Die Grande Dame der deutschen Haute Couture

Zum 100. Geburtstag der Frankfurter Modeschöpferin Toni Schiesser am 6. März

Sie schaffte eine unglaubliche Karriere: von der kleinen Schneiderin zur Grande Dame der deutschen Haute Couture. Seit den fünfziger Jahren baute die Frankfurter Modeschöpferin Toni Schiesser ihren Salon zu einem Spitzenunternehmen der Branche auf. Zu ihrem Kundenkreis zählte Prominenz aus Adel, Sport und Wirtschaft.

Frankfurt am Main (pia) Bei „der“ Schiesser ließ Prinzessin Margaret von Hessen ebenso arbeiten wie die Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt. Die Reiterin Liselott Linsenhoff, die Sopranistin Anny Schlemm, die Sängerin Caterina Valente, die Tänzerin Marika Rökk, die Schauspielerin Helen Vita sowie die Gattinnen von Heinz Rühmann und Josef Neckermann trugen Modelle aus dem Haus in der Frankfurter Friedensstraße. Gelegentlich stattete Toni Schiesser sogar ganze Filme und Revuen aus. Besonders gern zog sie komplette Hochzeitsgesellschaften an. Von ihr stammte auch das Brautkleid von Marianne Zwicknagel bei deren Heirat mit Franz Josef Strauß.

Vor 100 Jahren, am 6. März 1906, wurde Toni Balzer in Frankfurt geboren. Das kleine Mädchen, das später unter ihrem Ehenamen Schiesser international bekannt werden sollte, schneiderte schon früh erste Kleider – für ihre Puppen. Gerne wäre sie auf die Modeschule gegangen. Doch ihr Bruder besuchte bereits die Maschinenbauschule, wie sie einmal erzählte, und da habe es „für die Tochter nicht gereicht“: „Alles, was ich nicht durfte, habe ich mir selbst erarbeitet. Ich war ja ehrgeizig.“ Nach ihrer Ausbildung in den besten Ateliers der Stadt machte sich die energische junge Schneidermeisterin bald selbstständig. Im Jahr 1931, als Tochter Anny kaum drei Jahre alt war, meldete Toni Schiesser ihr eigenes Geschäft, zunächst nur mit ihrer Nichte als einziger Nähkraft, an. Für eine Frankfurter Gastronomin entwarf sie damals ihr erstes Haute-Couture-Modell. Bald konnte sie schon zwei weitere Angestellte beschäftigen, darunter eine Hutmacherin, die zu den Kleidern gleich die passenden Hüte lieferte.

Kurz vor dem Krieg bekam Toni Schiesser von einem Tuchhändler ein paar Restcoupons edler Stoffe geschenkt, die sie über die Zerstörung ihrer Heimatstadt hinweg rettete. Das war ihr Startkapital für den Neubeginn nach 1945. Mit einem daraus geschneiderten Abendkleid aus Brokat in Kupfer und Silber beteiligte sie sich an der ersten Nachkriegsmodenschau in Frankfurt, die die Innung vor den Trümmern des Zoo-Gesellschaftshauses im Mai 1946 organisiert hatte. Begeistert nahmen die Frauen, die endlich nicht mehr wie „Luftschutzkellergespenster“ herumlaufen wollten, die neue Mode auf. Der kleine Modesalon, den Toni Schiesser nach dem Krieg in der Kaiserstraße wieder eröffnet hatte, florierte. Bereits 1950 konnte die Modeschöpferin ihren neuen Salon an der Friedensstraße 2 beziehen, den sie, unterstützt von ihrem (1968 verstorbenen) Ehemann Willi Schiesser als Finanz- und Personalchef, seitdem stets vergrößerte.

In den siebziger Jahren besaß Toni Schiesser das größte private Atelier mit dem höchsten Umsatz in Deutschland. Ihre Modenschauen, die alljährlich im März bzw. im September die neue Saison in Frankfurt eröffneten, wurden von der besseren Gesellschaft immer mit Spannung erwartet. Höhepunkt jeder Schau war das große Abendkleid, eine besondere Spezialität von Toni Schiesser, wofür sie mit Vorliebe feine St. Gallener Spitze und Stickereistoffe verwandte. Insgesamt boten die Modenschauen „eine entschärfte Pariser Mode“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 4. September 1967 urteilte, „durchweg tragbar“ und „sehr weiblich“. Modische „Exzesse“ waren auf dem Laufsteg im Frankfurter Hof nicht zu erwarten: „Toni Schiesser pflegt Damen anzuziehen, keine kleinen Mädchen“, hielt die Modejournalistin Emily Kraus-Nover fest. Sämtliche Modelle waren aus besten Materialien und in erstklassiger Handarbeit maßgeschneidert, wobei bis zu 350 Arbeitsstunden pro Kleid nicht außergewöhnlich waren. Zwischen vier- und sechstausend Mark war solch ein gutes Stück um 1975 teuer.

Ihren Angestellten, zeitweise über 140 Frauen und ein Mann, der Chauffeur, war Toni Schiesser immer das beste Beispiel für Arbeitseifer, Disziplin und natürlich Eleganz. Bevor sie morgens um acht im Geschäft auftauchte, war sie schon beim Friseur gewesen. Um zweimal im Jahr eine Modenschau mit einer Kollektion von 70 bis 100 Teilen auf die Beine zu stellen, musste sie einfach generalstabsmäßig planen. Bis ins hohe Alter überwachte sie die Vorbereitungen für die Schau persönlich. Bei der Generalprobe pflegte die gestrenge Chefin auf einem Sesselchen im ersten Stock ihres Modesalons zu sitzen und die ihr vorgeführten Modelle abschließend zu begutachten – stets im schönsten Frankfurterisch: „Des zoppelt!“

Als Toni Schiesser 1981 ihren 75. Geburtstag feierte, lobte ein Journalist, es sei typisch für sie, dass sie mit ihrem Alter nicht hinterm Berg halte: Sie lebe ihren Kundinnen vor, wie „man in Eleganz und mit Eleganz älter, sogar alt“ werde. Mit 88 Jahren starb Toni Schiesser am 29. April 1994 in Frankfurt. Ihr letzter Wunsch war es, dass sie im Sarg kein Totenhemd, sondern ein Kleid tragen dürfe. Der Modesalon Toni Schiesser, den die Gründerin noch ihrer langjährigen Mitarbeiterin Ingrid Wrobel übergeben hatte, musste 1998 schließen. Eine Ära der Haute Couture in Frankfurt ging damit zu Ende.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 7 vom 21.02.2006

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