Nach dem Zeremoniell war der Herrscher pappig

650 Jahre Goldene Bulle oder wie Kaiser in Frankfurt gemacht wurden

Vor 650 Jahren bestimmte die „Goldene Bulle“ Frankfurt am Main zum Wahlort deutsch-römischer Könige. So kamen von 1356 an sieben, später neun Kurfürsten in der aufstrebenden Reichsstadt zusammen, um den König zu wählen. Seit 1562 fanden im Frankfurter Bartholomäusdom in einem feierlichen Zeremoniell auch die Krönungen statt.

Frankfurt am Main (pia/29.8.06) Beim wichtigsten Ritual der Krönungsmesse im Dom stand der künftige Herrscher im Hemd da. Zur Salbung wurde der Gewählte vor dem Altar entkleidet, um dann mit heiligem Öl eingerieben zu werden. So ganz nackt durfte er sich aber auch nicht zeigen. Also trug er einen weißen Kittel, der an den Salbstellen mit Löchern versehen war. Durch diese Schlitze konnten die geistlichen Kurfürsten das geweihte Olivenöl auftragen. Unter Anrufung der heiligen Dreifaltigkeit wurde die Majestät am Scheitel, an der Brust, am Nacken, am Rücken, zwischen den Schultern, am rechten Arm, am Gelenk und an der flachen Hand geölt. Nach dem ganzen Zeremoniell war die Hoheit ziemlich pappig. Die Weihbischöfe von Mainz und Erfurt mussten ihm das Öl mit Baumwolltüchern und Roggenbrot wieder abwischen. Sonst hätte es die kostbaren Krönungskleider verschmiert, in die der neue Kaiser danach gewandet wurde.

Als Schauplatz von Wahl und Krönung der deutschen Könige und Kaiser ist Frankfurt in die Geschichte eingegangen. Vor 650 Jahren bestimmte die Goldene Bulle die aufstrebende Reichsstadt endgültig zum Ort der Königswahl, und seit 1562 fand auch die Krönung in Frankfurt statt. Bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806, also vor genau 200 Jahren, wurden insgesamt zehn Herrscherhäupter hier gekrönt. Jedes Mal stand die Mainstadt wochenlang im Blickpunkt des Reiches. Eine Ausstellung zum 650. Geburtstag der Goldenen Bulle, ein gemeinsames Projekt des Historischen Museums, des Instituts für Stadtgeschichte, des Jüdischen Museums und des Dommuseums, erinnert vom 30. September bis 14. Januar an Frankfurt als die „Stadt der Kaisermacher“. Dabei veranschaulicht das Dommuseum am authentischen Ort des „Kaiserdoms“ das geistliche Zeremoniell von Wahl und Krönung.

Die Goldene Bulle regelte 1356 die Wahl des deutschen Königs durch das Kurfürstenkolleg nach dem Mehrheitsprinzip. Zunächst berieten sich die sieben (später neun) Kurfürsten in der Ratsstube im Römer, bevor sie zum eigentlichen Wahlakt in den Dom zogen. Dort lasen die drei geistlichen Kurfürsten, die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, noch zwei Messen, in denen sie um den Segen Gottes, des Heiligen Geistes und der Jungfrau Maria für die Wahl baten. Dadurch konnte das spätere Ergebnis als Gottes Wille deklariert werden. Dann versammelten sich die Herren zum Konklave. In der „Wahlkapelle“, die ursprünglich als Bibliothek des Domes diente, wurden sie vom Domdekan eingeschlossen, bis sie ihre Wahl getroffen hatten. Die letzte Stimme kam immer dem Erzbischof von Mainz zu, so dass er bei Stimmengleichheit die Wahl entschied.

Erst durch die Krönung aber wurde der neue deutsche König zum Kaiser. Diese wichtigste der Reichszeremonien wurde im Rahmen einer Messe nach römisch-katholischer Liturgie im Dom zelebriert. Zur Krönungsmesse zog der Gewählte mit seinem Gefolge feierlich in die Kirche ein. Er sank vor dem Altar nieder, bevor er sich auf seinen zentralen Platz unter einem Baldachin begab. In den traditionellen Ablauf des folgenden Gottesdienstes wurden dann die Elemente der Krönung nach einem jahrhundertealten Ritual integriert.

Nach dem Reichsschwur und der Salbung geleitete man den neuen Kaiser in die Wahlkapelle, wo ihm seine Pontifikalgewänder angezogen wurden: die Alba, ein Gewand mit weiten Ärmeln aus weißer Seide und goldbesticktem Purpursaum, und die Tunicella, ein langärmeliger Rock aus Purpur mit roter, golddurchwirkter Borte, darüber eine Stola aus gelber und ein Gürtel aus hellblauer Seide, dazu seidene rote Strümpfe, Schuhe und Handschuhe. Im 18. Jahrhundert waren die wertvollen Gewänder, die nach der Legende noch von Karl dem Großen stammten, so brüchig geworden, dass man sie zum Gebrauch bei der Krönung kopierte. Viel kleidsamer wurde die Amtstracht dadurch aber auch nicht. Goethe, der in seiner Jugend die Wahl und Krönung von Joseph II. 1764 miterlebte und später in „Dichtung und Wahrheit“ anschaulich schilderte, meinte, der Kaiser habe „in der seltsamen Verkleidung“ ausgesehen wie „ein Gespenst Karls des Großen“.

Als äußeres Zeichen seiner Macht erhielt der Eingekleidete dann die Reichsinsignien: Man gab ihm den Reichsapfel in die rechte, das Szepter in die linke Hand und legte ihm das Schwert Karls des Großen über die Oberschenkel. Nachdem er noch in den scharlachroten, mit Gold und Perlen bestickten Reichsmantel gehüllt worden war, wurde ihm endlich auch die Reichskrone aufgesetzt. Nach dem Empfang der heiligen Kommunion schritt der Kaiser schließlich zur Thronsetzung ins südliche Querschiff. Da der Thron Karls des Großen in Aachen, der früheren Krönungsstätte, fest eingemauert und daher nicht zu beschaffen war, hatte man im Frankfurter Dom einen kleinen Thron aufgebaut, den der Kaiser bestieg. Von dem symbolträchtigen Brauch, den Kaiser auf den Altar zu heben, war man inzwischen abgekommen.

Nach der Messe begab sich der Krönungszug mit dem Kaiser durch die schaulustige Menge vom Dom zum Römer, wo im Kaisersaal das Festmahl kredenzt wurde. Derweil vergnügte sich das Volk bei Ochs am Spieß und Wein auf dem Römerberg, was wohl weitaus unterhaltsamer war als die oft über vier Stunden dauernde Krönungsmesse. Der junge Goethe jedenfalls fand die altehrwürdige Zeremonie im Dom, wie er es drastisch ausgedrückt haben soll, „kotz langweilig“.

Sabine Hock

Weitere Informationen: www.kaisermacher.de

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 34 vom 29.08.2006

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