Neues von „Frau Aja“

Am 13. September vor 200 Jahren ist Goethes berühmte Mutter gestorben

Sie war wohl die populärste Frankfurterin des 18. Jahrhunderts: Goethes Mutter. Doch ist vieles, was aus dem Leben der „Frau Aja“ überliefert ist, zwischen Dichtung und Wahrheit angesiedelt. Eine Ausstellung des Freien Deutschen Hochstifts gedenkt nun der vor 200 Jahren verstorbenen Dichtermutter – dort, wo sie lange wohnte: im Haus der Familie am Großen Hirschgraben.

Frankfurt am Main (pia) Eine letzte Einladung sagte Catharina Elisabeth Goethe ab. „Die Frau Rat kann nit kommen“, soll sie haben ausrichten lassen, „sie hat alleweil zu sterben.“ Der 77-Jährigen, die an „Brustwassersucht“ litt, war schon seit einigen Tagen nicht wohl. Sie ordnete nun ihr Begräbnis genau an, bestimmte die Weinsorte und sogar die Größe der Brezeln, die zum Leichenschmaus gereicht werden sollten. Ihren Mägden schärfte sie ein, ja nicht zu wenig Rosinen in den Kuchen zu backen – das könne sie nicht leiden und würde sie noch im Grabe ärgern. Spät abends ließ sie ihren Hausarzt Dr. Melber rufen und bat ihn, sie nicht eher zu verlassen, als bis sie tot sei. Er erfüllte ihr den Wunsch. Am Mittag des folgenden Tages, den 13. September 1808, ist Catharina Elisabeth Goethe gestorben. Bis heute ist sie unvergessen – ihres berühmten Sohnes Johann Wolfgang wegen. Um das Leben der wohl bekanntesten Dichtermutter ranken sich allerlei Anekdoten und Legenden. Auch von jenen Geschichten aus ihren Sterbestunden weiß niemand, ob sie Dichtung oder Wahrheit sind.

Mythos einer Mutter

Zum 200. Todestag wird Catharina Elisabeth Goethe jetzt eine große Ausstellung gewidmet, die vom 28. August bis 30. Dezember im Goethe-Haus und -Museum in Frankfurt zu sehen ist. An historischer Stätte im Großen Hirschgraben, wo die Familie einst wohnte, wird der Lebensweg der Frau Rat Goethe nachgezeichnet. Erstmals wird außerdem der erstaunliche Prozess der Legendenbildung um die Dichtermutter verfolgt – wobei sich manch „altbekannte Tatsache“ über „Frau Aja“ als reine Erfindung entpuppt. Schon dieser Name gehört zum Mythos um ihre Person. Nach eigener Erinnerung will der Sohn nicht unschuldig an der „Taufe“ sein. In seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“ erzählt Goethe von einem heiteren Abend im Mai 1775, als die beiden Grafen Stolberg und Graf Haugwitz zu Gast im Hirschgraben waren. Die vier jungen Männer tranken und flachsten und sollen die gastfreundliche Hausherrin spontan als „Frau Aja“ angesprochen haben, angeblich nach der Mutter der vier Haimonskinder in dem damals noch beliebten Volksbuch. Tatsächlich taucht der Kosename aber bereits ein Jahr früher auf: im Haushaltsbuch von Johann Caspar Goethe, der seine Gattin darin „Frau Aia“ nennt und damit wohl die seinerzeit übliche Bezeichnung für die Erzieherin der Kinder bei Hofe aufgreift. Jedenfalls schmückte sich Catharina Elisabeth künftig nur zu gern mit diesem „Titel“.

Die „Lust zu fabulieren“

Am 19. Februar 1731 wurde Catharina Elisabeth als Tochter des späteren Stadtschultheißen Johann Wolfgang Textor in Frankfurt geboren. Im Alter von 17 Jahren wurde das Mädchen 1748 mit dem 21 Jahre älteren Kaiserlichen Rat Johann Caspar Goethe verheiratet. Nach fast genau einjähriger Ehe gebar die junge Frau am 28. August 1749 ihr erstes Kind, den Sohn Johann Wolfgang. Knapp anderthalb Jahre später bekam sie die Tochter Cornelia. Im folgenden Jahrzehnt brachte die Rätin fünf weitere Kinder zur Welt; drei davon überlebten das Kleinkindalter nicht, eines wurde tot geboren, und der zweite Sohn Hermann Jakob starb 1759 mit sechs Jahren. Über die dürren Fakten hinaus ist allerdings fast nichts aus den frühen Jahren von Catharina Elisabeth verbürgt. Die später so umfangreiche Korrespondenz der Rätin setzt erst 1774 ein, wobei aber nahezu alle Briefe an den Sohn bis 1792 von Goethe vernichtet wurden. Wir wissen kaum etwas über „Frau Ajas“ Ehe, ihre Erziehungsprinzipien, das Verhältnis zu ihrem Mann und ihren Kindern, auch wenn immer wieder darüber spekuliert wurde. So drängt sich letztlich doch das Bild vor, das Goethe von seiner Mutter gezeichnet hat, am prägnantesten wohl in dem berühmten Vers: „Vom Vater hab ich die Statur, / Des Lebens ernstes Führen, / Vom Mütterchen die Frohnatur / Und Lust zu fabulieren.“

Die Grüne Soße ist nicht ihre Erfindung

Zum Idealbild der „Frau Aja“ gehört, dass sie gerne zum Inbegriff der deutschen Hausfrau stilisiert wurde. Auch mit diesem Vorurteil räumt die Ausstellung gründlich auf. Der Haushalt war Catharina Elisabeth eher lästig. Die Monate Mai und Juni, in denen sie besonders viele Hausarbeiten – vom Buttereinmachen bis zur großen Wäsche – zu organisieren hatte, waren ihr die „fatalsten im gantzen Jahr“, wie sie ihrer späteren Schwiegertochter Christiane Vulpius gestand: „Die Frau Rath kommt da aus ihrem gerick und geschick – kan nicht ordentlich Leßen – Clavir spielen – Spitzen klöpplen – und ist Seelenfroh, wenn alles wieder den alten Gang geht.“ Selbst die Küche war "nicht das Reich der Rätin“, stellt Kuratorin Doris Hopp fest: „Sie hatte Zeit ihres Lebens eine eigene Köchin. War die einmal krank, ließ sie sich bei Freunden einladen.“ Ernüchterndes Fazit: Es gibt also auch keine authentischen Rezepte der „Frau Aja". Und schon gar nicht hat sie die Grüne Soße erfunden. Bereits um 1700 brachten vielmehr italienische Händler ihre „salsa verde“ in die Messestadt am Main mit. In der "klassischen“ Zusammensetzung aus den sieben Kräutern ist das Frankfurter Nationalgericht sogar erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt.

Eine Frankfurter Sehenswürdigkeit

Eine weitere Überraschung offenbaren die erstmals öffentlich gezeigten Geschäfts- und Haushaltsbücher der Rätin, die sich im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar erhalten haben. Nach einem schweren Schlaganfall ihres Mannes im Herbst 1780 musste Catharina Elisabeth die Verwaltung der Familienfinanzen übernehmen – und sie meisterte diese Aufgabe bravourös. Die Bücher weisen sie als eine kluge und manchmal sogar gerissene Geschäftsfrau aus. Gerade weil sie rechnen konnte, gab sie 1795 das große Haus am Hirschgraben auf. Seit dem Tod ihres Mannes 1782 lebte die Rätin allein dort; die Tochter Cornelia war nach kurzer Ehe bereits 1777 verstorben, und der Sohn war nach zwei Jahrzehnten so in Weimar arriviert, dass die Mutter nicht mit seiner dauerhaften Heimkehr kalkulieren konnte – auch wenn sie sich bis zuletzt wünschte, ihren „Hätschelhans“ öfter einmal zu sehen. Doch Goethe kam nur selten, immer eher zufällig auf der Durchreise und nie eigens zu einem Besuch bei seiner Mutter. Umso lieber sonnte sich Catharina Elisabeth etwas in seinem Ruhm mit. Die Dichtermutter war zur regelrechten Frankfurter Sehenswürdigkeit geworden: „Bei mich kommen sie Alle ins Haus“, notierte sie einmal nicht ohne Stolz. Auch ihre neue Adresse im Haus zum Goldenen Brunnen am Roßmarkt sprach sich schnell herum.

„Liebstes Vermächtnüß meiner Seele“

Die Frau Rat liebte ihr neues, „niedliches logiegen“ mitten in der Stadt, das ihr deutlich mehr Bequemlichkeit als der große Haushalt im Hirschgraben bot. Aus ihren beiden Zimmern im zweiten Stock genoss sie die Aussicht auf das Treiben an der Hauptwache und auf der Zeil: „sogar an Regentagen ist es lustig die vielen hundtert Paraplü vormiren ein so buntes tach“, schrieb sie in der ihr eigenen Orthografie nach Weimar. In ihrem letzten Lebensjahr wurde sie fast täglich von Bettine Brentano besucht, die alle ihre Gespräche für eine geplante Goethebiografie mitnotierte und damit die Grundlagen für die weitere Mythisierung der „Frau Aja“ schuf. Die alte Rätin aber fand schlicht Freude an Bettines Besuchen. „Liebstes Vermächtnüß meiner Seele“ nannte sie die junge Freundin in ihrem allerletzten Brief vom 28. August 1808, am 59. Geburtstag des Sohnes. Nach ihrem Tod rund zwei Wochen später fand Catharina Elisabeth Goethe die letzte Ruhe im Grab der Familie Textor auf dem Peterskirchhof. An dem Grabmal, das heute im Hof der Liebfrauenschule liegt, war ihr lange nur eine Gedenkplatte gewidmet: „Hier ruhet Goethe's Mutter“. Erst seit dem „Goethejahr“ 1999 trägt der Sandstein auch ihren Namen und ihre Lebensdaten. So darf Catharina Elisabeth Goethe wenigstens im Grab wieder sie selbst sein.

Sabine Hock

Die Ausstellung „Catharina Elisabeth Goethe (1731-1808) – Frau Aja, Räthin, Goethes Mutter" ist vom 28. August bis 30. Dezember im Frankfurter Goethe-Haus und -Museum, Großer Hirschgraben 23-25, in Frankfurt am Main zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein farbig bebilderter Katalog zum Preis von 15 Euro.

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 19.08.2008

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