Ein „Künstler des Wohltuns“

Vor 100 Jahren starb der Mäzen und Sozialreformer Charles L. Hallgarten

Er war ein Vorreiter einer modernen Sozialfürsorge in Deutschland. Vor 100 Jahren, am 19. April 1908, ist Charles L. Hallgarten in Frankfurt gestorben. In der Mainstadt hatte er sich als Pionier des sozialen Wohnungsbaus engagiert. Die Universitätsbibliothek widmet Hallgarten vom 10. April bis zum 6. Juni die Ausstellung „Ein Amerikaner in Frankfurt am Main“.

Frankfurt am Main (pia) Einst kannte man seinen Namen in den entlegensten Winkeln der Welt. Hallgarten hieß die Hoffnung für zahllose arme und unterdrückte Menschen. In Frankfurt hatte der Wohltäter eigens ein Büro zur Organisation seiner Hilfsleistungen eingerichtet, wo täglich massenhaft Bittgesuche eintrafen und Besucher vorsprachen. Großzügig, aber nicht wahllos gewährte Charles L. Hallgarten Notleidenden seine Unterstützung. Als „Künstler des Wohltuns“, wie ihn der Sozialpolitiker Karl Flesch einmal nannte, wirkte der bedeutende Philanthrop für eine moderne Sozialfürsorge in Deutschland.

20.000 erwiesen ihm in Frankfurt die letzte Ehre

Vor 100 Jahren, am 19. April 1908, ist Charles L. Hallgarten in Frankfurt gestorben. Bei dem Trauerzug zu seiner Beerdigung drei Tage später säumten mehr als 20.000 Menschen die Straßen, um dem großen Philanthropen die letzte Ehre zu erweisen. Zudem bekam die Familie mehrere hundert Beileidsschreiben, -karten und -telegramme, die sie in einem stattlichen Kondolenzbuch sammelte. Jetzt liegt dieses beeindruckende Buch des Gedenkens, das sonst im Jüdischen Museum aufbewahrt wird, offen aus. Anlässlich des 100. Todestags von Charles L. Hallgarten wird es zusammen mit anderen Dokumenten in der Ausstellung „Ein Amerikaner in Frankfurt am Main“ gezeigt, die vom 10. April bis zum 6. Juni in der Universitätsbibliothek Frankfurt zu sehen ist.

Das väterliche Unternehmen speiste seine Wohltätigkeit

Charles Lazarus Hallgarten wurde zwar am 18. November 1838 in Mainz geboren, übersiedelte aber in seinem 13. Lebensjahr in die USA. In New York hatte sein Vater das Bankhaus Hallgarten & Co. gegründet, das mit der Finanzierung großer Bau- und Eisenbahnprojekte erfolgreich wurde und in das der Sohn 1868 als Teilhaber eintrat. Daneben engagierte er sich für soziale Fragen und war als ehrenamtlicher „visitor to the poor“ in den Elendsvierteln unterwegs. Dort steckte er sich mit der Schwindsucht an und musste daher das wahrhaft „mörderische“ Klima von New York 1875 verlassen. Er blieb aber stiller Teilhaber von Hallgarten & Co. Die daraus resultierenden Erträge ermöglichten ihm seine Wohltätigkeit. Im Jahr 1877 ließ Hallgarten sich als amerikanischer Staatsbürger in Frankfurt nieder, wo er eine ausgedehnte philanthropische Tätigkeit entwickelte. Über 40 Institutionen und Vereinen, meist auf lokaler, aber auch auf nationaler und sogar internationaler Ebene, schenkte er nicht nur als Förderer sein Geld, sondern auch als Mitbegründer und Vorstandsmitglied seine Arbeitskraft und sein Organisationstalent. Dabei wies er dem städtischen wie dem deutschen Wohlfahrtswesen neue Wege: Nach amerikanischem Vorbild wollte er ein Netzwerk der öffentlichen und privaten Sozialfürsorge aufbauen.

Wohnungen jenseits trostloser Mietskasernen

Als sozialreformerischer Pionier erwies sich Hallgarten auch auf dem Gebiet des Wohnungsbaus. Im Frankfurt der 1880er Jahre lebten die ärmeren Bevölkerungsschichten oft in katastrophalen hygienischen Verhältnissen, da die meisten Wohnungen wegen der hohen Mieten hoffnungslos überbelegt waren. Zur Abhilfe gründete Hallgarten, zusammen mit Oberbürgermeister Miquel, Stadtrat Flesch, Bankier Speyer und Konsul Becker, am 16. Januar 1890 eine gemeinnützige Baugesellschaft zum Zweck der „Herstellung und Vermietung kleiner Wohnungen zu billigen Preisen“, die „Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG)“, die bis heute existiert. Die ABG, die erste Aktienbaugesellschaft im deutschen Reich überhaupt, setzte bald Maßstäbe im modernen sozialen Wohnungsbau. Nach ihrem ersten erfolgreichen Projekt, dem „Burgstraßenblock“ in Bornheim, realisierte sie allein bis 1903 vier weitere Wohnblöcke, u. a. im Nordend. Hallgarten achtete stets darauf, dass die ABG keine trostlosen Mietskasernen errichtete, sondern in ihren durch Grünflächen aufgelockerten Wohngebieten auch für soziale und kulturelle Einrichtungen, etwa in „Vereinshäusern“ mit Volksküchen, Kinderkrippen und -gärten, Lesezimmern und Vortragssälen, sorgte.

Ein fast vergessener Mäzen

In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Hallgarten verstärkt dem Kampf gegen den Antisemitismus. Insbesondere nach den Pogromen in Russland von 1903/05 organisierte er umfassende Hilfsmaßnahmen für Not leidende Juden aus Osteuropa, um ihnen möglichst die Auswanderung nach Amerika zu erleichtern. Auch als Förderer von Wissenschaft, Kunst und Bildung machte er sich verdient. So engagierte er sich für den Erhalt des Goethehauses, und er unterstützte die Gründung der Frankfurter Universität. Doch schon bald nach seinem Tod 1908 geriet Hallgarten in Vergessenheit. In der NS-Zeit wurde die Erinnerung an ihn endgültig ausgelöscht. Mit der Ausstellung und einer Veranstaltungsreihe zum Gedenken an Charles L. Hallgarten wollen verschiedene, mit dem Mäzen historisch verbundene Institutionen die Spuren seines Wirken nicht nur in Frankfurt „wieder sichtbar machen“. Zwar gibt es hier heute (wieder) eine Hallgartenstraße und eine Hallgartenschule - was aber kaum jemand mit einem Herrn namens Hallgarten verbindet. Manche assoziieren damit eher die Weinbaugemeinde im Rheingau. Gerade rechtzeitig zum Gedenktag ihres Namensgebers hat die Schule nun erreicht, dass sie sich künftig „Charles-Hallgarten-Schule“ nennen darf. Für die Schüler dürfte das zumindest gewöhnungsbedürftig sein. Bei ihnen heißt die Schule am Bornheimer Hang nur „die Halligalli“.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 08.04.2008

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