Hallgarten hieß die Hoffnung

Der Frankfurter Philanthrop wies neue Wege in der Sozialfürsorge

Thomas Mann hat ihm in einem seiner Romane ein literarisches Denkmal gesetzt: Der Wohltäter und Sozialreformer Charles L. Hallgarten (1838-1908) war ein Pionier auf dem Gebiet der Sozialfürsorge, u.a. im städtischen Wohnungsbau. Heute ist er selbst in Frankfurt, von wo aus er fast drei Jahrzehnte lang philanthropisch wirkte, beinahe vergessen.

Frankfurt am Main (pia) Vor 100 Jahren kannte man seinen Namen in den entlegensten Winkeln der Welt. Hallgarten hieß die Hoffnung für zahllose arme und unterdrückte Menschen. Aus manchem russischen Schtetl sollen verfolgte Juden in ihrer Not aufgebrochen sein, um auf weiter Wanderschaft „mit dem einzigen Namen Hallgarten auf den Lippen“ endlich Rettung zu finden. In Frankfurt hatte der Wohltäter eigens ein Büro zur Organisation seiner Hilfsleistungen eingerichtet. Großzügig, aber nicht wahllos gewährte Charles L. Hallgarten den Notleidenden seine Unterstützung. Als „Künstler des Wohltuns“, wie ihn der Sozialpolitiker Karl Flesch einmal nannte, wirkte der bedeutende Philanthrop für eine moderne Sozialfürsorge in Deutschland.

Charles Lazarus Hallgarten wurde am 18. November 1838 in Mainz geboren. Sein Vater, der jüdische Handelsmann Lazarus Hallgarten, baute sich ab 1845 zunächst allein in Amerika eine neue Existenz auf. Er gründete das Bankhaus Hallgarten & Co. in New York, das später bei der Finanzierung großer Bau- und Eisenbahnprojekte erfolgreich war, und holte seine Frau mit den fünf Kindern 1851 in die USA nach. Charles L. Hallgarten trat 1868 als Teilhaber in das väterliche Unternehmen ein. Neben seiner geschäftlichen Tätigkeit engagierte er sich für soziale Fragen. Als ehrenamtlicher „visitor to the poor“ war er in den Elendsvierteln von New York unterwegs, wo er sich mit der Schwindsucht ansteckte. Daher musste er das wahrhaft „mörderische“ Klima dieser Stadt 1875 verlassen. Er blieb aber stiller Teilhaber von Hallgarten & Co. Die daraus resultierenden Erträge ermöglichten ihm seine Wohltätigkeit.

Nach langen Kuren am Genfer See, an der Riviera und auf Sizilien ließ sich Hallgarten 1877 in Frankfurt am Main nieder. Sein wohltätiges Wirken begann der begüterte Privatier um 1883 als einfacher Armenpfleger im Israelitischen Hilfsverein. In den kommenden Jahren entwickelte Hallgarten eine ausgedehnte philanthropische Tätigkeit. Über 40 Institutionen und Vereinen, meist auf lokaler, aber auch auf nationaler und sogar internationaler Ebene, schenkte er nicht nur als Förderer sein Geld, sondern auch als Mitbegründer und Vorstandsmitglied seine Arbeitskraft und sein Organisationstalent. Dabei wies er dem städtischen wie dem deutschen Wohlfahrtswesen neue Wege. Nach amerikanischem Vorbild wollte er ein Netzwerk der öffentlichen und privaten Sozialfürsorge aufbauen, in dem alle Bestrebungen der Wohltätigkeit nach wissenschaftlichen Erkenntnissen effektiv koordiniert und kontrolliert werden sollten.

Als sozialreformerischer Pionier erwies sich Hallgarten auch auf dem Gebiet des Wohnungsbaus. Im Frankfurt der 1880er Jahre lebten die ärmeren Bevölkerungsschichten oft in katastrophalen hygienischen Verhältnissen, da die meisten Wohnungen hoffnungslos überbelegt waren. Zur Abhilfe gründete Hallgarten, zusammen mit Oberbürgermeister Miquel, Stadtrat Flesch, Bankier Speyer und Konsul Becker, 1890 eine gemeinnützige Baugesellschaft zum Zweck der „Herstellung und Vermietung kleiner Wohnungen zu billigen Preisen“, die „Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG)“, deren Stammkapital von 605.000 Mark ganz von Frankfurter Bürgern aufgebracht wurde. Die ABG, die erste Aktienbaugesellschaft im deutschen Reich überhaupt, setzte bald Maßstäbe im sozialen Wohnungsbau. Nach ihrem ersten erfolgreichen Projekt, dem „Burgstraßenblock“ in Bornheim, realisierte sie allein bis 1903 vier weitere Wohnblöcke, u. a. im Nordend, mit insgesamt 973 Kleinwohnungen in 157 Häusern. Hallgarten achtete stets darauf, dass die ABG keine trostlosen Mietskasernen errichtete, sondern in ihren durch Grünflächen aufgelockerten Wohngebieten dank privater Sponsoren auch für soziale und kulturelle Einrichtungen, etwa in „Vereinshäusern“ mit Volksküchen, Kinderkrippen und -gärten, Lesezimmern und Vortragssälen, sorgte.

Auf sozialem Gebiet galt Hallgartens besondere Sorge den Schwächsten in der Gesellschaft: Säuglingen, Kindern und Jugendlichen, aber auch Arbeitern und Frauen aus einfachen Verhältnissen. Aber er tat sich auch als Förderer von Wissenschaft, Kunst und Bildung hervor. So unterstützte er zum Beispiel die Gründung der Frankfurter Universität und engagierte sich für den Erhalt des Goethehauses. In seinen letzten Lebensjahren widmete Hallgarten sich verstärkt dem Kampf gegen den Antisemitismus. Insbesondere nach den Pogromen in Russland von 1903/05 organisierte er umfassende Hilfsmaßnahmen für notleidende Juden aus Osteuropa, um ihnen möglichst die Auswanderung nach Amerika zu erleichtern.

Am 19. April 1908 starb Charles L. Hallgarten in Frankfurt. Bei dem Trauerzug zu seiner Beerdigung drei Tage später säumten mehr als 20.000 Menschen die Straßen, um dem großen Philanthropen die letzte Ehre zu erweisen. Kurz nach seinem Tod wurde ihm ein literarisches Denkmal gesetzt: Thomas Mann nahm Charles L. Hallgarten zum Vorbild für die Figur des philanthropischen Multimillionärs Samuel Spoelmann in seinem 1909 erschienenen Roman „Königliche Hoheit“.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 38 vom 27.09.2005

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