulturleben etabliert hat.
Straßenbahndepot als Spielstätte
Im April 1991 wurde die Oper in ihrem angestammten, auf den neuesten Stand der Bühnentechnik gebrachten Haus wiedereröffnet – ausgerechnet mit einer Inszenierung, die als eine der schlechtesten in die Geschichte der Frankfurter Oper einging. Zur Festaufführung habe der Regisseur Wolfgang Weber Mozarts „Zauberflöte“ inszeniert, so urteilte damals die „Zeit“, „wie die Kreuzung zwischen Oberammergau und Musikantenstadel“. Nach der Wiedereröffnung der Oper musste das in der Zwischenzeit überstrapazierte Schauspiel renoviert werden. Erst 1992 konnten auch Schauspiel und Kammerspiel wieder ihren Betrieb im gewohnten Haus aufnehmen. Allmählich zeigten sich nun die alten Dekorationswerkstätten den Anforderungen des modernen Theaterbetriebs nicht mehr gewachsen. Sie wurden 2007 abgerissen und bis 2010 durch einen Neubau an der Hofstraße ersetzt.
Weltweit an der Spitze
Nur hinter den Kulissen erinnert der jetzige Bau der Theaterdoppelanlage noch daran, dass die Theatertradition in Frankfurt viel weiter zurückreicht, als das jetzige goldene Jubiläum verheißt. Die Keller unter der Opernbühne stammen nämlich aus der Bauzeit des alten Schauspielhauses von 1902, und von einem Innenhof in der Mitte zwischen Oper und Schauspiel lässt sich noch auf das Gemäuer des Vorgängerbaus blicken. Dessen größtenteils erhaltene Fassade allerdings musste 1959 verschwinden, als die Theaterdoppelanlage errichtet werden sollte.
Doch nicht nur in architektonischer Hinsicht wollten die Städtischen Bühnen ein modernes Theater für Frankfurt sein. Auch in künstlerischer Hinsicht waren sie immer auf der Höhe der Zeit. Diesen Anspruch erfüllt die jetzige Intendanz mit Bernd Loebe für die Oper und Oliver Reese für das Schauspiel mit viel Glück und Geschick. Nicht nur nach der Zahl der Vorstellungen – mit 320 Veranstaltungen, davon 186 Opernaufführungen, in der Spielzeit 2012/13 – ist die Oper Frankfurt weltweit an der Spitze. Gerade erst wurde das vielfach ausgezeichnete Haus vom internationalen Magazin „Opera“ zur „Oper des Jahres 2013“ gewählt und gilt damit als die beste Oper der Welt.
Sabine Hock
Zum Jubiläum der Städtischen Bühnen in der Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz erscheint die umfangreiche und mit zahlreichen Fotos illustrierte Festschrift „Ein Haus für das Theater – 50 Jahre Städtische Bühnen Frankfurt am Main“ (Henschel Verlag; ISBN 978-3-89487-732-3). Das Buch ist zum Preis von 29,95 Euro ab Ende September im Opernfoyer und im Buchhandel erhältlich.
Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 10.09.2013