„Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt“

Vor 150 Jahren führte Philipp Reis den ersten Telefonapparat öffentlich vor

Schon während einer kaufmännischen Lehre in Frankfurt wandte sich Philipp Reis seinem eigentlichen Interesse zu: den Naturwissenschaften. Als Lehrer in Friedrichsdorf konnte er sich ein Laboratorium und ein physikalisches Kabinett einrichten. Aus einem hölzernen Ohrmodell für den Unterricht entwickelte er seine sensationellste Erfindung: das Telefon.

Frankfurt am Main (pia) Die versammelten Mitglieder des Physikalischen Vereins schienen „Sphärenmusik“ zu hören. In ihrem Hörsaal im damaligen Senckenbergmuseum am Eschenheimer Tor ertönten das Solo eines Waldhorns und der Gesang eines Liedes, ohne dass die Interpreten im Raum oder in der Nähe waren. Der Hornist und der Sänger intonierten ihre Darbietungen etwa 100 Meter entfernt im Bürgerhospital. Die Sensation wurde ermöglicht durch eine Apparatur, die Philipp Reis, ein 27 Jahre alter Lehrer aus Friedrichsdorf und Mitglied des Physikalischen Vereins, entwickelt hatte und die er an jenem 26. Oktober 1861 zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte. Den treffenden Namen für seinen Apparat hatte er schon gefunden: Mit einem Kunstwort, das er in Anlehnung an den Begriff „Telegraph“ aus den griechischen Wörtern „telos“ (Ferne, Ziel) und „phonein“ (klingen, tönen) gebildet hatte, nannte Reis ihn „Telephon“.

Lehrer, Naturwissenschaftler und Erfinder

150 Jahre ist es her, dass Philipp Reis seine Erfindung in Frankfurt öffentlich präsentierte. Die erste elektrische Fernsprechverbindung überhaupt war ihm allerdings schon früher geglückt, um 1860 in seinem Wohnort Friedrichsdorf im Taunus, nachdem er zuvor langjährige Vorstudien und Versuche dazu betrieben hatte. Als Sohn eines Bäckers am 7. Januar 1834 in Gelnhausen geboren, sollte Philipp Reis nach dem frühen Tod der Eltern eigentlich Kaufmann werden, wandte sich aber bereits während seiner Lehrzeit in einem Farbwarengeschäft in Frankfurt naturwissenschaftlichen Studien zu und beschäftigte sich mit allerhand Erfindungen. So entwickelte er „Rollschlittschuhe“, Vorläufer der heutigen Inlineskates, und ein „Veloziped“, ein über Hebel per Hand anzutreibendes Dreirad. Seit 1858 war Reis als Lehrer am Institut Garnier in Friedrichsdorf angestellt, wo er zunächst Französisch, Mathematik und Zeichnen, dann auch Physik und Chemie unterrichtete. Am Institut durfte er sich ein eigenes Laboratorium und physikalisches Kabinett einrichten. Wenn er dort experimentierte, überwachte er mit Hilfe einer selbstgebauten Camera obscura die in den Klassenräumen arbeitenden Jungen. Spätestens seit seinen Telefonversuchen, die den Schülern schon wegen der von Reis’ nahem Wohnhaus zum Schulgebäude gespannten Drähte nicht verborgen blieben, stand der Lehrer in dem Ruf, „auf geheimnisvolle Weise“ alles sehen und hören zu können.

Vom Ohrmodell zum Telefon

Im Jahr 1860 baute Reis für den Physikunterricht das hölzerne Modell eines Ohrs, um seinen Schülern dessen Funktion „klar und anschaulich zu machen“. Als Trommelfell benutzte er ein Stück Schweinedarm, auf das er einen feinen Platinstreifen als Gehörknöchelchen klebte. Dieser Streifen berührte im ruhenden Zustand leicht das „Hämmerchen“, ein zweites Platinstück, das in der künstlichen Ohrmuschel befestigt war und über eine Batterie mit Gleichstrom versorgt wurde. Wenn nun der Schweinedarm als Membrane durch Schallwellen in Schwingungen versetzt wurde, wurden die beiden Platinkontakte je nach dem Lauf der Schallwellen mehr oder weniger zusammengedrückt. Die so von dem künstlichen Ohr oder „Geber“ ausgesandten Stromimpulse wurden zum „Empfänger“ übertragen, einer Kupferdrahtspule, die um eine Stricknadel als Eisenkern gewickelt war. Die bewegte oder auch so genannte „sprechende“ Nadel wandelte die Impulse wieder in Schallwellen um. Zur Verstärkung benutzte Reis anfangs eine Geige, später ein Holzkästchen als Resonanzboden, auf dem er die Spule befestigte. Der fertige Apparat diente längst nicht mehr nur als Ohrmodell im Unterricht, sondern konnte „auch Töne aller Art durch den galvanischen Strom in beliebiger Entfernung reproducieren“.

Auch der österreichische Kaiser staunte

Dieses seitdem stets weiterentwickelte „Telefon“ führte Philipp Reis noch im Jahr 1860 im Kreis seiner Schüler und Freunde in Friedrichsdorf vor, wobei der erste Empfänger auf einem Zwetschgenbaum in seinem Garten angebracht gewesen sein soll. Reis wollte beweisen, dass seine Erfindung zur Übertragung nicht nur von Musik, sondern auch von Sprache tauge. So ließ er seinen Schwager am „Geber“ im Haus aus einem Buch vorlesen, während er selbst dem Publikum im Garten laut den Text wiederholte, den er am „Empfänger“ gehört hatte. Reis kenne das Buch vielleicht auswendig, meinte ein skeptischer Lehrerkollege. Er ging deshalb in den Raum, wo der „Geber“ stand, und sprach einige völlig unsinnige Sätze hinein, wie: „Die Sonne ist von Kupfer“ und „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“. Reis konnte zwar nicht wiederholen, was das Pferd frisst, und meinte, die Sonne sei aus Zucker, aber vor dem heimischen Publikum hatte er dennoch gesiegt. Um seinen Apparat international bekannt zu machen, ließ er ihn von der Frankfurter feinmechanischen Werkstätte J. W. Albert in Serie bauen und weltweit vertreiben. Beim Fürstentag in Frankfurt 1863 wurde die Apparatur sogar dem staunenden Kaiser von Österreich vorgeführt.

Säuredämpfe machten ihn krank

Eine Lungenkrankheit, die er sich durch das Einatmen giftiger Säuredämpfe aus Batterien beim Experimentieren zugezogen hatte, hemmte den Erfinder in den kommenden Jahren in seiner Tätigkeit. Am 14. Januar 1874 starb Philipp Reis, gerade 40 Jahre alt, in Friedrichsdorf. „Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt“, hatte er während seines langen Krankenlagers notiert. „Anderen muß ich es überlassen, sie weiterzuführen.“ Zwei Jahre nach seinem Tod, am 14. Februar 1876, meldete der amerikanische Taubstummenlehrer Alexander Graham Bell das Telefon zum Patent an – nur zwei Stunden vor seinem Konkurrenten Elisha Gray. Auch wenn Bell es später aus vermarktungsstrategischen Gründen immer wieder bestritt: Es gilt inzwischen als erwiesen, dass er bereits in Edinburgh 1862 einen der Telefonapparate von Philipp Reis kennenlernte, die damals aus Frankfurt in alle Welt verschickt wurden.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 18.10.2011

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