Der vergessene Oberbürgermeister
Vor 50 Jahren starb Frankfurts erster Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Hollbach
Am 11. Dezember 1962 ist Wilhelm Hollbach in Frankfurt gestorben. Frankfurts erster Bürgermeister nach dem Krieg war 99 Tage im Amt, leitete aber in dieser kurzen Spanne wichtige Schritte für den Neubeginn des städtischen Lebens ein. An seinem Todestag war er schon fast vergessen.
Frankfurt am Main (pia) Eigentlich wollte er eine Zeitung gründen. Am 28. März 1945, zwei Tage nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Frankfurt und noch vor der endgültigen Kapitulation der Stadt, sprach der Journalist Wilhelm Hollbach deshalb bei der amerikanischen Militärregierung vor, die sich unter Lieutenant Colonel William H. Blakefield gerade erst zu etablieren begann. Blakefield brauchte dringend einen „amtierenden“ Bürgermeister. Da kam ihm der zufällig anwesende Hollbach gerade recht. Wie und wo sich die folgende Szene genau abspielte, darüber gibt es unterschiedliche Berichte von Zeitzeugen. Am Ende fiel jedenfalls der entscheidende Satz: „You are the Burgomaster!“, und noch am selben Tag wurde Hollbach offiziell zum amtierenden Bürgermeister von Frankfurt ernannt. In seiner kurzen Amtszeit von nur 99 Tagen stellte er wichtige Weichen für den Wiederaufbau der Stadt.
Journalist mit Gespür
Vor 50 Jahren, am 11. Dezember 1962, ist Wilhelm Hollbach in Frankfurt gestorben. In einer Trauerrede dankte Stadtrat Wilhelm Fay im Namen von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung ihm „für die Initiative und den Mut in den Tagen nach dem Einmarsch der Amerikaner, als es galt, in der zerstörten Stadt das Leben wieder in Gang zu bringen“. Die Bürger sollten „mit Ehrfurcht“ dieses Mannes gedenken. Doch Frankfurts erster Nachkriegsbürgermeister war damals schon fast vergessen. Es waren vor allem alte Kollegen aus Journalistenkreisen, die Hollbach die letzte Ehre erwiesen. Als Mitarbeiter der renommierten Frankfurter Zeitung (FZ) war der gebürtige Aachener einst nach Frankfurt gekommen. Im Alter von 36 Jahren übernahm er 1930 die Leitung des Nachrichtendienstes der FZ. Zudem wurde er Chefredakteur des „Illustrierten Blattes“ (seit 1931), einer eher unterhaltsamen illustrierten Zeitschrift, und der „Neuesten Zeitung“ (seit 1934), eines regionalen Boulevardblatts, die beide im Verlag der FZ erschienen. Hollbach lenkte beide Blätter zum wirtschaftlichen Erfolg. Er besaß „den Ursinn des Journalisten“, erinnerte sich sein Kollege Benno Reifenberg, und da lag es nur nahe, dass Hollbach sofort bei Kriegsende 1945 endlich wieder eine Zeitung, am liebsten die FZ, herausgeben wollte.
Der Oberst und die Zahnpasta
In jenen letzten Märztagen des Jahres 1945 lag die Stadt wie erstarrt in ihren Trümmern. Als amtierender Bürgermeister sollte Hollbach in enger Abhängigkeit von der amerikanischen Militärregierung vorrangig die Versorgung der Bevölkerung und eine provisorische Stadtverwaltung organisieren. Jeden Nachmittag um fünf Uhr hatte er zur Konferenz bei dem neuen Stadtkommandanten Lieutenant Colonel Howard D. Criswell anzutreten. Schon am ersten Tag, als der hünenhafte Oberst seine Forderungen vortrug, sagte Hollbach: „Das ist unmöglich, Sir.“ Criswell, so erzählte Hollbach später, „pumpte den gewaltigen Brustkorb auf und brüllte dann: ‚Nothing is impossible!’“ Hollbach „setzte dem Riesen bescheiden auseinander, daß es sehr wohl Dinge gebe, die unmöglich seien. Wenn z. B. der Oberst aus der Zahnpastatube zuviel Zahnpasta herausdrücke, so sei es ihm unmöglich, sie wieder hineinzubringen.“ Criswell pumpte wieder seinen Brustkorb auf – und brach in dröhnendes Gelächter aus. Andere Begegnungen des Bürgermeisters mit dem Stadtkommandanten verliefen weniger komisch. Wegen einer angeblich gefälschten Statistik zur Entnazifizierung der Stadtverwaltung rückte der Oberst einmal mit acht GIs, die Maschinengewehre im Anschlag hielten, im Büro des Bürgermeisters an. Mit seiner besonnenen Art klärte Hollbach auch diese Situation.
Weichen für den Wiederaufbau
Am Ende von Hollbachs Amtszeit hatten die Frankfurter wieder Licht und Wasser, Straßenbahnen und Züge fuhren wieder. Sogar die Läden hatten in bescheidenen Rahmen wieder geöffnet. Daran war Marlene Dietrich schuld. Die Schauspielerin und Sängerin sollte in Frankfurt für die amerikanischen Truppen auftreten und hatte nicht genügend Make-up. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich deswegen an den Bürgermeister. Daraufhin setzte Hollbach beim Stadtkommandanten die Ladenöffnung durch. Auch die Wiedereröffnung der Schulen und vor allem der Universität trieb Hollbach voran. In seinen Mitarbeiterstab holte er zahlreiche Journalisten, darunter Eberhard Beckmann, Walter Dirks und Richard Kirn. Zum Direktor des schwer beschädigten Frankfurter Zoos ernannte er bereits am 1. Mai 1945 einen Tierpsychologen, den er einst als Mitarbeiter der „Illustrierten Blattes“ beschäftigt hatte: Bernhard Grzimek. Auch erreichte Hollbach, dass der Verwaltungsfachmann Kurt Blaum, der von der Militärregierung als amtierender Bürgermeister von Hanau eingesetzt war, ab dem 11. Juni 1945 als Zweiter Bürgermeister nach Frankfurt kam. Wenige Tage später durfte Hollbach sich „Oberbürgermeister“ nennen.
99 Tage an der Spitze der Stadt
Kurz darauf, am 4. Juli 1945, wurde Hollbach mit sofortiger Wirkung des Amtes enthoben und Blaum zu seinem Nachfolger erklärt. Für ihn selbst kam diese Entscheidung überraschend, obwohl die Militärregierung schon seit Ende April seine Absetzung betrieben hatte. Offiziell wurde dieser Schritt damit begründet, dass die Militärregierung es „für notwendig“ erachtet habe, „den amtierenden Bürgermeister durch einen auf verwaltungstechnischen Gebieten mehr geschulten Mann zu ersetzen“. Es wurde jedoch gemutmaßt, dass Hollbach gehen musste, weil er die amerikanische Besatzungsmacht, vor allem wegen deren umfangreicher Wohnraumbeschlagnahmung und stark schematisierter Entnazifizierungspolitik, kritisiert habe. Tatsächlich war Hollbach wegen seiner ursprünglichen Absicht, eine Zeitung zu gründen, ins Visier der 6871st District Information Services Control Command (DISCC) geraten. Dieser militärischen Einheit, die für das Pressewesen zuständig war, erschienen die Redakteure der FZ und der dazu gehörenden Blätter verdächtig, weil sie die NS-Propaganda in eine akzeptablere Form übersetzt hätten und dadurch viel gefährlicher als die Nazipresse gewesen seien. Trotz der unermüdlichen Fürsprache der Stadtkommandantur wurde Hollbach als Bürgermeister abgesetzt, und auch die erste Frankfurter Zeitung wurde ohne ihn und andere ehemalige FZ-Mitarbeiter gegründet. Danach versuchte sich Hollbach mit verschiedenen Presseprojekten. Nach langen Jahren einer Sucht- und einer Krebserkrankung starb Wilhelm Hollbach in Frankfurt, der Stadt, an deren Spitze er einmal 99 Tage lang gestanden hatte.
Sabine Hock
Die Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V. hat in ihrer Reihe „Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst“ gerade den Band „Frankfurter Stadtoberhäupter – Vom 14. Jahrhundert bis 1946“ herausgegeben, worin auch ein Aufsatz von Lutz Becht über die beiden ersten Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Hollbach und Kurt Blaum enthalten ist. Das Buch ist im Societäts-Verlag erschienen und zum Preis von 29,80 Euro im Handel erhältlich.
Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 04.12.2012