„Viel zu wenige kennen ihn“

Zum 125. Geburtstag von Alfons Paquet am 26. Januar

Er war überzeugter Weltbürger, Europäer und Frankfurter. Er arbeitete unermüdlich als Journalist, Reiseschriftsteller, Nationalökonom, Lyriker, Erzähler, Dramatiker – „ein unruhiger und zugleich in sich ruhender Geist“ (Karl Korn), der immer gerade zu einer Reise aufbrach oder von einer zurückkam: der Frankfurter Literat Alfons Paquet (1881–1944).

Frankfurt am Main (pia) Alfons Paquet lässt sich nicht so einfach etikettieren und einordnen. Sein Werk passt, nicht nur wegen der „balzacschen Dimensionen“ (Benno Reifenberg), in keine Schublade. Auf seinen Weltreisen konnte sich der Schriftsteller beim Anblick einer Sanddüne zu einem Gedicht inspirieren lassen und zugleich ganz pragmatisch überlegen, wie sich der Untergrund für Bahngleise eignen würde. Seine „herrlichen“ Gedichte wurden von Hermann Hesse geliebt, seine revolutionären Stücke von Erwin Piscator uraufgeführt und seine poetisch-realistischen Zeitungsreportagen von Egon Erwin Kisch hoch geschätzt. Wer Paquet kenne, so schrieb Kisch 1928, der liebe ihn: „Allerdings – viel, viel zu wenige kennen ihn.“ Erst heute wird das überraschend modern gebliebene Werk des Frankfurter Autors dank engagierter Geisteswissenschaftler wie Martina Thöne und Oliver M. Piecha allmählich wiederentdeckt.

Vor 125 Jahren, am 26. Januar 1881, wurde Alfons Paquet in Wiesbaden geboren. Der Vater, ein Handschuhfabrikant luxemburgischer Herkunft, fand die Neigung des Fünfzehnjährigen zu den Büchern „bedenklich“, nahm ihn aus der Schule und schickte ihn zur Ausbildung in ein Tuchgeschäft nach London. Nach Handschuhmacherlehre und Kaufmannstätigkeit wagte Paquet in Berlin 1901 endlich „den Absprung“. Er wollte Schriftsteller werden, arbeitete zunächst als Redakteur im thüringischen Mühlhausen und in Düsseldorf und verdiente damit immerhin genug, um im Winter 1902 ein Studium der Philosophie, Geographie und Volkswirtschaft in Heidelberg beginnen zu können. Bald brach er jedoch erneut auf, zu seiner ersten großen Reise, wie er in einem autobiografischen Entwurf von 1925 erzählt: „Ohne ein Wort russisch zu können, reiste ich nach Sibirien. Die Ostchinesische Eisenbahn war eben fertig geworden, ich fuhr hin, um sie als einer der ersten zu beschreiben. Ich kam bis an den Rand des Stillen Ozeans und kehrte aus einigen Abenteuern nach Heidelberg zurück.“

Nach Jahren des Studierens und des Reisens promovierte Paquet 1908 in Jena mit einer volkswirtschaftlichen Arbeit über das moderne Ausstellungswesen. Schon früher hatten ihn seine beruflichen Wege öfter nach Frankfurt geführt. Bereits seit 1904 war er gelegentlich für den Industriellen Wilhelm Merton tätig, der ihn damals beauftragt hatte, auf einer USA-Reise auch Informationen für seine sozialpolitischen Projekte in der Mainstadt zu sammeln. Ebenfalls seit 1904 schrieb Paquet regelmäßig für die Frankfurter Zeitung. Während eines Frankfurtaufenthalts um 1909, als er für einige Zeit in Mertons Privatsekretariat arbeitete, dürfte er auch die Malerin Marie Henriette Steinhausen kennengelernt haben, die Tochter des berühmten Malers Wilhelm Steinhausen, die er 1910 in der Paulskirche heiratete. Im Frühsommer 1914 zog Paquet mit seiner jungen Familie in das der Mainstadt nah gelegene Oberursel. Wegen seiner Sachkenntnis im Ausstellungswesen hatte er den Auftrag bekommen, eine große Ausstellung über „Weltwirtschaft, Verkehr, Länder und Völker“ in Frankfurt vorzubereiten.

Doch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vereitelte das Projekt. Statt dessen wurde Paquet von der Frankfurter Zeitung als Korrespondent nach Stockholm geschickt, in das Zentrum der neutralen Kriegsberichterstattung, wo er schon bald in Kontakt mit deutschen Diplomaten und russischen Bolschewisten kam. So griff er selbst einmal für einen kurzen Augenblick nach der russischen Oktoberrevolution in die große Politik ein: An einem trüben Dezemberabend 1917 brachte er den deutschen Legationsrat Riezler und den russischen Ingenieur Vorovskij, die Vertreter zweier kämpfender Feindmächte, zu ersten Sondierungsgesprächen zusammen, was letztlich zum Frieden von Brest-Litowsk führte. Von Juni bis November 1918 berichtete Paquet, eigentlich im Amt des Presseattachés an der deutschen Botschaft, unmittelbar aus Moskau. Seine eindrucksvollen Augenzeugenberichte über jene frühe Phase des Sowjetkommunismus, oft auf der Titelseite der Frankfurter Zeitung erschienen, machten ihn damals weltberühmt.

Angesichts der Novemberrevolution 1918 nach Deutschland zurückgekehrt, ließ sich Paquet als freier Schriftsteller in Frankfurt nieder. Die Anfangsjahre der Weimarer Republik brauchte er – wie der Historiker Dieter Rebentisch bemerkt – zur „Gedankenarbeit“, um das welthistorische Erlebnis der proletarischen Revolution zu bewältigen und den eigenen Standort zu bestimmen. Seit dem Erscheinen seiner Programmschrift „Der Rhein als Schicksal“ (1920) entwickelte Paquet stetig seine „rheinische Europavision“: Entgegen dem Verdikt des Versailler Vertrags vom Rhein als „natürlicher Grenze“ wollte er den Strom vielmehr als „fließende Schnittstelle“ zwischen den Völkern in Europa sehen. Und Frankfurt, das er längst als seine „Heimat“ begriff, dachte er als Zentrum jener „rheingenössischen Vereinigung“.

In den 1920-er Jahren gestaltete Paquet die Stadtpolitik aber auch ganz direkt mit. Er gehörte neben Messedirektor Otto Ernst Sutter und „Altstadtvater“ Fried Lübbecke zu dem Kreis der kulturpolitischen Berater um Oberbürgermeister Ludwig Landmann, der sich zum Ziel gesetzt hatte, der Rhein-Main-Metropole durch neue kulturelle Impulse ein eigenes Profil zu verleihen. Als einer der Initiatoren des Goethepreises übernahm Paquet 1927 das Sekretariat des Preiskuratoriums. Zu seinen Aufgaben zählten die oft heiklen Sondierungen bei der Vorauswahl der Kandidaten, wodurch er die Entscheidungen zur Preisvergabe wesentlich beeinflusste. So hatte er die Idee zur Ehrung von Albert Schweitzer 1928, und die äußerst umstrittene Preisverleihung an Sigmund Freud 1930 setzte er durch.

Im Goethejahr 1932 erfuhr Paquet selbst hohe Anerkennung, als er in die Preußische Akademie der Künste gewählt wurde. Doch kein Jahr später, als er die von Gottfried Benn entworfene Zustimmungserklärung der Akademie zum NS-Regime unterzeichnen sollte, trat er wieder aus. Um seine Existenz zu sichern, wurde er 1934 Redakteur bei der Frankfurter Zeitung, deren Stadtblatt er künftig, bis zur Einstellung der FZ 1943, leitete. Bei der kurzzeitigen Verhaftung durch die Gestapo auf dem Weg nach Skandinavien 1935 zog er sich ein Herzleiden zu. Am 8. Februar 1944 erlag Alfons Paquet im Luftschutzkeller seines Hauses am Schaumainkai in Frankfurt einem Herzschlag. Seine letzten Arbeiten hatten der „Katastrophe“ gegolten, dem Sterben seiner geliebten Stadt Frankfurt im Bombenkrieg, das er im ganzen Ausmaß nicht mehr erlebte.

Sabine Hock

Weitere Infos zu Alfons Paquet finden sich im Internet unter: www.alfonspaquet.de

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 2 vom 17.01.2006

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