Die Frankfurter Mona Lisa

Vor 150 Jahren malte Courbet seine rätselhafte „Dame de Francfort“

Im August 1858 kam der Maler Gustave Courbet zu einem sechsmonatigen Aufenthalt in die Stadt am Main. Insgesamt schuf er in dieser Zeit zwölf Bilder, darunter das Ölgemälde „La Dame de Francfort“ oder „Dame auf der Terrasse". Das geheimnisumwitterte Bild entstand vermutlich im Auftrag eines wohlhabenden Frankfurter Bürgers.

Frankfurt am Main (pia) Zu gerne würde die Betrachterin einmal unhöflich sein und ihr Gegenüber einfach ansprechen. Da sitzt sie, die vornehme Dame mit dem wallenden kastanienbraunen Haar und dem üppigen weißen Kleid, vor einem Sorbet auf der Terrasse, ganz in sich versunken, so dass die Voyeurin schließlich doch beschämt den Blick wegschweifen lässt, über das Eisengeländer durch den dahinter liegenden Landschaftspark bis zu der Hügelkette am Horizont. Die Dame würde ihr Geheimnis ohnehin nicht preisgeben. Keiner weiß, wer sie ist und wo sie sitzt - auch wenn sie ganz bestimmt aus Frankfurt kommt. Vor 150 Jahren, im Herbst 1858, hat Gustave Courbet die „Dame auf der Terrasse“ während seines Aufenthalts in der Mainstadt gemalt.

Der Maler erregte Aufsehen

In Frankfurt hatte Courbet früh Freunde seiner Kunst gefunden. Bereits im März 1852 ließ der seinerzeit heftig umstrittene Maler hier zwei seiner Gemälde zeigen, „Die Steinklopfer“ (1849) und „Ein Begräbnis in Ornans“ (1850), die wegen ihrer realistischen Darstellung in Frankreich äußerst provokant gewirkt hatten. Auch in der Freien Stadt am Main erregten sie so großes Aufsehen, dass im Casino gar ein Schild gehangen haben soll: „Es ist verboten, hier über Herrn Courbet zu sprechen.“ Nach weiteren Ausstellungen, zuletzt im Kunstverein im Januar 1858, kam Courbet selbst im August 1858 zu einem sechsmonatigen Aufenthalt nach Frankfurt. In dieser Zeit schuf er zwölf Bilder, darunter das Ölgemälde „La Dame de Francfort“ oder „Dame auf der Terrasse“ (heute im Wallraf-Richartz-Museum in Köln), das wahrscheinlich im Auftrag eines wohlhabenden Frankfurter Bürgers entstand.

Dame mit Hund

Bekannt als leidenschaftlicher Jäger, hatte Courbet in Frankfurt bald Zugang zur besseren Gesellschaft gefunden. Er wurde zur Jagd im Taunus oder Spessart eingeladen und konnte sich rühmen, am Sylvesterabend 1858 „einen riesigen Hirsch“ erlegt zu haben. Aus den Kreisen der vermögenden Jagdfreunde dürfte die gesuchte Dame stammen, worauf auch der Hund, ein edles Windspiel, auf der Terrasse hinweist. Lange favorisierte die Kunstgeschichte eine Frau aus der Familie des Frankfurter Bankiers Raphael von Erlanger, die der Maler schon früher in Baden-Baden kennengelernt hatte. Gelegentlich fielen in der Diskussion um Courbets Dame auch andere Frankfurter Namen. Vor einigen Jahren schaltete sich der Lokalforscher Alfred Andreae-von Neufville ein, um das berühmte Gemälde in seiner eigenen Familiengeschichte zu verorten. Aufgrund scheinbar untrüglicher Indizien identifizierte er die Dame als seine Urgroßtante Pauline, die Ehefrau des Malers Eduard Wilhelm Pose, die auf der Terrasse ihres Elternhauses Hochstraße 24 in den Wallanlagen sitzen soll.

Ließ Courbet einen unliebsamen Konkurrenten verschwinden?

Die Kunsthistorikerin Bettina Erche spann Andreaes Version in einem „Spiel der Vermutungen“ gar bis zur Konsequenz des Ehebruchs von Pauline mit Courbet weiter. Als Anzeichen dafür diente Erche der Mann, der einst auf dem Gemälde mit der Dame am Tischchen saß und dann so notdürftig übermalt wurde, dass er durch die oberste Malschicht (noch oder wieder) hindurchwächst. Dieser kaum erkennbare Herr, so Erche, sollte Pose sein, Paulines „lästiger Ehemann“, den Courbet aus Rache von der Bildfläche verschwinden ließ - allerdings nicht ganz, um den Kollegen oder Konkurrenten eben sichtbar zu brüskieren. Tatsächlich könnte Courbet das Bild vor dem Hintergrund der Wallanlagen und der dazu gehörigen Gärten gemalt haben, des ältesten Landschaftsparks in Frankfurt, angelegt ab 1806 von dem späteren Stadtgärtner Sebastian Rinz. Zweifelhaft ist, ob er es an der von Andreae vorgeschlagenen Stelle tat. Die erhaltenen Gartenansichten des kriegszerstörten Hauses Hochstraße 24 stimmen kaum mit Courbets Bild überein. So fehlen auf den historischen Abbildungen des dortigen Gartens wesentliche der von Courbet gemalten Gestaltungselemente, insbesondere Teich und Pavillon.

Ein ungelöstes Rätsel

Als die Frankfurter Neue Presse ihre Leser in einem Preisausschreiben zum 100. Geburtstag von Courbets „Dame“ 1958 aufrief, den Entstehungsort des Bildes zu finden, tippten gleich mehrere Einsender auf verschiedene Plätze in den Wallgärten. Aber auch andere alte Landschaftsparks in Frankfurts Umgebung wurden genannt, u. a. der Brentanopark in Rödelheim, der Bernuspark in Bockenheim, das Hofgut Goldstein und der Günthersburgpark in Bornheim. Der Kunsthistoriker Hans Voss äußerte die seitdem oft bevorzugte Ansicht, dass das Bild auf dem Landgut St. Georgen vor Oberrad entstand, was sich jedoch bei näherer Betrachtung ebenfalls als wenig stichhaltig erweist. Möglicherweise ist damit zu rechnen, dass Courbet das Bild gar nicht in so unmittelbarer Umgebung der Stadt schuf. Immerhin nennt er es nur „Dame de Francfort“, also „Dame aus Frankfurt“, was ja nicht bedeuten muss, dass dieselbe auch in Frankfurt dargestellt wurde. Überhaupt ist es vielleicht nicht wirklich wünschenswert, die Identität des Ortes und der Dame auf dem Bild aufzudecken. Die zauberhafte Herbststimmung des Werkes würde durch das Wissen zwar nicht verdorben, aber das Geheimnis um Courbets Dame lässt das Gemälde eigentlich nur noch interessanter scheinen.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 09.10.2008

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