Ein vergessener Bühnenschriftsteller

Der Dramatiker Ludwig Fulda wurde vor 150 Jahren in Frankfurt geboren

Einst war er einer der meistgespielten und populärsten deutschen Dramatiker; heute ist Ludwig Fulda fast vergessen. Der Bühnenschriftsteller jüdischer Herkunft, der sich zeit seines Lebens für geistige Freiheit einsetzte, war vehementen Repressalien in der NS-Diktatur ausgesetzt und nahm sich 1939 das Leben. Geboren wurde Ludwig Fulda vor 150 Jahren in Frankfurt.

Frankfurt am Main (pia) Fulda liebte Frankfurt. Noch im Alter schrieb der lange in Berlin lebende Schriftsteller Gedichte voller Heimweh nach der Stadt seiner Kindheit. Und Frankfurt war stolz auf Fulda. Als am 1. November 1902 das neue Schauspielhaus am jetzigen Willy-Brandt-Platz eingeweiht wurde, schätzte man sich glücklich, dass der in der Mainstadt geborene Autor das Vorspiel zur Eröffnungsvorstellung beisteuerte. Immerhin war Ludwig Fulda damals einer der meistgespielten und populärsten deutschen Dramatiker. Jahrzehntelang währte sein Erfolg – bis die Nationalsozialisten dem Autor alle Rechte raubten, das Publizieren und das Schreiben verboten. Voller Verzweiflung beging er 1939 Selbstmord. Heute ist Ludwig Fulda fast vergessen.

Auf dem Weg zum Bühnenschriftsteller

Vor 150 Jahren, am 15. Juli 1862, wurde Ludwig Fulda in Frankfurt geboren. Er stammte aus einer seit 1639 hier ansässigen jüdischen Familie, die ursprünglich den Namen „Fuld“ trug. Eigentlich sollte Fulda einmal die väterliche Kohlengroßhandlung übernehmen, aber schon früh zeigte er wenig kaufmännische Neigung. Angesichts seines flegelhaften Betragens auf dem städtischen Gymnasium mussten sich die Eltern von den Lehrern anhören: „Ihr Sohn ist begabt, aber moralisch verkommen.“ Anders liest es sich in den 88 blauen Schulheften, die Fulda im Alter von 16 Jahren gewissenhaft als „Kalender meiner geistigen Beschäftigungen“ zu führen begann und die sich in seinem Nachlass im Freien Deutschen Hochstift erhalten haben. „Schularbeiten. Konradin, Seite 52 und 53 halb geschrieben. Gelesen: Schillers Ideale, Künstler, Macht des Gesangs, Hero und Leander. Epigramme. Reuter, Stromtid, Kap. 3, 1 ½ Seiten...“, so lautet der erste Eintrag vom 17. Januar 1879, und trotz des beachtlichen Pensums tadelt sich der Gymnasiast auch einmal selbst: „Hätte fleißiger sein dürfen...“ Schon während des folgenden Studiums der Germanistik und Philosophie in Heidelberg, Berlin und Leipzig arbeitete Fulda an historisch-kritischen Dichterausgaben von „Kürschners Deutscher Nationalliteratur“ mit und veröffentlichte die Übersetzung des „Meier Helmbrecht“ aus dem Mittelhochdeutschen. Eine Universitätslaufbahn strebte er, trotz seiner Promotion mit „summa cum laude“ in Heidelberg 1883, nicht an. Er wollte lieber Bühnenschriftsteller werden.

Seine Stoffe machten noch beim Film Karriere

Fuldas Erstlingswerk „Die Aufrichtigen“ (1883), ein einaktiges Lustspiel in Versen, wurde in Frankfurt uraufgeführt. Am Tag nach der von Beifall umrauschten Premiere bescheinigte jedoch die Kritik dem Autor „völlige Talentlosigkeit“. Erst sein Salonlustspiel „Unter vier Augen“, das 1887 am Wiener Burgtheater herauskam, brachte den Durchbruch. Fulda, der zeitweise in München, seit 1888 meist in Berlin lebte, verfasste in den kommenden Jahrzehnten insgesamt 50 Stücke, 38 abendfüllende und zwölf einaktige, darunter Gesellschafts- und Märchendramen, naturalistische Schauspiele, satirische Lustspiele, historische Tragödien, Boulevardkomödien und Schwänke. Als sein Hauptwerk gilt das Märchendrama „Der Talisman“ (1893), eine neue Version von Andersens „Des Kaisers neue Kleider“. Erst mit dem Aufkommen des Expressionismus in den Zwanzigerjahren ebbte Fuldas Popularität auf den Bühnen langsam ab, während seine Stoffe beim Film noch Karriere machten. Seine Komödie „Der Seeräuber“ (1912) diente später als Vorlage für das Musical „The Pirate“ von Cole Porter, das mit Gene Kelly und Judy Garland unter der Regie von Vincente Minnelli 1948 verfilmt wurde.

Für Geistesfreiheit und gegen Zensur

Neben seiner eigenen schriftstellerischen Arbeit kämpfte Ludwig Fulda unermüdlich für die Geistesfreiheit und gegen die Zensur, engagierte sich auf internationaler Ebene für die Rechte von Schriftstellern. Noch während seiner frühen Münchener Jahre organisierte er zusammen mit seinem Freund Max Bernstein 1886 die erste Aufführung von Ibsens (eigentlich unter die Zensur fallendem) Gesellschaftsdrama „Die Gespenster“ in Deutschland. Als Mitbegründer der Freien Bühne in Berlin (1889), die er zeitweise auch leitete, förderte er den Durchbruch und die Anerkennung der Naturalisten, insbesondere Gerhart Hauptmanns. Er protestierte 1906 erfolgreich gegen die Verhaftung Gorkis und votierte 1921 als Gutachter vor Gericht für Schnitzlers „Reigen“. Fulda focht für die Sicherung und den Ausbau des Urheberrechts, u. a. als Mitglied der Reichsdelegation zur Urheberrechtskonferenz in Rom (1928), und erreichte die Verlängerung des Urheberrechtsschutzes von 30 auf 50 Jahre. Er stand 1925 als erster Präsident an der Spitze des neu gegründeten deutschen PEN-Zentrums und war 1926 Gründungsmitglied der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste.

Die Auswanderung in die USA scheiterte

Ein Vierteljahr nach Hitlers Machtübernahme, am 5. Mai 1933, wurde Ludwig Fulda wegen seiner jüdischen Herkunft aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen. Seine Stücke, die 1932 noch 429 Aufführungen erreicht hatten, durften in der NS-Zeit nicht mehr gespielt werden. Der Autor, der stets seine „treudeutsche“ Gesinnung betonte, war nach eigener Aussage „bis ins Mark getroffen“. Seit 1935 unter Schreibverbot stehend, versuchte er, in die USA auszuwandern – worin er an den behördlichen Vorschriften scheiterte. Am 23. März 1939 richtete Fulda die Bitte an das Wirtschaftsministerium, den ihm zweimal verliehenen Burgtheater-Ring bei der für Juden angeordneten Schmuck- und Goldablieferung für sich behalten zu dürfen. Nachdem dieses Gesuch abschlägig beschieden worden war, nahm sich Ludwig Fulda in seiner Berliner Wohnung das Leben. In seinen „Kalender“, den er seit seiner Frankfurter Schulzeit stetig weitergeführt hatte, trug er noch den „29. März“ (1939) als letztes Datum ein. Dann fand er keine Worte mehr. Seine nicht-jüdische Frau, die er durch seinen Freitod vor weiteren Repressalien schützen wollte, schrieb darunter: „Am 30. März, 11 ¼ eingeschlafen“.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 03.07.2012

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