Spross einer Frankfurter Unternehmerdynastie

Vor 50 Jahren starb der Frankfurter Unternehmer Carl Adolf Schleussner

Über viele Generationen hinweg hat die Familie Schleussner eines der ältesten und bedeutendsten Unternehmen der fotochemischen und fototechnischen Branche geführt. Die Firma hatte schon den Weltmarkt erobert, als der junge Carl Adolf Schleussner 1920 in den Betrieb eintrat. Der erfolgreiche Unternehmer erlag vor 50 Jahren den Folgen eines Autounfalls.

Frankfurt am Main (pia) Begonnen hatte alles am 21. September 1860 im Haus „Zum Standesämtchen“ auf dem Römerberg. An jenem Tag gestattete der Senat der Freien Stadt Frankfurt dem Großvater von Carl Adolf Schleussner, dem studierten Chemiker Dr. Carl Schleussner, dort „ein chemisch pharmazeutisches Laboratorium zu errichten“. Großvater Schleussner interessierte sich für die damals noch junge Kunst der Fotografie und begann, in seinem Laboratorium die Chemikalien zu produzieren, die zur Herstellung von Fotoplatten benötigt wurden.

Mit Röntgenplatten erobert die Firma den Weltmarkt

Noch mussten sich die Fotografen ihre Platten im „nassen“ Kollodium-Verfahren selbst gießen und sofort verwenden. Wesentlich einfacher zu handhaben waren Trockenplatten, die der englische Arzt Richard C. Maddox 1871 erfand. Diese Neuheit machte sich Firmengründer Schleussner bald zunutze. Er brachte unter der Marke „Dr. Schleussner's Gelatine-Emulsionsplatten“ seine eigenen Trockenplatten heraus, und sie wurden zum ersten Verkaufsschlager der Firma. In seiner neuen fotochemischen Fabrik im Bahnhofsviertel arbeitete Schleussner auch eng mit dem Physiker Konrad Wilhelm Röntgen zusammen. Kurz nach der ersten wissenschaftlichen Demonstration der X-Strahlen, der später nach ihrem Entdecker benannten Röntgenstrahlen, im Jahr 1896 stellte die Frankfurter Firma die allerersten Spezialplatten für die Röntgenfotografie her, womit sie rasch den Weltmarkt eroberte.

Fotochemikalien, Röntgenfilme und Kameras

1920 trat der damals 25 Jahre alte Enkel Carl Adolf Schleussner in das inzwischen von seinem Vater geführte Familienunternehmen ein. Der promovierte Chemiker befasste sich zunächst als Leiter des wissenschaftlichen Laboratoriums der Schleussnerwerke mit der Weiterentwicklung von Röntgenfilmmaterial. Ende 1925 übernahm er den alleinigen Vorstand über das gesamte Unternehmen. Mit Rücksicht auf das Auslandsgeschäft benannte er die Firma in „ADOX Fotowerke Dr. C. Schleussner GmbH“ um. Die Produktion von Foto- und Röntgenfilmen, Fotopapieren und -chemikalien sowie Fotoplatten verlegte er nach Neu-Isenburg und Köln, und später erweiterte er das Unternehmen noch um ein Werk zur Herstellung von Kameras in Wiesbaden. Den Stammsitz in Frankfurt am Main aber gab er bei aller Expansion nicht auf.

Ein Serum zur Bestimmung des Rhesusfaktors

Anfang der fünfziger Jahre, als die Schleussnerwerke in den südamerikanischen Markt einsteigen wollten, reiste Carl Adolf Schleussner mehrfach nach Brasilien und Argentinien. Bei einem Aufenthalt in Rio 1952 wurde er von einem Auto angefahren und schwer verletzt. An den Folgen des Unfalls starb er am 12. November 1959. Nach seinem Tod entschloss sich die Familie, die ADOX-Werke, das eigentliche Stammhaus, zu verkaufen. Den Kern der Unternehmensgruppe Dr. Schleussner bildet heute die „Biotest AG“, die Carl Adolf Schleussner gemeinsam mit seinem Sohn Hans als „Biotest-Serum-Institut“ 1946 in Frankfurt gegründet hat. Sie produziert und vertreibt Pharmazeutika auf dem Gebiet der Hämatologie und Immunologie. Seit 1948 stellte die Firma als eine der ersten in Europa ein Serum zur Bestimmung des 1940 entdeckten Rhesusfaktors her. Mittlerweile ist das in Dreieich ansässige und global tätige Unternehmen im Geschäftsumfang mit den alten Fotowerken vergleichbar.

Engagiert in Filmindustrie und Rundfunkentwicklung

Im Laufe ihrer Firmengeschichte haben die Schleussners immer wieder früh den Wert neuer Erfindungen erkannt und innovativ für deren Durchsetzung gewirkt. So engagierte sich Carl Moritz Schleussner, der Vater von Carl Adolf, schon vor dem Ersten Weltkrieg für die Entwicklung der Kinofilmindustrie. Seit 1908 war er an der Deutschen Bioscop beteiligt, einer Berliner Filmproduktionsgesellschaft, die er eineinhalb Jahre später ganz übernahm und die die frühesten Filme mit Asta Nielsen in Deutschland produzierte. In den zwanziger Jahren dann investierten die Schleussners in das neue Medium Rundfunk. Bei der Gründung der Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG (SÜWRAG) in Frankfurt 1923 übernahm Carl Moritz Schleussner den Vorsitz im Aufsichtsrat, den er bis 1932 innehatte. Sohn Carl Adolf wirkte als Delegierter des Aufsichtsrats im Vorstand der SÜWRAG aktiv an Aufbau und Gestaltung des Frankfurter Rundfunks mit. Kurz nach Sendebeginn des Südwestdeutschen Rundfunks am 1. April 1924 hielt er dort auch den ersten Rundfunkvortrag. Erst mit der Verstaatlichung des Rundfunks 1932/33 waren die Schleussners wie alle privaten Aktionäre gezwungen, ihre Anteile zu verkaufen und sich zurückzuziehen.

Wegbereiter der Festspiele in Bayreuth

Kurz vor seinem Tod versuchte sich Carl Adolf Schleussner noch einmal als Pionier und Promotor eines neuen Mediums. Nach einem ähnlichen privaten Investorenmodell wie bei der Errichtung des Rundfunks in den zwanziger Jahren wollte er mit der Gründung einer „Westdeutschen Fernseh AG“ in Wiesbaden und Frankfurt 1958 ein „Freies Fernsehen“ initiieren, sozusagen als „zweites Programm“ neben dem öffentlich-rechtlichen der ARD, wofür er aber keine Sendekonzession erhielt. Erfolgreich war er dagegen als Gründer des Kuratoriums Bayreuth, das nach dem Zweiten Weltkrieg die dortigen Festspiele wieder ermöglichte. Damit hatte Carl Adolf Schleussner erneut bewiesen, dass auch kulturelle Konzepte eine unternehmerische Chance brauchen – und verdienen.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 05.11.2009

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