Ein Viertelkilometer schlichte Eleganz

Das Frankfurter I.G. Farben-Haus von Hans Poelzig wird im Oktober 75 Jahre alt

General Eisenhower hatte hier sein Hauptquartier, das Land Hessen wurde in Frankfurts größtem Vorkriegsgebäude proklamiert, und rund um das imposante Bauwerk soll im nächsten Jahrzehnt eine der modernsten Universitäten Europas entstehen – am 1. Oktober 1930 bezog die I.G. Farben den „Poelzig-Bau“, ein Haus mit wechselvoller, aber auch problematischer Geschichte.

Frankfurt am Main (pia) Der gelblich schimmernde Bau auf dem grünen Hügel im Westend setzte der Stadt die Krone auf. Mit der Vollendung des I.G. Farben-Hauses wurde Frankfurt zur Metropole. Der monumentale Neubau, damals Sitz des größten Chemiekonzerns der Welt, faszinierte von Anfang an wegen seiner schlichten Eleganz. Um das Meisterwerk des Architekten Hans Poelzig zu beschreiben, gab sich schon die zeitgenössische Presse gern der Magie der Zahlen hin. Der leicht geschwungene Hauptteil des Gebäudes wird auf seiner Länge von 254 Metern durch sechs Querriegel gegliedert, die die sechs Gründungsfirmen der I.G. Farben symbolisierten. Auf einer Höhe von 36,3 Metern hat der Bau sieben Stockwerke mit 2.000 Fenstern und 2,5 Kilometer langen Korridoren. „Der Verkehr im Haus wird durch sechs Personenaufzüge, acht Umlaufaufzüge, zwei Lastaufzüge, acht Aktenaufzüge und 800 Telephone aufrechterhalten“, berichtete der Frankfurter General-Anzeiger am 25. Oktober 1930. „Ein Mitarbeiter, den wir zum Zählen der Treppenstufen entsandt hatten, ist bis jetzt noch nicht zurückgekehrt.“

Vor 75 Jahren, am 1. Oktober 1930, bezog die I.G. Farben ihr neues Haus. Als das größte und modernste Bürogebäude in Europa war es damals ein Bau der Superlative. Bereits bei seiner Eröffnung gefeiert als „das neue Wahrzeichen“ der Stadt, durchlebte der Gebäudekomplex in den kommenden Jahrzehnten jedoch eine wechselvolle und auch problematische Geschichte. Seit 2001 sind nun die geisteswissenschaftlichen Institute der Johann Wolfgang Goethe-Universität dort beheimatet. Der Campus Westend auf dem ehemaligen I.G.-Gelände gehört heute zu den schönsten überhaupt. In dem malerischen Park, etwa auf den begehrten Bänken unter den Trauerweiden am Nixenteich, können sich die Studierenden getrost zurückversetzen in die Zeiten des Namensgebers ihrer Universität: Im 18. Jahrhundert besaß Goethes Familie hier einen Garten.

Die moderne Geschichte des Geländes begann am 9. Dezember 1925, als sechs führende deutsche Chemiefirmen – Agfa, BASF, Bayer, Farbwerke Hoechst, Griesheim-Elektron und Weiler-ter Meer – zur Interessengemeinschaft (I.G.) Farben mit Sitz in Frankfurt fusionierten. In einer Zentrale in der verkehrsgünstig gelegenen Mainstadt wollte der Konzern künftig zwei Drittel seiner Hauptverwaltung und die Verkaufsgemeinschaft Farben mit 1.600 Mitarbeitern zusammenfassen. Dafür erwarb die I.G. Farben 1927 das Gelände am Affensteiner Feld im Westend. Den beschränkten Architektenwettbewerb für den projektierten Neubaukomplex mit Verwaltungszentrale, Laboratorium, Kasino und weiteren Nebengebäuden gewann im Herbst 1928 der Berliner Professor Hans Poelzig. Er behauptete sich damit gegen die Konkurrenz von Frankfurts Stadtbaurat Ernst May und dessen Mitarbeiter Martin Elsässer, dem Schöpfer der Großmarkthalle.

Gegenüber der Stadt hatte sich die I.G. vertraglich zur Fertigstellung ihres Neubaus bis zum 1.10.1930 verpflichtet. Angesichts des hohen Termindrucks wurde das Haus in Stahlkonstruktion, einer damals in Deutschland völlig neuartigen Technologie, errichtet. Nach Abschluss der Fundamentierungsarbeiten wurde am 1. Juni 1929 die erste Stahlstrebe montiert, und innerhalb von nur vier Monaten stand das aus 4.600 Tonnen Stahl errichtete Skelett. Bis Ende November 1929 war die Fassade ausgemauert und verkleidet, mit insgesamt 33.000 Quadratmetern heller Natursteinplatten aus Cannstätter Travertin, die dem Gebäude seinen typischen warmen Gelbglanz verleihen. In der Rekordzeit von nur 24 Monaten nach Auftragsvergabe an die Architekten war das I.G. Farben-Haus tatsächlich fertig. (70 Jahre später dauerte der Umbau für die Universität schon doppelt so lange.)

Nach anfänglicher Zurückhaltung gegenüber dem Nationalsozialismus, unter anderem mit Rücksicht auf die zahlreichen jüdischen Mitglieder in der Konzernführung, unterstützte die I.G. Farben zunehmend die verbrecherische Politik des „Dritten Reichs“. Nach der innerbetrieblichen „Arisierung“ entwickelte sich das Unternehmen rasch zum nationalsozialistischen Staats- und Kriegskonzern, der selbst vom Holocaust wirtschaftlich profitierte, u. a. durch Bau und Betrieb des Bunawerks in Auschwitz. Außerdem entwickelte die I.G.-Tochter Degesch das hochgiftige Zyklon B, das zum Massenmord in den Gaskammern der Vernichtungslager eingesetzt wurde. Wegen der Mitschuld an den NS-Verbrechen musste sich die mittlerweile zerschlagene I.G. in den Nürnberger Folgeprozessen ab 1947 verantworten.

Die Frankfurter Konzernzentrale hatte die schweren Luftangriffe 1943/44 fast unbeschadet überstanden. Bald nach dem Einmarsch in die Stadt beschlagnahmte die amerikanische Besatzungsmacht noch Ende März 1945 das I.G. Farben-Haus für ihr Hauptquartier. Als Sitz der US-Militärregierung, dann des Hochkommissariats für Deutschland spielte das „Farben-Building“ eine wichtige Rolle in der Nachkriegsgeschichte. So wurden an dem historischen Ort am 19. September 1945 das Land Hessen proklamiert und am 1. Juli 1948 die Frankfurter Dokumente übergeben, was die Konstituierung der Bundesrepublik einleitete.

Fünfzig Jahre residierten die Amerikaner im I.G. Farben-Haus, das sie baulich den Bedürfnissen des 1952 eingezogenen V. Corps anpassten und 1975 in „Creighton W. Abrams Building“ umbenannten. Nach einer Reihe terroristischer Bombenanschläge von 1972 bis 1982 wurde der gesamte Komplex aus Sicherheitsgründen immer mehr abgeriegelt. Erst als die scheidenden US-Truppen das Gelände 1995 verließen, öffnete sich die seither unnahbare Festung wieder für ihre Stadt. Einige Vorschläge zur Nutzung, etwa als Sitz der Stadtverwaltung oder der Europäischen Zentralbank, wurden diskutiert. Letztlich siegte die Vision einer Universität im Grünen. Nach dem Verkauf an das Land Hessen und der vorbildlichen Sanierung kamen zum Sommersemester 2001 die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der Universität und das mit der Erforschung des Holocaust befasste Fritz Bauer Institut ins I.G. Farben-Haus. Der neue Campus Westend erwies sich als äußerst anziehend: Bis zum Jahr 2015 wird er erweitert, um die Institute der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie ein Hörsaalgebäude ebenfalls hier anzusiedeln.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 35 vom 06.09.2005

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