Er half Frankfurt auf den Sprung in die Moderne

Zum 100. Todestag von Leopold Sonnemann (1831-1909) am 30.10.2009

- Langfassung -

Zur Zeitung kam Leopold Sonnemann eher zufällig. Die Idee, ein eigenes Blatt zu gründen, wurde im Sommer 1856 an den damals 24-jährigen Bankier von seinem kaum älteren Berufskollegen Heinrich Bernhard Rosenthal herangetragen. Dieser verschickte an seine Kunden schon seit einiger Zeit regelmäßig einen Brief mit unabhängigen Börsen- und Handelsnachrichten, den er nun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. So brachten Sonnemann und Rosenthal am Montag, den 21. Juli 1856, erstmals den „Frankfurter Geschäftsbericht“ heraus. Aus dem vierseitigen Blättchen entwickelte sich im Laufe eines Jahrzehnts die „Frankfurter Zeitung“ (FZ), eine überregionale Tageszeitung von Weltruf, die bis zu ihrem Verbot durch Hitler 1943 deutsche Pressegeschichte geschrieben hat.

Als Leopold Sonnemann vor 100 Jahren starb, hatte er jedoch nicht nur das Gesicht der von ihm gegründeten und verlegten Zeitung geprägt. Auch seine Wahlheimatstadt Frankfurt sähe ohne ihn anders aus. So engagierte er sich für den Bau des Palmengartens und der heutigen Alten Oper, des Hauptbahnhofs und des Osthafens, des Eisernen Stegs und der Festhalle. Er holte die Internationale Elektrotechnische Ausstellung nach Frankfurt, die mit dem geglückten Experiment der Fernübertragung elektrischen Stroms von Lauffen nach Frankfurt 1891 den Startschuss zur Elektrifizierung der Welt gab. Als Stifter und Mäzen gründete er etwa den Städel’schen Museumsverein, den Förderverein des Städel’schen Kunstinstituts, dem er neun Jahre lang vorstand. Bis heute bereichern Sonnemanns Schenkungen die Bestände der Frankfurter Museen und Bibliotheken. Kurzum: Leopold Sonnemann kann als der eigentliche Mentor für Frankfurts Entwicklung zur modernen Großstadt gelten, die er immer auf demokratischer Basis in der Tradition des Paulskirchenparlaments von 1848 verwirklicht sehen wollte. Wie Sonnemann Frankfurt auf den Sprung in die Moderne half, zeigt jetzt eine Ausstellung im Historischen Museum, die zu seinem 100. Todestag eröffnet wird.

Am 29. Oktober 1831 wurde Leopold Sonnemann als Sohn fränkischer Dorfjuden in Höchberg bei Würzburg geboren. Nach antijüdischen Ausschreitungen in dem kleinen Ort 1840 wollte die Familie nach Frankfurt übersiedeln, wo sie jedoch keine Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Der Vater Meyer Sonnemann nahm daher seinen Wohnsitz in Offenbach und betrieb eine Tuchhandlung im benachbarten Frankfurt. Sohn Leopold musste gegen seinen Willen 1845 die Realschule verlassen, um in die väterliche Firma einzutreten. Täglich ging der 14 Jahre alte Lehrling zu Fuß früh morgens von Offenbach ins Geschäft nach Frankfurt und spät abends wieder zurück. Dennoch stand der bildungshungrige Junge freiwillig um fünf Uhr auf, um vor der Arbeit wenigstens zwei Stunden lang deutsche, französische und englische Klassiker zu lesen. Erst 1849 erhielt der Vater endlich das israelitische Bürgerrecht in Frankfurt, und die Familie zog dorthin um. Nach dem frühen Tod beider Eltern innerhalb weniger Wochen 1853 übernahm Leopold Sonnemann die Firma, die er bald in ein reines Bankgeschäft umwandelte. Bereits 1869 hatte er ein so beachtliches Vermögen erworben, dass er die aktive Bankierstätigkeit aufgab. Ohne wirtschaftliche Sorgen konnte er sich fortan ganz seiner publizistischen und politischen Tätigkeit widmen.

Das Streben nach Modernisierung und Demokratisierung leitete Sonnemann auch beim Ausbau der von ihm mitbegründeten Zeitung. Eigentlich hatten er und Rosenthal den „Frankfurter Geschäftsbericht“ nur als provisorisches Blättchen geplant, das potentiellen Anlegern vorübergehend Orientierung am chaotisch emporwachsenden Aktienmarkt bieten sollte. Doch der „Geschäftsbericht“ kam so gut an, dass die beiden Gründer ihn bereits nach einmonatigem Erscheinen im August 1856 in die „Frankfurter Handelszeitung“ umwandelten, eine liberale Wirtschaftszeitung von unbestechlicher Qualität, für die Sonnemann vor allem „Erörterungen über das Bank- und Börsenwesen“ lieferte. Im Oktober 1858 erschien dann der erste politische Kommentar in dem Blatt, und mit der Umbenennung zur „Neuen Frankfurter Zeitung“ am 1. September 1859 wurde endgültig der Wandel von der reinen Wirtschafts- zur politischen Tageszeitung vollzogen. Sonnemann focht darin vehement für Deutschlands Einigung – nicht unter Preußens Führung, sondern auf der Grundlage freier Wahlen. Nach Frankfurts Okkupation durch Preußen 1866 wurden daher auch die Redaktionsräume militärisch besetzt. Schon wenige Tage zuvor war Sonnemann jedoch nach Stuttgart geflohen, um dort das Blatt als „Neue Deutsche Zeitung“ weiter erscheinen zu lassen.

Mit der Rückkehr nach Frankfurt gab Sonnemann dem Blatt nochmals einen neuen Titel, unter dem es ab 16. November 1866 erschien: „Frankfurter Zeitung“. Als Alleineigentümer richtete er die FZ radikal demokratisch aus – in ihrer politischen Grundhaltung wie in ihrer redaktionellen Organisation. So gab es traditionell keinen Chefredakteur, wie sich der Nationalökonom und FZ-Mitarbeiter Karl Bücher erinnerte: „Die Redaktion, zu der sich Sonnemann selbst rechnete, bildete eine autonome Körperschaft, die in ihren Konferenzen zwar über die allgemeine Richtung der Zeitung bestimmen konnte, aber jedem einzelnen Redakteur volle Freiheit in der Vertretung seiner Ueberzeugung gestattete, solange diese sich innerhalb der Grundsätze der Volkspartei hielt.“ Für die Deutsche Volkspartei, die Sonnemann 1868 mitbegründet hatte, saß er von 1871 bis 1884 – mit einer kurzen Unterbrechung 1877/78 – im Reichstag. Zudem war er in Frankfurt von 1869 bis 1880 und von 1887 bis 1904 Stadtverordneter. Allein 24 Jahre lang arbeitete er im zentral wichtigen Finanzausschuss mit, wo er u. a. die Reform des städtischen Steuerwesens mitverantwortete.

Der Einsatz der FZ als Kampfblatt für die Demokratie hatte allerdings auch seinen Preis. Im neu gegründeten Deutschen Reich ab 1871 hagelte es unter Bismarck Strafantrag auf Strafantrag gegen die Zeitung und ihre Redakteure. In den wenigen Jahren bis 1879 wurden Mitarbeiter des Blattes insgesamt zu rund 40 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Einmal, während eines groß inszenierten Zeugniszwangsverfahrens gegen die FZ im Sommer 1875, waren sogar sechs Mitabeiter gleichzeitig in Haft. Auch Sonnemann selbst blieb nicht verschont und musste im Stadtgefängnis im Klapperfeld einsitzen. Nicht zuletzt die weitreichenden Verbote der FZ wirkten sich geschäftlich fatal aus. Um die Zeitung langfristig zu erhalten, setzte Sonnemann daher ab 1879 verstärkt auf deren Ausbau zu einem internationalen Nachrichtenblatt. Als dessen wichtigste Qualitätsmerkmale sah er die Schnelligkeit der Information und insbesondere die Zuverlässigkeit in der Berichterstattung oder – in Sonnemanns Worten – die „Gewissenhaftigkeit der Thatsachen-Prüfung“. Damit gab Sonnemann letztlich Maßstäbe vor, die nicht nur einst für die FZ, sondern bis heute für die gesamte Presse zur Verpflichtung geworden sind.

Mangels eines persönlichen Nachfolgers gründete Leopold Sonnemann 1893 das Zeitungsunternehmen in eine Kapitalgesellschaft um, die „Frankfurter Societätsdruckerei G. m. b. H.“, deren Vorsitz im Aufsichtsrat er übernahm. Bald nach der Feier seines 70. Geburtstags 1901 zog er sich infolge der „Gebrechlichkeit des Alters“ allmählich mehr aus dem Zeitungsbetrieb zurück. In seinen letzten Jahren war er – wie ein Nachruf berichtet – sogar „in das Krankenzimmer gebannt“, was „ihn nicht davon ab[hielt], bis zuletzt die Vorgänge im Leben der ‚Frankfurter Zeitung’ und der Demokratischen Partei mit stetiger Teilnahme zu verfolgen und bei manchen Entscheidungen selber einzugreifen“. Am 30. Oktober 1909, einen Tag nach seinem 78. Geburtstag, starb Leopold Sonnemann.

„In Betreff meiner Zeitungsunternehmungen“, so hatte er in seinem Testament verfügt, „habe ich den Wunsch, daß dieselben in dem gleichen Geiste, in welchem sie von mir die lange Reihe von Jahren geführt worden sind, weitergeführt werden. Politisch freiheitlich, in sozialpolitischer Hinsicht jederzeit gerecht und reformfreundlich, immer zur Unterstützung der wirtschaftlich Schwachen geneigt.“ Seine Nachfolger, insbesondere seine 1906/07 in den Betrieb eingetretenen Enkel Heinrich und Kurt Simon, erfüllten ihm den letzten Willen. Die FZ wurde wegen ihres internationalen Ansehens auch nach 1933 lange nicht verboten, obwohl sie den nationalsozialistischen Machthabern missliebig war. Auf Befehl Hitlers wurde das Blatt schließlich doch eingestellt. Am 31. August 1943 erschien die Frankfurter Zeitung zum letzten Mal.

Sabine Hock

Die in Kooperation mit dem Jüdischen Museum entstandene Ausstellung „Frankfurts demokratische Moderne und Leopold Sonnemann. Jude – Verleger – Politiker – Mäzen“ ist vom 29. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010 im Historischen Museum in Frankfurt, Saalgasse 19, zu sehen.
Zu der Ausstellung erscheint im Societäts-Verlag ein Begleitbuch (336 Seiten mit über 300 farbigen Abbildungen) zum Preis von 24,80 Euro.

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