In Frankfurt begannen Hänsel und Gretel zu singen

Engelbert Humperdinck wäre am 1. September 150 Jahre geworden

In Frankfurt komponierte Engelbert Humperdinck seine weltberühmte Märchenoper „Hänsel und Gretel“. Die Erstaufführung in Weimar wurde von Richard Strauss dirigiert. Humperdincks Nachlass besitzt die Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt. Sie zeigt ab 30. August eine Ausstellung unter dem Titel „Engelbert Humperdincks Bühnenwerke“.

Frankfurt am Main (pia) Seine sieben glücklichsten Jahre verbrachte Engelbert Humperdinck in Frankfurt. Als er im Mai 1890 in die Mainstadt kam, war er ein zwar begabter, aber bedürftiger Musiker. Im Frühjahr 1897 zog er als Komponist von Weltruf und Wohlstand wieder fort. Ein Werk, das er in seiner Frankfurter Zeit geschaffen hatte, hatte ihn berühmt gemacht: die Märchenoper „Hänsel und Gretel“, die nach ihrer Uraufführung 1893 die Bühnen im In- und Ausland eroberte und bis heute traditionell auf dem Weihnachtsspielplan vieler Opernhäuser steht.

Vor 150 Jahren, am 1. September 1854, wurde Engelbert Humperdinck als das erste Kind eines Gymnasiallehrers in Siegburg geboren. Kurz vor seiner Geburt soll eine Zigeunerin der Mutter prophezeit haben, sie würde „eines Sohnes genesen“, der Ansehen und Ruhm durch 14 Engel erlangen würde. Dieser Episode verdankte der Junge angeblich seinen Vornamen „Engelbert“ (im Sinne von „der durch Engel Berühmte“). Humperdinck selbst erfuhr von der Geschichte erst, als er längst seine Oper „Hänsel und Gretel“ mit dem bekannten Abendsegen („Abends will ich schlafen gehn, / Vierzehn Engel bei mir stehn...“) geschrieben hatte, und er hat die kuriose Begebenheit amüsiert in seinem Tagebuch notiert.

Während seines Musikstudiums in Köln (ab 1872) errang Humperdinck mit einem Streichquartett und einer Liedkomposition 1876 den Preis der Frankfurter Mozartstiftung, als deren Stipendiat er seine Ausbildung, später in München, fortsetzen konnte. Auf einer Italienreise 1880 lernte er Richard Wagner kennen. Als Mitarbeiter des von ihm hoch verehrten Komponisten lebte er 1881/82 in Bayreuth, um die Uraufführung des „Parsifal“ vorbereiten zu helfen: Er erstellte die Orchesterpartitur, probte mit den Chören und komponierte selbst „einen kleinen Partiturflicken“ hinzu, der Wagners höchste Anerkennung fand. Nach Wanderjahren, u. a. in Italien und Spanien, arbeitete er seit 1888 als Verlagslektor bei Schott in Mainz.

Da erreichte Humperdinck die Einladung von Wagners Witwe Cosima nach Frankfurt, wo er deren Sohn Siegfried privaten Musikunterricht erteilte. Doch im hiesigen Musikleben, das unter dem Einfluss von Clara Schumann ganz traditionalistisch ausgerichtet war, glaubte er als Wagnerianer auf Dauer kaum Fuß fassen zu können. Überraschend erhielt er dann ein Lehramt an Dr. Hoch’s Konservatorium für Chorgesang und Harmonielehre. Zudem wurde er von Leopold Sonnemann, dem Herausgeber der Frankfurter Zeitung, als Musikreferent und Opernkritiker verpflichtet.

„Hilf, hilf schnell! und mach mir etwas recht Hübsches, Volkstümliches!“, hatte ihn im Frühjahr 1890 seine Schwester Adelheid Wette gebeten. Sie brauchte ein paar Musikstückchen zu einem von ihr verfassten Märchenspiel „Hänsel und Gretel“, das sie mit ihren Kindern aufführen wollte. Umgehend schickte der Bruder ihr vier Lieder, darunter „Brüderchen, komm tanz mit mir“. Die begeisterte Familie wollte das einfache Stück nun gern zum Singspiel ausgearbeitet sehen. Mit Eifer ging Adelheid an die textliche Ausgestaltung, woran sich bald ihr Mann Hermann, der Vater Gustav Humperdinck, Engelberts Braut Hedwig Taxer und deren Schwester beteiligten, weshalb der Komponist das Opus scherzhaft als „das Familienübel“ titulierte. Zur Verlobung an Weihnachten 1890 konnte Humperdinck seiner späteren Frau die Partitur der fertigen Singspielfassung als Brautgeschenk überreichen. Im folgenden Jahr formte er das Singspiel zur durchkomponierten „Märchenoper“ aus.

Am 23. Dezember 1893 wurde „Hänsel und Gretel“ in Weimar uraufgeführt, unter der Leitung von Richard Strauss, der bereits nach dem Studium der Partitur einige Wochen zuvor seinem Freund Humperdinck nach Frankfurt geschrieben hatte: „Wahrlich, es ist ein Meisterwerk erster Güte, zu dessen glücklicher Vollendung ich Dir meinen innigsten Glückwunsch u. meine vollste Bewunderung zu Füßen lege; das ist wieder seit langer Zeit etwas, was mir imponirt hat.“ Innerhalb von nur zwei Jahren brachten über 50 europäische Opernbühnen das „Meisterwerk“. Der international gefeierte Komponist, der für die Reise zur Erstaufführung nach München noch seine letzten Groschen zusammenkratzen musste, reiste im Winter 1905 gar nach Amerika, wo „Hänsel und Gretel“ zum ersten Mal in der Metropolitan Opera in New York zu sehen waren.

An den Erfolg seiner „Frankfurter Knusperkinder“ konnte Humperdinck in seinem weiteren Schaffen allerdings nicht anknüpfen. Während seiner Frankfurter Jahre gestaltete er u. a. einen weiteren Märchenstoff, das Schauspiel „Königskinder“ von Ernst Rosmer (d. i. Elsa Bernstein), musikalisch. Für dieses 1897 uraufgeführte Melodram entwickelte er eigens ein System von „Sprechnoten“, das Rhythmus und Tonhöhe des zur musikalischen Untermalung vorgetragenen Textes fixierte - eine Technik, die in der Neuen Musik, etwa von Arnold Schönberg, aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Humperdinck rückte später von der Melodramfassung der „Königskinder“ ab und arbeitete sie zur Volloper (1910) um. Das seinerzeit durchaus erfolgreiche Werk ist heute weitgehend vergessen.

Im Frühjahr 1897 verließ Humperdinck Frankfurt, um als freier Komponist im eigenen „Schlösschen“ in Boppard am Rhein zu leben. Im Jahr 1900 wurde er als Kompositionslehrer an die Musikhochschule in Berlin berufen. Aus seiner Berliner Zeit wurden vor allem seine - u. a. für Max Reinhardt komponierten - Schauspielmusiken bekannt. Am 27. September 1921 starb Humperdinck in Neustrelitz. Seinen Nachlass besitzt die Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt. Darin finden sich auch die autographen Partituren seiner Frankfurter Schöpfungen: die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ und das Melodram „Königskinder“.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 32 vom 17.08.2004

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