„Radler, fahr Adler!“

Zum 75. Todestag des Frankfurter Fabrikanten Heinrich Kleyer

Er brachte das Fahrrad nach Deutschland. Im Jahr 1880 hatte der junge Ingenieur Heinrich Kleyer die „Adlerwerke“ in Frankfurt gegründet - ein in der deutschen Fahrradindustrie jahrzehntelang wegweisendes Unternehmen, das später auch mit der Herstellung von Schreibmaschinen, Motorrädern und Automobilen erfolgreich sein sollte.

Frankfurt am Main (pia) In Amerika entdeckte der junge Ingenieur aus Hessen „das moderne Bicycle“. Begeistert verfolgte Heinrich Kleyer am Unabhängigkeitstag des Jahres 1879 ein Radrennen in Boston. Um die Leistungsfähigkeit dieser „neuesten“ Fahrzeuge zu testen, trat er früh am nächsten Morgen zum Wettlauf gegen ein solches Zweirad an, das sich sechs- bis siebenmal schneller erwies als er. Kleyer beschloss, das Fahrrad auch in Deutschland einzuführen. Sofort nach seiner Heimkehr 1880 gründete er eine „Maschinen- und Veloziped-Handlung“ in Frankfurt, die zunächst aus England importierte Räder verkaufte. 1886 brachte Kleyer sein erstes Fahrrad aus eigener Produktion heraus - unter dem Markenzeichen „Adler“, das bald zum Begriff wurde. Die seit 1889 im Frankfurter Gallusviertel ansässigen „Adlerwerke“ stiegen zum Weltunternehmen auf, das eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte schrieb.

Vor 75 Jahren, am 9. Mai 1932, ist Heinrich Kleyer in Frankfurt gestorben. Lange sagten die Arbeiter der „Adlerwerke“ aber noch: „Wir schaffen beim Kleyer.“ Nachdem die Automobilherstellung nach 1945 nicht wieder aufgenommen und die Fahrradproduktion bereits 1954 eingestellt worden war, konzentrierte sich das Unternehmen seit der Übernahme durch Grundig 1957 ganz auf die Büromaschinenherstellung. Mit dem Sieg des Computers in der modernen Bürotechnik musste die „TA Triumph Adler AG“ ihren traditionsreichen Standort im Gallusviertel 1992 aufgeben. Zunächst produzierte sie, in stark verkleinertem Umfang, im Stadtteil Griesheim weiter. Doch 1998 wurde der Betrieb endgültig geschlossen. Geblieben ist, weithin sichtbar, der bekannte Schriftzug über dem riesigen Areal der alten „Adlerwerke“.

Heinrich Kleyer, als Sohn eines Maschinenfabrikanten am 13. Dezember 1853 in Darmstadt geboren, war von der Zukunft des Fahrrads als Massenverkehrsmittel restlos überzeugt. Um das Radfahren hierzulande populärer zu machen, begründete er 1881 den „1. Frankfurter Bicycle-Club“ (FBC), den zweitältesten deutschen Fahrradclub, und die „Deutsche Bicycle-Union“, den Vorläufer des „Bunds Deutscher Radfahrer“, mit. Das erste Treffen des FBC endete mit „eifrigen Fahrübungen“, die auch bitter nötig waren, denn von den acht Gründungsmitgliedern konnten nur zwei radeln. Selbstverständlich fuhr Heinrich Kleyer mit gutem Beispiel voran. In seinem neuen Geschäftshaus richtete er sogar eine Fahrradhalle ein, wo man „bei jeder Witterung unter Ausschluss der profanen Blicke der lieblosen Menge“ das Radeln erlernen konnte.

Das erste Fahrrad der Marke „Adler“ 1886 brachte Kleyer bald einen Verkaufserfolg. Der Werbeslogan „Radler, fahr Adler!“ wirkte - zumindest beim breiten Publikum, während die Behörden weiterhin Vorbehalte gegen das neumodische Verkehrsmittel hegten. So blieben bis 1890 sämtliche Mainbrücken in Frankfurt für den Radverkehr gesperrt. Erst als Kleyer die Einführung des Fahrrads beim Heer erreichte, gab auch die Obrigkeit allmählich ihren Widerstand auf. Kleyer konnte mit seiner Firma expandieren. Seit 1889 produzierte er mit 600 Beschäftigten in der neu errichteten Werksanlage im Gallusviertel. Immer wieder führte er technische Verbesserungen für sein Fabrikat ein. Als erster in Deutschland stattete er seine Fahrräder mit Luftreifen aus. Bereits 1898 wurde das 100.000. Fahrrad in den „Adlerwerken“ hergestellt.

Im Interesse eines weiteren Ausbaus hatte Kleyer die Firma 1895 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die „Adlerwerke vorm. Heinrich Kleyer AG“, der er als Generaldirektor vorstand. In den folgenden Jahren erschloss er dem Unternehmen weitere Produktionsgebiete. 1898 begann er, wiederum als erster in Deutschland, mit der serienmäßigen Herstellung von Schreibmaschinen. Mit der 1901 produzierten, ebenfalls „Adler“ genannten Schreibmaschine gelang ihm der Durchbruch in dieser Sparte - und die Einführung eines weiteren Massenartikels in Deutschland. Außerdem widmete sich Kleyer seit 1898 dem Motorrad- und seit 1900 dem Automobilbau. Auf der Internationalen Luftschifffahrts-Ausstellung in Frankfurt 1909 stellte er auch Prototypen von Luftschiffmotoren vor. Zwischen 1910 und 1912 ließ er die Fabrikanlage im Gallus monumental erweitern. Mit zahlreichen Niederlassungen im In- und Ausland waren die „Adlerwerke“ inzwischen zur Weltfirma geworden.

Während des Ersten Weltkriegs wurde das 500.000. „Adler“-Fahrrad produziert. Doch die Wirtschaftskrisen der zwanziger Jahre gingen auch an den „Adlerwerken“ nicht spurlos vorüber. Als Aufsichtsratsvorsitzender setzte Kleyer daher verstärkt auf den Automobilbau. 1926 wurde die Fahrzeugproduktion auf Großserie umgestellt, so dass täglich 60 „Adlerwagen“ gefertigt werden konnten. Die neuen Personenwagentypen mit Vier- und Sechszylinder-Motoren, die damals auf den Markt kamen, waren trotzdem ständig ausverkauft. Im März 1932 erlebte Kleyer noch das Debüt des „Adler Trumpf“ im Genfer Salon, des ersten Automobils der „Adlerwerke“ mit Frontantrieb und Schwingachsen. Wenige Wochen später ist Heinrich Kleyer im Alter von 78 Jahren gestorben.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 16 vom 24.04.2007

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