Der Erforscher der Strahlen

Zum 125. Geburtstag von Friedrich Dessauer

Friedrich Dessauer war ein Wegbereiter der Strahlentherapie, die grundlegend für die moderne Krebsbehandlung wurde. Das Frankfurter Institut für physikalische Grundlagen der Medizin, das heutige Max-Planck-Institut für Biophysik, avancierte unter seiner Leitung zu einer radiologischen Forschungs- und Ausbildungsstätte von internationalem Rang.

Frankfurt am Main (pia) Zum Jahresende 1895 meldete die Presse eine sensationelle Entdeckung aus Würzburg: Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen hatte die später nach ihm benannten Strahlen gefunden. „Ich erinnere mich noch“, so schrieb Friedrich Dessauer rückblickend, „wie mein Vater am Mittagstisch (...) von der Zeitung aufschauend mich anredete und auf die Nachricht von der Entdeckung der unsichtbaren Strahlen hinwies.“ Der Sohn, damals technikbegeisterter Gymnasiast, begann sofort in seinem „Zimmerchen“, das eher wie „ein kleines physikalisch-technisches Kabinett aussah“, selbst zu experimentieren. Bald hatte er, kaum 16 Jahre alt, eine verbesserte Apparatur zur Erzeugung von Strahlen entwickelt, worüber er einen Bericht an Röntgen sandte. Der sonst eher wortkarge und menschenscheue Professor aus Würzburg ermunterte ihn daraufhin zu weiteren Untersuchungen. Friedrich Dessauer widmete der Erforschung der neuen Strahlung sein Leben. Insbesondere wies er Wege in der Strahlentherapie, die grundlegend für die moderne Krebsbehandlung wurden.

Vor 125 Jahren, am 19. Juli 1881, wurde Friedrich Dessauer in Aschaffenburg geboren. Ein Studium der Physik und Elektrotechnik musste er nach dem Tod des Vaters 1900 abbrechen. Wieder in Aschaffenburg, gründete er ein „Elektrotechnisches Laboratorium“, das Röntgenapparate für medizinische Anwendungen baute. Der rasch florierenden Werkstatt gliederte der junge Unternehmer bald einen Zweigbetrieb in Frankfurt an. Daraus gingen 1907 die „Vereinigten Elektrotechnischen Institute Frankfurt-Aschaffenburg“ („Veifa-Werke“) hervor. In seinen Fabriken entwickelte Dessauer die Röntgentechnik stets weiter. Er suchte nach Methoden, um Röntgenstrahlen nicht nur zur Diagnostik, sondern auch zur Therapie einzusetzen. Die Idee dazu hatte er, als er Veränderungen auf seiner Haut beobachtete, die der ungeschützte Umgang mit den Strahlen verursacht hatte. Die zerstörerische Kraft der Strahlen sah er zunächst nur positiv: als mögliches Mittel zur Tumorbekämpfung.

Während des Ersten Weltkriegs setzte Dessauer, der wegen seiner Strahlenschäden vom Militärdienst befreit war, sein Studium an der neu eröffneten Frankfurter Universität fort. Er promovierte 1917 zum Doktor der Naturwissenschaften und wurde 1920 zum Honorarprofessor, dann 1922 zum ordentlichen Professor an die Frankfurter Universität berufen, wo er ein eigenes Institut für physikalische Grundlagen der Medizin, das heutige Max-Planck-Institut für Biophysik, leitete. Das damals einzigartige Institut, das aus Mitteln der Oswalt-Stiftung finanziert wurde, deren Kapital wiederum hauptsächlich aus dem Verkauf der Veifa-Werke stammte, avancierte unter seiner Führung zu einer radiologischen Forschungs- und Ausbildungsstätte von internationalem Rang. Dessauer widmete sich der Grundlagenforschung zur Wirkung von Strahlen in der Zelle und begründete damit die Quantenbiologie.

Zugleich wirkte Friedrich Dessauer in der Weimarer Republik politisch, publizistisch und philosophisch. Als dezidierter Vertreter einer christlichen Soziallehre und führender Kopf des politischen Katholizismus in Frankfurt gehörte er für die Zentrumspartei von 1919 bis 1924 der Stadtverordnetenversammlung, dann von 1924 bis 1933 dem Reichstag an. Im Jahr 1923 wurde Dessauer zum Mitbegründer und Mitherausgeber der Rhein-Mainischen Volkszeitung. Das Blatt entwickelte sich zum Sprachrohr des Linkskatholizismus in Deutschland, das konsequent gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus kämpfte.

Wenige Monate nach Hitlers Machtübernahme wurde Dessauer wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“ wiederholt verhaftet. Unter dem Vorwand geschäftlicher Unregelmäßigkeiten bei der Rhein-Mainischen Volkszeitung wurde im Dezember 1933 ein Schauprozess gegen ihn und seinen Mitarbeiter Josef Knecht eröffnet, der mit einem Freispruch endete. Doch die Hetze gegen Dessauer hörte nicht auf. In der Nacht vom 6. auf den 7. Februar 1934 wurde sein Haus in Frankfurt überfallen und verwüstet. Als der Professor die Polizei rief, wurde er selbst in „Schutzhaft“ genommen, sein Vermögen beschlagnahmt. Von der Frankfurter Universität „beurlaubt“, folgte er im Sommer 1934 einem Ruf nach Istanbul, von wo aus er 1937 nach Fribourg in der Schweiz wechselte.

Auf Initiative seines Schülers und Nachfolgers Boris Rajewski wurde Friedrich Dessauer von der Frankfurter Universität schon 1946 rehabilitiert. Im Januar 1951 nahm er hier seine Lehrtätigkeit mit Vorlesungen über Biophysik und Naturphilosophie wieder auf. Seit seiner Emeritierung in Fribourg 1953 lebte Dessauer wieder ständig in der Mainstadt. Zu den hohen Auszeichnungen, die er in seinen letzten Lebensjahren erhielt, gehört die Ehrenbürgerwürde der Stadt Frankfurt am Main, die ihm zu seinem 80. Geburtstag am 19. Juli 1961 verliehen wurde.

Im selben Jahr zog sich Dessauer aus gesundheitlichen Gründen endgültig zurück. Er litt an den Strahlenschäden, die er sich bei seiner experimentellen Tätigkeit im Röntgenlabor zugezogen hatte und die im Laufe der Zeit über 150 Operationen, vor allem an Gesicht und Händen, erforderten. Am 16. Februar 1963 ist Friedrich Dessauer in Frankfurt gestorben.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 26 vom 04.07.2006

Seitenanfang