Aus der Geschichte einer Frankfurter Unternehmerfamilie

Zum 50. Todestag von Carl Adolf Schleussner am 12. November 2009

- Langfassung -

Über viele Generationen hinweg hat die Familie Schleussner eines der ältesten und bedeutendsten Unternehmen der fotochemischen und fototechnischen Branche geführt. Die Firma hatte schon den Weltmarkt erobert, als der junge Carl Adolf Schleussner 1920 in den Betrieb eintrat. Der erfolgreiche Unternehmer erlag vor 50 Jahren den Folgen eines Autounfalls.

Begonnen hatte alles am 21. September 1860 im Haus „Zum Standesämtchen“ auf dem Römerberg. An jenem Tag gestattete der Senat der Freien Stadt Frankfurt dem studierten Chemiker und bisherigen Apothekergehilfen Dr. Johann Carl Peter Ferdinand Schleussner (1830-1899), dort „ein chemisch pharmazeutisches Laboratorium zu errichten“. Damit führte Schleussner zunächst die Siegellackfabrik seines Schwiegervaters Franz Rinn fort, der er aber eine völlig neue Ausrichtung geben wollte. Denn er interessierte sich für die damals noch recht junge Kunst der Fotografie und begann, in seinem Laboratorium die Chemikalien zu produzieren, die zur Herstellung von Fotoplatten benötigt wurden.

Dr. Schleussners Röntgenplatten erobern den Weltmarkt

Noch mussten sich die Fotografen ihre Platten im „nassen“ Kollodium-Verfahren selbst gießen und sofort verwenden. Wesentlich einfacher zu handhaben waren die Trockenplatten, die der englische Arzt Richard C. Maddox 1871 erfand. Diese Neuheit machte sich Carl Schleussner bald zunutze. Er brachte unter der Marke „Dr. Schleussner’s Gelatine-Emulsionsplatten“ seine eigenen Trockenplatten heraus, die zum ersten Verkaufsschlager der Firma wurden. In seiner neu erbauten fotochemischen Fabrik in der Elbestraße im Frankfurter Bahnhofsviertel (1892) arbeitete Schleussner auch eng mit dem Physiker Konrad Wilhelm Röntgen zusammen. Kurz nach der ersten wissenschaftlichen Demonstration der X-Strahlen, der später nach ihrem Entdecker benannten Röntgenstrahlen, im Jahr 1896 stellte die Frankfurter Firma die allerersten Spezialplatten für die Röntgenfotografie her, womit sie rasch den Weltmarkt eroberte.

Pionier der Spielfilmindustrie

Im Laufe ihrer Firmengeschichte haben die Schleussners immer wieder früh den Wert neuer Erfindungen erkannt und innovativ für deren Durchsetzung gewirkt. Oft haben sie als Unternehmer auch über den engeren Bereich ihres eigentlichen Geschäfts hinausgeblickt. So engagierte sich Dr. Carl Moritz Schleussner (1868-1943), der Firmenchef in zweiter Generation, für die Entwicklung der Kinofilmindustrie. Im Februar 1908 beteiligte er sich an der Deutschen Bioscop GmbH, einer Filmproduktionsgesellschaft in Berlin, die er eineinhalb Jahre später ganz übernahm. Die Bioscop produzierte die frühesten Filme mit Asta Nielsen in Deutschland, wofür die Verträge im Mai 1911 in Frankfurt unterschrieben wurden. Zur Herstellung der Nielsenfilme entstand unter der technischen Leitung des begnadeten Kameramanns Guido Seeber 1911/12 das erste Filmstudio in Babelsberg, woraus sich später die dortige Ufa-Filmstadt entwickelte. Mit dem Spielfilm „Der Student von Prag“ mit Paul Wegener in der Hauptrolle setzte die Bioscop 1913 auch künstlerisch Maßstäbe. Kurz darauf, wahrscheinlich infolge einer wirtschaftlichen Krise seines Frankfurter Unternehmens vor Beginn des Ersten Weltkriegs, wollte Schleussner dennoch aus dem Filmgeschäft aussteigen. Nur mit hohen Verlusten konnte er schließlich 1917 seine Anteile an der Bioscop verkaufen. Erst 1922, als zudem die Inflation schon eingesetzt hatte, war er endgültig abgefunden.

Vom Film zum Radio

Im Jahr 1920 trat Carl Moritz Schleussners Sohn Carl Adolf (1895-1959) in das Familienunternehmen ein. Der damals 25-jährige Junior, der gerade sein Chemiestudium mit der Promotion abgeschlossen hatte, befasste sich zunächst als Leiter des wissenschaftlichen Laboratoriums der Schleussnerwerke mit der Weiterentwicklung von Röntgenfilmmaterial. Daneben interessierte er sich für etwas ganz Neues: für den Rundfunk, wofür er sich seit 1922 um eine Konzession für Frankfurt bemühte. Als Investor gewann er seinen Vater Carl Moritz Schleussner. Bei der Gründung der Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG (SÜWRAG) in Frankfurt am 7. Dezember 1923 übernahm der Senior den Vorsitz im Aufsichtsrat, den er bis 1932 innehatte. Der Sohn Carl Adolf Schleussner arbeitete derweil als Delegierter des Aufsichtsrats im Vorstand der SÜWRAG aktiv an Aufbau und Gestaltung des Frankfurter Rundfunks mit.1 Für die künstlerische Leitung des Senders holte er seinen Freund Hans Flesch, und als kaufmännischen Direktor verpflichtete er seinen Schwager Wilhelm Schüller, der später Fleschs Nachfolger in der Intendanz wurde. Kurz nach Sendebeginn des Südwestdeutschen Rundfunks am 1. April 1924 hielt Carl Adolf Schleussner dort den ersten Rundfunkvortrag. Auch war er Mitbegründer der „Rundfunk Organisations GmbH“ (Orga), die u. a. eine Programmzeitung herausgeben sollte, und er gehörte zum Verwaltungsrat der 1925 errichteten Reichs-Rundfunk-Gesellschaft. Erst mit der Verstaatlichung des Rundfunks 1932/33 waren die Schleussners wie alle privaten Aktionäre gezwungen, ihre Anteile zu verkaufen und sich zurückzuziehen. Dieser Zwangsverkauf an das Reich (zu einem Kurs von 216 Prozent abzüglich zehn Prozent Nachlass) erbrachte der Familie Schleussner allerdings einen guten Gewinn, den sie für ihre Fotowerke nutzen konnten.

Die Schleussnerwerke auf Celluloidbasis

Bereits Ende 1925 hatte Carl Adolf Schleussner den alleinigen Vorstand über die gesamte Firma übernommen. Das traditionsreiche Unternehmen steckte allerdings in der Krise, zumal es trotz entsprechender früher Bemühungen unter Carl Moritz Schleussner inzwischen den technischen Anschluss an die Rollfilmproduktion verpasst hatte. Vor allem war auch der Fabrikationsstandort in der Frankfurter Elbestraße problematisch geworden, da es durch die Luftverschmutzung infolge des Dampflokbetriebs in Bahnhofsnähe immer wieder zu Verunreinigungen des Plattenmaterials bzw. dessen Beschichtung durch Rußpartikel kam. Der Erlös aus dem Verkauf der alten Fabrik und eine Finanzspritze aus dem Engagement für den Rundfunk verhalfen Schleussner 1926 zum Neustart. Während der Stammsitz des Unternehmens mit Verwaltung und Vertrieb in Frankfurt verblieb, übernahm ein von Carl Adolfs Bruder Walter Carl Schleussner (1900-1956) geleitetes Zweigwerk in Köln die Plattenfabrikation. Die Verlegung der übrigen Produktion nach Neu-Isenburg, in eine frühere Lederfabrik auf einem Waldgelände mit reiner Luft und gutem Wasser (1927), ermöglichte endgültig den Einstieg in die Celluloidfilmherstellung. Künftig wurden dort Foto- und Röntgenfilme, Fotochemikalien und -papiere nach von Schleussner selbst neu entwickelten Methoden produziert. Bald glückte die Markteinführung des ersten eigenen Celluloidrollfilms für Fotozwecke, des „Tempo-Rot-Films“ (1929), und ab 1930 wurden auch Kinofilme mit der „Tempo“-Emulsion produziert. Im Mai 1931 gründete Schleussner außerdem ein eigenes Celluloid- und Lackwerk, die (zunächst in Flörsheim, seit 1934 in Wiesbaden-Biebrich angesiedelte) Cella GmbH, die Celluloidrohfilme und – als Nebenprodukt – Lacke auf Cellulosebasis herstellte. Kurz darauf nutzte der Unternehmenschef die Gewinne aus der erzwungenen Veräußerung der Rundfunkanteile für den Rückkauf von Schleussneraktien: Befanden sich 1926 nur 17 Prozent der Aktien noch im Familieneigentum, so konnte Carl Adolf Schleussner bis Mitte der Dreißigerjahre 75 Prozent in seinen persönlichen Besitz bringen. Im Jahr 1938, als der Start in die eigene Kameraherstellung unmittelbar bevorstand, wandelte er das Unternehmen in eine GmbH unter der Firma „ADOX Fotowerke Dr. C. Schleussner GmbH“ um. Mit dem neuen Namen bezog er sich auf die Markenbezeichnung „ADOX“, die er mit Rücksicht auf das angestrebte Auslandsgeschäft bereits seit 1925 für seine Produkte eingeführt hatte.

Ein Unternehmer in der NS-Zeit

Die Rolle von Carl Adolf Schleussner in der NS-Zeit ist noch nicht ausreichend historisch untersucht und daher nicht abschließend zu bewerten. Als Mitglied des Stahlhelms wurde der eher konservativ und deutschnational gesinnte Unternehmer korporativ in die SA eingegliedert, und seit 1936 war er nachweislich Mitglied der NSDAP. Der Einstieg in die eigene Kameraproduktion wurde ihm und seiner Firma Ende 1938 dadurch ermöglicht, dass er die Kamerafabrik der Gebrüder Wirgin in Wiesbaden nutzen, deren Maschinen, Werkzeuge, Einrichtungen und Warenlager erwerben sowie deren Personal übernehmen konnte, nachdem die jüdischen Eigentümer emigrieren und das Unternehmen liquidiert werden mussten. Eine komplette Übernahme der Firma Gebr. Wirgin hatte Schleussner allerdings abgelehnt. Später gab er an, dass er mit der Fortführung des Betriebs insbesondere Arbeitsplätze habe erhalten wollen. Auf der Grundlage und mit dem Knowhow des liquidierten jüdischen Unternehmens brachte Schleussner ab 1939 eigene Kameras unter der Marke „ADOX“ auf den Markt. Das Wiesbadener Kamerawerk wurde bei Beginn des Zweiten Weltkriegs jedoch schnell auf den Rüstungsbetrieb (und zwar zur Produktion von Teilen für Flugzeugmotoren) umgestellt. Das Engagement von Schleussner in der Rüstungsindustrie insgesamt ist ebenfalls noch nicht genügend erforscht. Weitere Tochterfirmen des Unternehmens, etwa die Cella GmbH, wurden auf die Rüstungsproduktion umgestellt, während die eigentlichen Fotowerke als „kriegswichtig“ zunächst uneingeschränkt weiterarbeiteten. Nach dem Verbot der zivilen Produktion von Fotofilmen im März 1943 konzentrierte sich das Werk in Neu-Isenburg ganz auf die Herstellung von Röntgen- und Materialuntersuchungsfilmen. So erinnerte sich einmal Carl Adolfs Sohn Hans Schleussner (* 1927): „Als (...) der Krieg ausbrach, wurde die Firma auch in das Rüstungsprogramm integriert, und mein Vater fuhr fast jede Woche einmal nach Berlin, um dort an den verschiedenen Ministerien für Kontingente zu sorgen. Vor allem der Röntgenfilm war ein kriegswichtiges Material. Im Laufe des Krieges wurden Röntgenfilme (...) als ‚Materialröntgenprüfungsfilme’ deklariert und (...) auch notwendig für die Durchleuchtung von Gussteilen, die bei den V-Waffen Verwendung fanden.“

Mit Golf und Polo ins Wirtschaftswunder

Bei einem schweren Luftangriff im Dezember 1943 wurde die Fabrik in Neu-Isenburg zu 80 Prozent zerstört. In einem benachbarten Emaillierwerk, das Schleussner 1933 zusammen mit seinem Schwager Wilhelm Schüller erworben hatte und 1939 kriegsbedingt stilllegen musste, setzte er mit einer dort aufgestellten und deshalb geretteten Röntgenfilmmaschine die Produktion dennoch fort. Dank einem unverzüglichen provisorischen „Wiederaufbau“ konnte er seine „kriegswichtigen“ Mitarbeiter weiterhin beschäftigen. „Hätten wir diese Spezialisten verloren“, so meinte wiederum Hans Schleussner einmal, wäre es auch nach Kriegsende „sehr schwer gefallen, eine Neuproduktion aufzubauen.“ Noch in der Wiederaufbauphase des Werks nach dem Krieg (bis 1953) wurde der Betrieb zur Kameraherstellung in Wiesbaden an die Familie Wirgin als den ursprünglichen Eigentümer zurückverkauft (1948), wohl unter freundlicher Einigung mit Henry Wirgin, der die alte Firma in Wiesbaden neu eröffnete und fortführte. Das ADOX-Kamerawerk verlegte Schleussner daraufhin auf das Gelände der Unternehmenstochter Cella in Wiesbaden. 1952 kam das erste erfolgreiche eigene Kameramodell heraus, die 6 x 6-Rollfilmkamera „ADOX Golf“, der 1959 übrigens die Kleinbildkamera „ADOX Polo“ folgte. (Offenbar kam ein gewisser Autohersteller nicht als erster auf die Idee mit den „sportlichen“ Namen für seine Modelle!)

Ein Serum zur Bestimmung des Rhesusfaktors

Anfang der fünfziger Jahre, als die wieder florierenden Schleussnerwerke in den südamerikanischen Markt einsteigen wollten, reiste Carl Adolf Schleussner mehrfach nach Brasilien und Argentinien. Bei einem Aufenthalt in Rio 1952 wurde er von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Jahre später, am 12. November 1959, starb er an den Folgen des Unfalls. Nach seinem Tod entschloss sich die Familie, die ADOX-Werke, das eigentliche Stammhaus, zu verkaufen (1962). Den Kern der Unternehmensgruppe Dr. Schleussner bildet heute die „Biotest AG“, die Carl Adolf Schleussner gemeinsam mit seinem Sohn Hans als „Biotest-Serum-Institut“ 1946 in Frankfurt gegründet hat. Sie produziert und vertreibt Pharmazeutika auf dem Gebiet der Hämatologie und Immunologie. Seit 1948 stellte die Firma als eine der ersten in Europa ein Serum zur Bestimmung des 1940 entdeckten Rhesusfaktors her. Mittlerweile ist das in Dreieich ansässige und global tätige Unternehmen im Geschäftsumfang mit den alten Fotowerken vergleichbar. An die technologischen Erfahrungen aus der Filmherstellung knüpft die Familie mit kleineren Tochterfirmen an, der Celfa AG (seit 1951) und der Folex AG (seit 1957) in der Schweiz, die in der Folien- und Beschichtungstechnik teilweise marktführend sind.

Wegbereiter der Festspiele in Bayreuth

Kurz vor seinem Tod versuchte sich Carl Adolf Schleussner noch einmal als Pionier und Promotor eines neuen Mediums. Nach einem ähnlichen privaten Investorenmodell wie bei der Errichtung des Rundfunks in den Zwanzigerjahren wollte er mit der Gründung einer „Westdeutschen Fernseh AG“ in Wiesbaden und Frankfurt 1958 ein „Freies Fernsehen“ initiieren, sozusagen als „zweites Programm“ neben dem öffentlich-rechtlichen der ARD, wofür er aber keine Sendekonzession erhielt. Erfolgreich war er dagegen als Gründer des Kuratoriums Bayreuth, das nach dem Zweiten Weltkrieg die dortigen Festspiele wieder ermöglichte. Damit hatte Carl Adolf Schleussner erneut bewiesen, dass auch kulturelle Konzepte eine unternehmerische Chance brauchen – und verdienen.

Sabine Hock

1 In der einschlägigen Literatur zur Rundfunkgeschichte, etwa bei Michael Crone in seiner „Kleinen Chronologie des Rundfunks in Hessen“ (in: Heiner Boehncke/Michael Crone/Hans Sarkowicz [Hg.]: FunkBilder, Fotos und Texte zur Geschichte des Rundfunks in Hessen, Frankfurt am Main 1990, S. 202), findet sich gelegentlich, unter Verwechslung von Vater und Sohn Schleussner, die irrige Angabe, dass Carl Adolf Schleussner der Aufsichtsratsvorsitzende der Südwestdeutschen Rundfunk(dienst) AG (SÜWRAG) gewesen sei. Bei der Recherche zu dem Artikel über die Familie Schleussner in der Frankfurter Biographie, Bd. 2 (1996), S. 287-291, hat d. Verf. anhand von Akten der SÜWRAG (Nr. 166-178) im Nachlass Schleussner (S1/58) im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt die Personalia Schleussner zur Rundfunkgeschichte geprüft, woraus sich eindeutig ergab, dass tatsächlich Carl Moritz Schleussner den Vorsitz im Aufsichtsrat der SÜWRAG innehatte.

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