Ihre Spezialität war der Doppelabsturz

Die Luftpionierin Kätchen Paulus ist vor 75 Jahren gestorben

Sie war die erste deutsche Frau, die einen Sprung mit dem Fallschirm wagte. Kätchen Paulus begeisterte die Menschen mit atemberaubender Luftakrobatik. Die gelernte Näherin produzierte außerdem selbst erfolgreich Fallschirme und Ballone. „Das Kättche“, das viele Jahre in Frankfurt lebte, ist vor 75 Jahren in Berlin gestorben.

Frankfurt am Main (pia) Ihr Prinz fiel vom Himmel. Eines schönen Tages, so will es die Legende, soll der Luftfahrer Hermann Lattemann mit seinem Ballon im Vorgarten eines Frankfurter Hauses notgelandet sein. Dort wohnte die Witwe Paulus mit ihrer Tochter namens Kätchen. Als Lattemann fragte, ob Kätchen mit ihm in die Luft gehen würde, antwortete das junge Mädchen: „Sofort!“ Tatsächlich verlief die erste Begegnung der kleinen Näherin mit dem kühnen Ballonfahrer und Fallschirmspringer wohl nicht ganz so märchenhaft. Kätchen Paulus sah den Luftakrobaten Lattemann erstmals um 1890 bei einer seiner Vorführungen in Wiesbaden, und sie war begeistert von ihm und seiner Kunst. In der Werkstatt, in der die Ballone ausgebessert und die Fallschirme genäht wurden, lernte sie ihn dann persönlich kennen. Es begann eine ungewöhnliche Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, in deren Verlauf Kätchen als erste deutsche Frau den Fallschirmsprung wagte.

Ein Gruß aus der Luftverkehrsstadt Frankfurt

Vor 75 Jahren, am 26. Juli 1935, starb Kätchen Paulus in Berlin. Zu ihrer Beerdigung reiste auch ein Vertreter der aufstrebenden Luftverkehrsstadt Frankfurt am Main an, der der Pionierin der Luftfahrt einen letzten Gruß aus ihrer früheren Heimat überbrachte. Geboren wurde Katharina Paulus, die sich selbst später Kätchen oder auch Käte nannte, am 22. Dezember 1868 allerdings in Zellhausen bei Seligenstadt im Kreis Offenbach. Bereits im Alter von etwa acht Jahren aber kam sie mit ihren Eltern in den Frankfurter Vorort Oberrad, und von dort übersiedelte die Familie 1878 direkt in die Mainstadt, später nach Darmstadt. Nach dem Tod des Vaters lebten die Witwe Maria Paulus und ihr Kätchen wieder in Frankfurt in der Nähe des Zoologischen Gartens. Dort im Zoo führte der Luftfahrer Hermann Lattemann, der um diese Zeit in Kätchens Leben schwebte, seine Künste vor.

Sprung aus 1200 Metern Höhe

Anfangs war Luftschiffer Lattemann besonders von Kätchens Schneiderkünsten begeistert. Die ausgebildete Näherin lernte schnell das Ausbessern und bald auch die Herstellung von Ballonen und Fallschirmen. Ihr größter Wunsch jedoch war weiterhin, einmal selbst als Aeronautin aufsteigen und abspringen zu dürfen. Nach drei Jahren intensiver Vorbereitung war es am 19. Juli 1893 in Nürnberg endlich soweit: Kätchen durfte zum ersten Mal im Ballon mitfahren, und nur vier Tage später wagte sie ihren ersten Absprung mit dem Fallschirm aus 1200 Metern Höhe. Künftig tingelten Lattemann und Kätchen zusammen von Stadt zu Stadt, um überall ihre aeronautischen Kunststücke vorzuführen. Zu Kätchens besonderer Spezialität wurde der Doppelabsturz, bei dem sie vom Ballon absprang, einen ersten Fallschirm aufgehen ließ, sich kurz darauf von diesem löste und nach einem weiteren Moment freien Falls einen zweiten Fallschirm öffnete. Nach nur knapp einem Jahr gemeinsamer Arbeit kam Hermann Lattemann bei einem Absturz durch technisches Versagen in Krefeld ums Leben – vor den Augen von Kätchen, die kaum zehn Meter entfernt an ihrem Fallschirm hing und alles mit ansehen musste, ohne helfen zu können. Sie erlitt einen Nervenschock und wollte nie wieder aufsteigen – bis ihre Fans in ganzen Wagenladungen von Briefen aus allen Ländern Europas sie zum Weitermachen ermutigten.

Erfolgreich als Berufsluftschifferin

In den folgenden Jahren baute sich Kätchen Paulus eine Existenz als Berufsluftschifferin auf. Sie wurde „ihre eigene Managerin, Pressechefin, technische Leiterin und Hauptdarstellerin“ (Gerta Walsh), die es prächtig verstand, sich und ihre Auftritte europaweit zu vermarkten. Zum Image von Kätchen Paulus, die sich international „Miss Polly“ nannte, gehörte auch ein entsprechendes Outfit, eine Fantasieuniform als Luftschifferin mit weißer Matrosenmütze, Pluderhosen und hohen Schnürstiefeln. Der umsichtigen Vorbereitung ihrer Aufstiege und Absprünge schrieb sie es zu, dass ihr niemals etwas Ernsthaftes passierte. Nur einmal brach sie sich den Fuß. Öfter bekam sie es dagegen mit der Polizei zu tun: Nach mehr oder weniger glücklicher Landung musste sie mal eine Geldstrafe für einen verbogenen Kandelaber in Budapest entrichten und sich ein anderes Mal wegen unerlaubten Landens auf einer Hauptgeschäftsstraße in Wien verantworten.

„Das Kättche“ ging vom Frankfurter Zoo aus in die Lüfte

Besonders gefeiert wurde Kätchen Paulus in ihrer Heimatstadt Frankfurt, wo sie ab 1894 regelmäßig – meist vom Zoologischen Garten aus – in die Luft ging. In Scharen pilgerten die Frankfurter bei ermäßigtem Eintritt sonntags in den Zoo. Dort stieg „das Kättche“ gegen sechs Uhr abends unter dem Jubel der Massen in die Lüfte, um bald darauf – nicht allzu weit vor Frankfurt – mit dem Fallschirm abzuspringen und am späteren Abend mit der Kutsche wieder im Zoo zu erscheinen. Bei der „Internationalen Luftschiffahrt-Ausstellung“ (Ila) in Frankfurt 1909 war sie mit einem eigenen Verkaufsstand vertreten. Denn immer hatte die Luftschifferin ihre Ballone und Fallschirme selbst hergestellt. Seit dem Verlust ihres Lebensgefährten durch das Versagen seines Fluggeräts schenkte sie ihre besondere Aufmerksamkeit der Verbesserung ihrer Fallschirme. Sie entwickelte den bis heute üblichen „Paketfallschirm“ oder auch „Rettungsfallschirm“, der zudem deutlich sicherer als die früher offen gewickelten Fallschirme war, wofür sie später (1921) sogar ein Schweizer Patent erhielt.

Fallschirme für das Militär

Im Jahr 1912 übersiedelte Kätchen Paulus nach Berlin, wo sie im Auftrag der Preußischen Heeresluftfahrtverwaltung seit 1915 in eigener Werkstatt rund 1.000 Ballone und fast 7.000 Fallschirme für das Militär produzierte. Einem Fallschirm der Marke „K. P.“ verdankten bald so viele Soldaten ihr Leben, dass Käte Paulus mit hohen Kriegsorden ausgezeichnet wurde. Nach dem Verlust ihres Vermögens, das sie in Kriegsanleihen investiert hatte, und dem Erliegen der Luftfahrt infolge des Versailler Vertrags führte sie ein bescheidenes Dasein als Rentnerin in Berlin. Als sie 1935 einem längeren Krebsleiden erlag, kamen auch zwei junge Fliegerinnen zu ihrer Beerdigung, Elly Beinhorn und Hanna Reitsch. Auch Kätchen hatte vor vielen Jahren einmal versucht, den Motorflugschein zu erwerben. Doch ausgerechnet daran war die sonst so erfolgreiche Luftpionierin gescheitert.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 13.07.2010

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