Erinnerung an die größte Frankfurter Synagoge

Vor 100 Jahren wurde das Gotteshaus an der Friedberger Anlage eingeweiht

Die 1907 eröffnete Synagoge im Frankfurter Ostend fiel im Jahr 1938 dem nationalsozialistischen Novemberpogrom zum Opfer. An ihrer Stelle entstand ab 1942 ein Luftschutzbunker, der bis heute erhalten ist. Am 9. September erinnert die Frankfurter „Initiative 9. November“ an die Einweihung der Synagoge an der Friedberger Anlage vor 100 Jahren.

Frankfurt am Main (pia) Wer einst bei Vollmond durch die Wallanlagen spazierte, sah sich plötzlich „der weißen Pracht der hell schimmernden Synagoge“ gegenüber. Den Anblick des eleganten Baus von „großem poetischem Zauber“, wie in den zwanziger Jahren bis nach Amerika berichtet wurde, werde man nie vergessen. Im Morgengrauen des 10. November 1938 bot sich jedoch ein gänzlich anderes, tief erschütterndes Bild. Das Gotteshaus brannte. Die Türen zum Tempel waren weit geöffnet, und in seinem Inneren loderten die Flammen. Damals, beim „Novemberpogrom“ des nationalsozialistischen Terrorregimes gegen alle jüdischen Einrichtungen im Reich, wurde die Synagoge zerstört. An ihrer Stelle entstand ab 1942 ein Luftschutzbunker, der bis heute erhalten ist.

Vor 100 Jahren, am 29. August 1907, wurde die Synagoge an der Friedberger Anlage eingeweiht. In einem feierlichen Zug mit zwölf Equipagen überführte man die Thorarollen vom alten ins neue Gotteshaus. An dem anschließenden Festgottesdienst nahmen neben staatlichen und städtischen Vertretern auch Abordnungen von 36 Synagogengemeinden aus ganz Deutschland teil. Die Zahl der Gäste konnte der neue Tempel kaum fassen, obwohl er immerhin über 1.600 Plätze, davon 1.000 für Männer und 600 für Frauen, verfügte. Er war damit die größte Synagoge in Frankfurt.

Das Gotteshaus an der Friedberger Anlage diente als neue Gemeindesynagoge für die Israelitische Religionsgesellschaft (IRG). Dieser Zusammenschluss orthodoxer Juden hatte sich 1850 von der eigentlichen jüdischen Gemeinde abgespalten, um deren Reformkurs der Assimilation nicht länger mittragen zu müssen. Zu ihrem ersten Rabbiner wählte die IRG Samson Raphael Hirsch, der die Verknüpfung der thoragemäßen Lebensführung mit der modernen („deutschen“) Bildung anstrebte. Mit diesem Programm fand die IRG so regen Zulauf, dass ihre erste Synagoge in der Schützenstraße, trotz eines vergrößernden Anbaus 1874, nicht mehr ausreichte. An der Friedberger Anlage, einem zentralen Schnittpunkt zwischen östlicher Innenstadt und Ostend, den Wohnvierteln mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil (von zeitweise über 40 Prozent!), wurde eine neue Gemeindesynagoge geplant.

Am 21. November 1905 wurde der Grundstein gelegt. In knapp zweieinhalb Jahren entstand dann ein moderner Synagogenbau, der sich stilistisch, ganz gemäß den Grundsätzen der IRG, weder an christlichen („deutschen“) noch an orientalischen („fremdländischen“) Traditionen orientierte. Der Bau aus hellem Muschelkalk, verziert mit Jugendstilelementen, wirkte schlicht und edel. An der Straßenseite führte ein doppelter Torbogen in einen Vorhof, von dem aus die Männer die Synagoge betraten, während die Frauen die für sie bestimmte Empore über Seiteneingänge direkt von der Straße erreichten. Durch die Anlage des Vorhofs als „räumliches Gelenk“ zur Straßenfront konnte man den dahinter liegenden eigentlichen Synagogenbau genau in west-östlicher Richtung errichten, wie es das jüdische Gesetz vorschrieb.

Nur etwas mehr als zwei Jahrzehnte verfügte die IRG über ihr schönes Gotteshaus. In der Pogromnacht zum 10. November 1938 zündeten nationalsozialistische Horden auch die Synagoge an der Friedberger Anlage an. Das Feuer richtete zunächst nur geringen Schaden an. Daher wurde der Bau in den folgenden Tagen immer wieder in Brand gesteckt. Kurz darauf verpflichtete die Polizei die jüdische Gemeinde, die ausgebrannten Synagogen wegen Einsturzgefahr auf eigene Kosten abzubrechen. Bereits am 17. November 1938 begann der Abriss der Synagoge an der Friedberger Anlage; im Sommer 1939 war er weitgehend abgeschlossen. Auf dem Gelände wurde unter Einsatz französischer Zwangsarbeiter 1942-43 ein Luftschutzbunker errichtet. Nach dem Krieg wurde der fünfstöckige Hochbunker zunächst als Büchermagazin genutzt, später als Möbellager vermietet. In den achtziger Jahren nahm die Bundesrepublik ihn als ABC-Schutzraum in ihr Zivilschutzprogramm auf.

Eine Gedenktafel erinnert seit 1946 daran, wo einst die Synagoge stand. Angesichts des 50. Jahrestags des Novemberpogroms 1988, als auch die Gedenkstätte neu gestaltet wurde, gründete sich die „Initiative 9. November“. Sie bemüht sich seitdem, den allzu oft Vandalismus und Verwahrlosung ausgesetzten Platz als einstigen Standort der Synagoge sinnlich erfahrbar zu machen, etwa indem man historische Ansichten oder rekonstruierte Fassadenteile der Synagoge an der Bunkerwand abbildete. Erst kürzlich konnte die Initiative durch die Grabung von Suchschnitten nachweisen, dass auf dem Bunkergelände sogar noch Fundamente und andere Reste der Synagoge vorhanden sind.

Langfristig will die Initiative darauf hinwirken, den ganzen Bunker in einen „Ort des Erinnerns und des Lernens“ zu verwandeln. Im Vorraum des Bunkers hat sie bereits ein „Geschichtsbüro“ installiert, das in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum seit Frühjahr 2004 die Ausstellung „Ostend - Blick in ein jüdisches Viertel“ zeigt. Am 9. September erinnert sie mit einer Veranstaltung an den 100. Jahrestag der Synagogeneinweihung. An diesem Abend ist die Friedberger Anlage für den Autoverkehr gesperrt - wie früher an jedem Samstag, als die Durchfahrt hier verboten war, um die Sabbatruhe einzuhalten.

Sabine Hock

Weitere Informationen unter:
www.initiative-neunter-november.de oder www.synagoge-friedberger-anlage.de

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 33 vom 21.08.2007

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