Im offenen Mercedes durch die Stadt

Frankfurtbesuch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy

Vor 50 Jahren, am 25. Juni 1963, besuchte der amerikanische Präsident John F. Kennedy auf seiner Deutschlandreise die Stadt Frankfurt. Er war der erste US-Präsident, der während seiner Amtszeit in die Stadt kam, und dass als einziger der nachfolgenden Präsidenten auch Jimmy Carter einmal in Frankfurt war, ist heute schon fast vergessen. Kennedys Besuch dagegen ist legendär geworden.

Frankfurt am Main (pia) Eigentlich sollte John F. Kennedy von dem berühmten Balkon des Rathauses Römer zu den Frankfurtern sprechen. Doch schon bei einem Ortstermin zur Vorbereitung des hohen Staatsbesuchs erklärte Kennedys Protokollchef seinen Frankfurter Kollegen schlichtweg, dass „der Präsident es gar nicht liebe, so hoch über dem Volk zu stehen“. Daher wurde ein kleines Rednerpodium vor der Rathaustür aufgebaut. Hier trat John F. Kennedy nach dem offiziellen Empfang im Kaisersaal vor die jubelnde Menge, mit einer sympathischen Lässigkeit, die, angesichts der schwarzberockten Steifheit im seinerzeit hierzulande üblichen Politikstil, selbst den kritischsten Pressebeobachter ins Schwärmen geraten ließ. Der US-Präsident sprach frei zu den Sechzigtausend auf dem Römerberg. Er erzählte ihnen locker von seiner Fahrt von Hanau nach Frankfurt, die er an der Seite des bundesdeutschen Vizekanzlers Ludwig Erhard und des hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn im offenen Mercedes zurückgelegt hatte, während Hunderttausende die Straßen säumten: „Auf der ganzen Fahrt von Hanau nach Frankfurt hat der Herr Ministerpräsident mir am Weg unter den vielen Menschen gezeigt, wer der SPD angehört; und der Vizekanzler hat mir gesagt, wer der CDU angehört. Ich bin zwar schon drei Tage in diesem Lande, aber ich muß gestehen, ich kann immer noch nicht den Unterschied feststellen, aber ich hatte das Gefühl, alle sind Freunde“, schilderte er seinen ersten Eindruck.

Besuch der Paulskirche als ‚Wiege der deutschen Demokratie‘

Vor 50 Jahren, am 25. Juni 1963, kam der amerikanische Präsident John F. Kennedy auf seiner Deutschlandreise nach Frankfurt. Kennedys Frankfurtbesuch ist legendär geworden. Das dürfte jedoch weniger an der politischen Botschaft liegen, die Kennedy mitten im Kalten Krieg mit seiner Deutschlandreise verband. Besondere Bedeutung maß er gerade seinem Auftritt in Frankfurt bei. Bewusst wählte er die Frankfurter Paulskirche, die „Wiege der deutschen Demokratie“, als Schauplatz für die einzige politische Grundsatzrede während seines Deutschlandaufenthalts; darin entwarf er seine Vision einer „atlantischen Partnerschaft“ zwischen Amerika und Europa. Doch Kennedy konnte seine Präsidentschaft und seine Politik nicht vollenden. Durch seine Ermordung in Dallas am 22. November 1963 wurde Kennedy zum Mythos, auch in Frankfurt, wo man ihn nur fünf Monate zuvor begeistert empfangen hatte.

Bereits im Januar 1963 begannen im Weißen Haus die Planungen für eine Europareise, in deren Rahmen der US-Präsident im Sommer auch Deutschland besuchen sollte. Drei Monate später kursierten erste Meldungen in der Presse, dass Kennedy nicht nur nach Bonn und Berlin, sondern wahrscheinlich auch nach Frankfurt kommen würde. Er hatte die Stadt 1937 kennengelernt, und erneut 1945 und 1948 besucht, zuletzt also im Jubiläumsjahr der Deutschen Nationalversammlung, das mit dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Paulskirche festlich begangen worden war. Nun, so berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 19. April 1963, äußerte der Präsident abermals „die Neigung“, historische Stätten in Deutschland zu besuchen – wobei vor allem die Paulskirche in Frage käme. Anfang Mai machten sich Kennedys Vorboten vor Ort ein Bild. Sein Pressesekretär Pierre Salinger fand, die Paulskirche sei „a beautiful setting“ („ein herrlicher Rahmen“) für den Präsidentenbesuch, und verkündete den wartenden Reportern noch auf der Treppe vom Plenarsaal hinunter: „Präsident Kennedy wird nach Frankfurt kommen!“

Schulfrei für Kennedy

Daraufhin wurde der Präsidentenbesuch minutiös und bis ins kleinste Detail geplant. Bald war der Weg des hohen Gasts nach Frankfurt klar. Die Presse veröffentlichte, dass Kennedy mit dem Wagen, von Hanau kommend, über die Mainkur die Hanauer Landstraße, die Sonnemannstraße und dann ab der Schönen Aussicht am Main entlang fahren würde, um am Fahrtor auf den Römerberg einzubiegen. Frankfurts Oberbürgermeister Werner Bockelmann war enttäuscht, dass sein prominenter Gast „unterwegs niemals die schöne Mainfront vor Augen haben“ würde, die sich bei der Einfahrt über die Autobahn und durch Sachsenhausen in die Stadt ergeben hätte. Doch Kennedy wünschte ausdrücklich, „nicht über ortsferne Autoschnellwege, sondern durch Städte und Dörfer zu fahren, in denen viele Menschen wohnen“. Vorsichtshalber wandte sich der Oberbürgermeister daher mit einem Aufruf an die Frankfurter: „Ein offizieller Empfang kann (...) die Begrüßung durch die Bürger unserer Stadt nicht ersetzen. Deshalb bitte ich alle Frankfurter herzlich: Bereiten Sie John F. Kennedy einen freundlichen und lebhaften Willkomm.“ Die Kinder bekamen schulfrei, die Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten früher Dienstschluss, und viele Betriebe am Weg des Präsidenten erlaubten ihren Beschäftigten zumindest eine Arbeitspause, um Kennedy zujubeln zu können.

Es war ein schwüler Sommertag, als John F. Kennedy in Frankfurt erwartet wurde. Schon früh an jenem Dienstagmorgen versammelten sich die ersten Schaulustigen auf dem Römerberg. Kennedy, der bereits ein zweitägiges Besuchsprogramm mit öffentlichen Auftritten und politischen Gesprächen in Köln und Bonn absolviert hatte, landete um 10.30 Uhr mit dem Hubschrauber auf dem Fliegerhorst in Langendiebach bei Hanau, wo er als Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte die US-Armee besuchte und eine Truppenparade abnahm. Als er gegen 14 Uhr mit seiner Wagenkolonne nach Frankfurt aufbrach, waren auf dem mittlerweile dichtgefüllten Römerberg schon die ersten Hitzeopfer in Ohnmacht gefallen. Das Gedränge wurde immer größer, bis sich der US-Präsident nach gut einstündiger Fahrt im offenen Mercedes, eskortiert von 17 Polizeimotorrädern, endlich näherte. Genau um 15.17 Uhr ging ein Jubelschrei der Massen über den Römerberg: Kennedy war da! Und zwar zehn Minuten früher, als vom Protokoll vorgesehen. Das war eine echte Katastrophe für das Fernsehen, das Kennedys Ankunft eigentlich live in einer Eurovisionssendung übertragen wollte. Auf eine „Verfrühung“ des Präsidenten war die Eurovisionszentrale jedoch einfach nicht gefasst.

Ein ‚Bad in der Menge‘

Der Präsident wurde am Eingang des Römers von Oberbürgermeister Bockelmann begrüßt und durch die mit Blumen und Gummibäumen geschmückte Halle in den Kaisersaal geleitet. Nach dem offiziellen Empfang durch Magistrat und Stadtverordnetenversammlung trug sich Kennedy unter dem Bildnis Karls des Großen in das Goldene Buch der Stadt ein. Auch wurden ihm einzelne Honoratioren der Stadt vorgestellt, die er persönlich begrüßte. Als er der Stadtältesten Marie Bittorf die Hand reichte, hatte er die andere Hand lässig in der Rocktasche, woran damals niemand Anstoß nahm. Allerdings registrierte die Presse durchaus, dass der smarte Präsident bei der Begrüßung des Stadtältesten Friedrich Stoltze auch einen Blick für dessen hübsche Enkelin übrig hatte.

Endlich zeigte sich Kennedy wieder den Massen auf dem Römerberg. Zunächst wollte der – eigentlich beliebte – Ministerpräsident Zinn eine kurze Ansprache halten. Doch ungeduldige Sprechchöre forderten: „Ken – ne – dy, Ken – ne – dy!“ Der Präsident trat unter dem Jubel der Sechzigtausend vor. Die letzten Worte seiner Rede an die Frankfurter gingen im Beifallsturm unter: „Thank you very much – dankeschön!“ Danach sollte der Präsident mit seinen engsten Begleitern zu Fuß zur Paulskirche gehen. Zum Entsetzen der Sicherheitsbeamten durchbrach Kennedy das Protokoll und die Absperrungen, um ein Bad in der Menge zu nehmen und Hände über Hände zu schütteln. Einen furchtbaren Augenblick lang hatte die oberste Kommandostelle der Polizei den Präsidenten aus den Augen verloren. Ein paar verzweifelte Funkanfragen und Anrufe später war klar: „Kennedy erfrischt sich im Römer.“ So kann es wohl gehen, wenn Präsidenten den Ort suchen, wo selbst Kaiser zu Fuß hin müssen.

Flammende Rede für Freiheit und Frieden

In der Paulskirche setzte John F. Kennedy den politischen Höhepunkt seines Besuchs in Frankfurt und in Deutschland. An der historischen Stätte, die er wegen ihres Symbolwerts für Freiheit und Demokratie bewusst ausgewählt hatte, hielt er eine spektakuläre Rede an Deutschland und die Welt. Es war ein flammender Appell für eine atlantische Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa im Dienste von Freiheit und Frieden. Entschieden verwahrte sich Kennedy gegen den nationalstaatlichen Sonderweg Frankreichs. Während der Rede, so erinnerte sich der Journalist Richard Kirn an die bedeutende Stunde in der Paulskirche, konnte man „den Blick nicht von ihm [d. i. Kennedy] lassen. Er hatte das Rednerpult fest in den Händen, die gebräunt waren wie die Hände eines Tennisspielers. Manchmal, nicht oft, hob er die Rechte, irgendein Wort unterstreichend.“ Eine Gedenktafel an der Paulskirche erinnert heute an Kennedys Rede.

Der Präsident verließ die Paulskirche fast unbemerkt durch einen wenig beachteten Ausgang. Er fuhr, unermüdlich den Menschenreihen am Straßenrand winkend und zulächelnd, nach Sachsenhausen über die Forsthausstraße zum Stadion. Erst nachdem er das Spalier der Frankfurter hinter sich gelassen hatte, so beobachtete ein Journalist, lehnte sich Kennedy neben Erhard und Zinn bequem im Wagen zurück und fuhr sich noch einmal mit dem Kamm durch die Haare. Um 18.08 Uhr hob der Präsident im Hubschrauber ab, zur nächsten Station in Wiesbaden, wo er vor der Weiterreise nach Berlin übernachtete. Drei Stunden war John F. Kennedy in Frankfurt gewesen. Die Straße, auf der er die Stadt verließ, wurde kurz nach seinem Tod in „Kennedyallee“ umbenannt.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 20.06.2013

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