Ein allseits verehrter Grandseigneur
Der ehemalige Theaterintendant Emil Claar starb vor 75 Jahren
Über 33 Jahre lang, von 1879 bis 1912, hat Emil Claar die Geschicke der Frankfurter Bühnen gelenkt. Unter seiner Intendanz wurden das Frankfurter Opern- und das Schauspielhaus eröffnet. Es war Emil Claar, der die beiden Institutionen im städtischen Kulturleben und in der deutschen Theaterlandschaft etablierte. Vor 75 Jahren, am 25. Juli 1930, ist er gestorben.
Frankfurt am Main (pia) An einem schwülen Tag im Juni 1879 traf Emil Claar in Frankfurt ein. Der 36-Jährige, damals Leiter des Berliner Residenztheaters, hatte sich um die Intendanz des Frankfurter Stadttheaters beworben. Er erledigte sofort ein paar Antrittsbesuche und wurde eingeladen, sich die Abendvorstellung in der „sonst leeren“ Intendantenloge anzusehen. Ab nachmittags um fünf Uhr tagte der Aufsichtsrat wegen der Besetzung der schon länger vakanten Stelle. Claar wollte eigentlich die Entscheidung in seinem Hotel abwarten, machte sich dann aber doch auf den Weg ins alte Stadttheater. Die Vorstellung lief bereits, als er die Tür zur Intendantenloge öffnete. Im selben Augenblick erschien auf der Bühne ein Kammerdiener, der der Schlossherrin meldete: „Der neue Intendant ist soeben eingetroffen.“ Gemeint war eigentlich der Verwalter des Adelsgutes in dem Stück. Und tatsächlich: Kurz vor der Pause platzte dann der geschäftsführende Aufsichtsrat in die Loge - mit der Nachricht, dass Claar einstimmig zum neuen Theaterintendanten gewählt sei.
Der „Herr Intendant“ blieb Emil Claar den Frankfurtern bis zu seinem Tod vor 75 Jahren, am 25. Juli 1930. Über 33 Jahre lang, bis zu seiner Verabschiedung in den Ruhestand am 31. August 1912, lenkte er die Geschicke der Frankfurter Bühnen. Unter seiner Ägide wurden das Opern- und das Schauspielhaus eröffnet, die er im städtischen Kulturleben wie in der deutschen Theaterlandschaft etablierte. Auch nach seiner Pensionierung verließ der gebürtige Lemberger die Stadt nicht. Bis ins hohe Alter war der allseits verehrte Grandseigneur täglich auf seiner Promenade durch die Stadt zu sehen, immer elegant, im schwarzen Gehrock, mit Zylinder, Gamaschen und Glacéhandschuhen, den weißen Schnurrbart waagrecht gezwirbelt tragend, aus blauen Augen aufmerksam blickend - manchmal nach seinem Hündchen, meist aber nach den vorbeikommenden Damen. Der „Unverwüstling“, wie ihn der Journalist Rudolf Geck titulierte, blieb bis zuletzt auch schriftstellerisch tätig. So verfasste der 87-Jährige noch einen Artikel zum 50. Jubiläum des Opernhauses, das er jedoch nicht mehr erleben durfte.
Bei Claars Amtsantritt am 1. Juli 1879 waren die städtischen Bühnen noch im alten Stadttheater, dem ehemaligen Comödienhaus, am heutigen Rathenauplatz beheimatet. Doch das „Neue Stadttheater“, das spätere Opernhaus, war bereits im Bau. So sah sich der junge Intendant vor der großen Aufgabe, „die Theaterverhältnisse aus dem engen Kreise, der sie künstlerisch und materiell einschnürte, energisch herauszureißen und zu einem kühneren, frei atmenden Ganzen zu gestalten“. Viel Zeit zum Eingewöhnen blieb ihm dabei nicht. „In fiebernder Anspannung“ bereitete er die Eröffnung des neuen Theaters vor. Nach nur 15 Monaten intensiver Arbeit war es soweit: Am 20. Oktober 1880 wurde das Opernhaus mit Mozarts „Don Juan“ feierlich eingeweiht. Zu dem festlichen Anlass war sogar Kaiser Wilhelm I. eigens aus Berlin angereist. Beim Empfang im prunkvollen Treppenhaus des Theaterneubaus sagte der Kaiser staunend zum Intendanten: „Das könnte ich mir in Berlin nicht erlauben!“
Als nunmehriger Chef der „Vereinigten Stadttheater“ musste sich Claar vorrangig der Oper widmen, da das neue Haus an diese völlig veränderte Anforderungen stellte, die Aufführung aufwändigerer Bühnenwerke erlaubte als das alte, enge Stadttheater. Zunächst baute Claar ein qualifiziertes Ensemble auf, zu dem er gelegentlich noch renommierte auswärtige Künstler für Gastspiele verpflichtete. Insbesondere stellte Claar dem Frankfurter Publikum die großen Opern von Richard Wagner vor. Ursprünglich sollte das „Neue Stadttheater“ auch dem Schauspiel dienen. Bald zeigte sich jedoch, dass der Bühnenraum nicht besonders für das Sprechtheater geeignet war. Claar setzte daher durch, dass das neue Haus künftig hauptsächlich als Opernhaus genutzt wurde, während das Schauspiel weiterhin im intimeren alten Stadttheater blieb. Auf dessen Spielplan bot Claar aber nicht nur „die großen Selbstverständlichen“ Goethe, Schiller, Shakespeare und Lessing, sondern er wagte es auch, die modernen naturalistischen Dramatiker, etwa Ibsen, Strindberg und Björnson, in Frankfurt herauszubringen.
Kaum konnte Claar verleugnen, dass seine eigentliche Liebe dem Schauspiel gehörte. Um sich ganz dem Aufbau von dessen geplantem neuem Haus zu widmen, zog er sich im Herbst 1900 von der Direktion der Oper zurück. Am 1. November 1902 konnte der stolze Intendant das neue Schauspielhaus am heutigen Willy-Brandt-Platz eröffnen, dem er dann noch ein ganzes Jahrzehnt lang vorstand. Kurz vor seinem Abschied übernahm Emil Claar interimistisch auch wieder die Leitung des Opernhauses. Dort brachte er seine letzte Uraufführung über die Bühne, Schrekers Oper „Der ferne Klang“ (1912), womit der scheidende Prinzipal dem Frankfurter Theater schon den Weg in eine moderne Zukunft wies.
Sabine Hock
Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 26 vom 05.07.2005