Die Leinwand ist unschlagbar

Vor 50 Jahren eröffnete das erste Autokino Deutschlands in Gravenbruch

Den Ruf des Knutschkinos hat es schon lange hinter sich gelassen. Heute flimmern über die Autokino-Leinwand, die mit einer Größe von 540 Quadratmetern der eigentliche Star ist, Blockbuster im echten Breitwandformat. Das erste Autokino Deutschlands wurde vor 50 Jahren in Gravenbruch bei Frankfurt, der „amerikanischsten Stadt Deutschlands“, eröffnet.

Frankfurt am Main (pia) „Jeder hat bei uns seine eigene Loge!“ Mit diesem Slogan warb das erste deutsche Autokino einst um Publikum. Die „Loge“ mussten sich die Kinogänger allerdings selbst mitbringen: in Gestalt eines Autos. Das taten viele gerne, denn in der Intimität seines kleinen mobilen Reichs konnte man schwatzen, essen, schmatzen, trinken, rascheln, rauchen, husten, schmusen und nebenbei auch – den Film ansehen. Nicht umsonst genoss das Autokino in den prüden Sechzigern und selbst noch in den Siebzigern den Ruf des „Knutschkinos“, und die Plätze in der „Love Lane“, der letzten Wagenreihe (ohne störenden Hintermann!), waren bei jungen Pärchen äußerst begehrt. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Heute ist das Autokino ein besonderes Vergnügen für die Cineasten, die Kino im einzig echten Breitwandformat erleben wollen.

Eine „unheimliche Zauberei“

Vor 50 Jahren, am 30. März 1960, wurde das erste deutsche Autokino in Gravenbruch bei Frankfurt eröffnet. Bei der Pressevorführung an jenem Mittwochabend ab 19.45 Uhr sahen zunächst Journalisten exklusiv Deborah Kerr und Yul Brynner in dem Filmmusical „Der König und ich“ über die gigantische Leinwand „geistern“: „Es ist alles unheimliche Zauberei“, notierte der Beobachter der Frankfurter Rundschau, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die am 1. April 1960 über das neue Autokino berichtete, versicherte ihren Lesern ausdrücklich, dass es sich dabei nicht um einen Aprilscherz handele. Die wirklich ungewöhnliche Idee kam aus Amerika, wo alles damit begann, dass ein gewisser Richard Milton Hollingshead jr. an einem lauschigen Maiabend um 1930 einen Projektor auf das Dach seines Wagens stellte, diesen auf ein Garagentor ausrichtete und sich vom Fahrersitz aus einen Film ansah. Er experimentierte weiter mit dem Open-Air-Kino, ließ es sich patentieren und eröffnete im Sommer 1933 in New Jersey das wohl erste Autokino der Welt, womit er einen regelrechten Boom auslöste. Im Jahr 1958 gab es rund 4.000 „Drive-In Movie Theatres“ in den USA.

Ein Kino für die amerikanischste Stadt Deutschlands

Der findige Kaufmann Hermann Franz Passage importierte die Idee nach Deutschland. Das geeignete Gelände fand er in Autobahnnähe von Frankfurt, auf einer Waldlichtung am Forsthaus Gravenbruch, die mit 82.000 Quadratmetern ausreichend Fläche bot. Dort baute er ab 1959 das „Autokino Gravenbruch“. Zuvor waren nur zwei weitere Autokinos in Europa errichtet worden, vor den Toren von Rom und von Madrid, und nicht zufällig dürfte das dritte bei Frankfurt entstanden sein, der – so die zeitgenössische Presse – „amerikanischsten Stadt Deutschlands“, in deren Umkreis zudem zahlreiche amerikanische Kasernen lagen. Der Erfolg von Gravenbruch führte bald zum Bau weiterer Autokinos in der gesamten Bundesrepublik, insgesamt etwa zwei Dutzend. Im Rhein-Main-Gebiet wurde 1968 sogar ein zweites, am Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach, eröffnet.

Der Ton kommt aus dem Autoradio

Unschlagbarer Star im Autokino von Gravenbruch ist die monumentale Leinwand. Die Projektionsfläche misst 36 Meter in der Breite und 15 Meter in der Höhe, also stolze 540 Quadratmeter. Darauf hätten sechs Einfamilienhäuser Platz, meldete die staunende Presse bei der Kinoeröffnung 1960. Inzwischen gibt es außerdem eine zweite, etwas kleinere Bildwand. Rund 1.100 Pkw-Stellplätze bietet das Kinogelände. Jeweils zwischen zwei Plätzen steht eine Säule, die früher der „Tonversorgung“ diente: An langen Kabeln hingen dort Lautsprecher, die man sich in den Wagen holen konnte. Heute kommt der Ton per Funk auf bestimmten Frequenzen direkt ins Autoradio. Einst konnte man an der Säule auch ein grünes Lichtchen anschalten, um damit den Kellner herbeizurufen, und bis heute kann dort einer der ausleihbaren Heizlüfter angeschlossen werden.

„Spiel mir das Lied vom Tod“ – auch im Regen

Gespielt wird im Autokino Gravenbruch zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter. Dunkel muss es natürlich schon sein. Witterungsbedingt muss die Vorführung lediglich bei dichtem Nebel und Schneefall abgebrochen werden. Regen ist dagegen kein Hindernis für die beiden 6.000 Watt starken Projektoren. Die Sicht durch die nassen Autoscheiben lässt dann allerdings nach. Mancher Kinobesucher ließ deshalb schon so lange die Scheibenwischer laufen, bis die Batterie schwach wurde und der Filmvorführer mit einer Starthilfe einspringen musste. Das Programm in den Autokinos war früher nicht das aktuellste. Besonders gut „liefen“ Western, Krimis, Actionfilme und internationale Komödien, und im Nachtprogramm durften die berüchtigten Sexfilmchen der Siebzigerjahre nicht fehlen. Zu den echten Klassikern des Autokinos gehören neben „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Verdammt in alle Ewigkeit“ aber auch die Disneyfilme.

Die Knutschkrise ist überwunden

Um die Mitte der Achtzigerjahre schien die große Zeit des Autokinos vorbei zu sein. Neben der Konkurrenz des Fernsehens und der Einführung der Sommerzeit machte die „Knutschkrise“ dem Freiluftkino zu schaffen: Liebespärchen brauchten nicht mehr ins Autokino zu fahren, um ungestört sein zu können. Erst als die neuesten Blockbuster auch über die riesige Leinwand im Stadtwald flimmerten, ging es zu Anfang der Neunziger wieder aufwärts. Heute gibt es noch knapp 20 Autokinos in ganz Deutschland. Seit der Schließung des Autokinos Main-Taunus ist das „Autokino Frankfurt-Gravenbruch“, inzwischen unter dem Dach einer Kette, wieder einzigartig in der Region.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 23.03.2010

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