Schön wie ein Engel

Vor 250 Jahren wurde Lili Schönemann in Frankfurt geboren

Bei einer Abendgesellschaft lernte Goethe seine große Liebe kennen: die Frankfurter Bankierstochter Lili Schönemann. Kurz nach Ostern 1775 verlobten sich die beiden. Doch angesichts einer übermächtigen Liebe wurde Goethe wortbrüchig und floh aus Frankfurt. Lili Schönemann fand ihr Glück schließlich doch noch in der Ehe mit einem Straßburger Bankier.

Frankfurt am Main (pia) In den Nächten des späten Oktobers 1775 nahm Goethe letzten Abschied. „In einen großen Mantel gehüllt“, so erinnert er sich in „Dichtung und Wahrheit“, „schlich ich in der Stadt umher, an den Häusern meiner Freunde und Bekannten vorbei, und versäumte nicht, auch an Lilis Fenster zu treten.“ Die grünen Rouleaus im Erdgeschoss des stattlichen Hauses am Großen Kornmarkt, in dem seine Liebe lebte, waren heruntergelassen. Doch bald hörte er „sie zum Klaviere singen“, das Lied „Warum ziehst du mich unwiderstehlich!“, das er „nicht ganz vor einem Jahr an sie gedichtet“ hatte. „Nachdem sie es zu Ende gesungen“, erzählt er weiter, „sah ich an dem Schatten, der auf die Rouleaus fiel, daß sie aufgestanden war; sie ging hin und wider, aber vergebens suchte ich den Umriß ihres lieblichen Wesens durch das dichte Gewebe zu erhaschen.“ Kurz darauf verließ er Frankfurt - und Lili.

Mittelpunkt im Frankfurter Salon der Mutter

Vor 250 Jahren, am 23. Juni 1758, wurde Anna Elisabeth gen. Lili Schönemann als einzige Tochter des Bankiers Johann Wolfgang Schönemann in Frankfurt geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters 1763 führte die Mutter Susanne Elisabeth geb. d’Orville dessen Geschäft allein weiter. Die kleine „Lise“, wie Lili familiär eigentlich genannt wurde, wuchs behütet im Kreis von fünf Brüdern auf, genoss eine vorzügliche Erziehung und alle gesellschaftlichen Vorteile, meisterte spielerisch die Etikette, war blond und „schön wie ein Engel“. Früh wurde sie zum Mittelpunkt des Salons ihrer Mutter in deren neuem Haus zum Liebeneck am Großen Kornmarkt, das damals zu den elegantesten in Frankfurt zählte und heute infolge der Kriegszerstörungen spurlos aus dem Stadtbild verschwunden ist.

Goethe konnte nicht ohne sie

Bei einer Abendgesellschaft im Liebeneck lernten sich Goethe und Lili im Januar 1775 kennen. Ein Freund hatte den jungen Advokaten, der als Verfasser des „Götz“ und des „Werther“ schon literarisch arriviert war, spontan zu einem kleinen Konzert in dem „angesehenen reformierten Handelshause“ mitgenommen. Die 16 Jahre alte Lili spielte „mit bedeutender Fertigkeit und Anmut“ den Flügel. „Ich will nicht leugnen, daß ich eine Anziehungskraft von der sanftesten Art zu empfinden glaubte“, gab Goethe zu. Die Einladung der Mutter, bald einmal wiederzukommen, nahm er nur zu gerne wahr. Immer öfter trafen sich Goethe und Lili, besonders auf dem Offenbacher Landgut von Lilis Onkel Johann Georg d’Orville, woran heute noch der - allerdings erst später errichtete (und kürzlich restaurierte) - „Lilitempel“ am Mainufer erinnert. Die geselligen Stunden dort, stets im Kreis von Verwandten und Freunden, oft beim Musizieren oder Deklamieren, dehnten die Verliebten über Gebühr aus, um länger zusammen sein zu können. „Ich konnte nicht ohne sie, sie nicht ohne mich sein“, notiert Goethe in seinen Memoiren. Kurz nach Ostern 1775 verlobten sich die beiden..

Liebe flieht vor Liebe

Doch der Verbindung standen familiäre wie konfessionelle Hindernisse entgegen. Goethes Vater hegte starke Bedenken gegen eine „Staatsdame“ als Schwiegertochter, die zudem dem reformierten (und nicht - wie die Familie Goethe - dem lutherischen) Bekenntnis angehörte. Vor allem aber fühlte sich Goethe bald durch Lilis Liebe eingeengt. „Und an diesem Zauberfädchen, / Das sich nicht zerreißen läßt, / Hält das liebe, lose Mädchen / Mich so wider Willen fest: / Muß in ihrem Zauberkreise / Leben nun auf ihre Weise“, dichtete er damals in einem der „Lili-Lieder“, die er der Geliebten widmete. Ohne Abschied brach er am 14. Mai 1775 zu seiner ersten Reise in die Schweiz auf - und stellte unterwegs sehnsuchtsvoll fest, „daß vergebens Liebe / Vor Liebe flieht“. Vorzeitig kehrte er im Juli 1775 nach Frankfurt und zu Lili zurück. Kaum zwei Monate später dann, im September 1775, löste er die Verlobung doch. Die Einladung des Herzogs nach Weimar lieferte ihm den willkommenen Anlass zur erneuten und endgültigen Flucht.

Lili heiratet nach Straßburg

Lili klagte nicht. Sie soll Goethe sogar gegen jeden Vorwurf in Schutz genommen haben. Lilis Mutter zeigte deutlich weniger Verständnis für den wortbrüchigen Heiratskandidaten und bahnte unverzüglich die Verlobung der Tochter mit einem entfernten Verwandten an, einem Straßburger Hüttenbesitzer, der jedoch nach dem Konkurs seiner Firma auf Nimmerwiedersehen verschwand. Nach dieser erneuten Enttäuschung erkrankte Lili schwer. Nur langsam genesen, heiratete sie 1778 den Straßburger Bankier Bernhard Friedrich Frh. von Türckheim. Es wurde eine glückliche Ehe, aus der fünf Kinder hervorgingen. Im Terreur der Französischen Revolution folgte Lili 1794 allein mit den Kindern ihrem Mann auf der Flucht aus dem Elsass. Später konnte die Familie zurückkehren, und Lili unterstützte ihren Gatten beim Wiederaufbau des Straßburger Bankhauses. Am 6. Mai 1817 starb sie auf dem Türckheim’schen Landgut Krautergersheim bei Straßburg.

Dem eigentlichen Glück nie wieder so nah

Noch lange „schwebte“ Goethe „Lilis Bild (...) vor“. Er hat sie in vielen seiner Werke dichterisch verklärt und die Geschichte seiner Liebe zu ihr ausführlich im IV. Teil von „Dichtung und Wahrheit“ erzählt. In einem Gespräch mit Eckermann am 5. März 1830 bekannte der greise Dichterfürst sogar: „Sie [d. i. Lili] war in der Tat die erste, die ich tief und wahrhaft liebte. Auch kann ich sagen, daß sie die letzte gewesen; denn alle kleinen Neigungen, die mich in der Folge meines Lebens berührten, waren, mit jener verglichen, nur leicht und oberflächlich. Ich bin (...) meinem eigentlichen Glücke nie so nahe gewesen, als in der Zeit jener Liebe zu Lili.“

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 05.06.2008

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