Der General machte Theater für alle

Zum 100. Geburtstag von Harry Buckwitz

Er hat Frankfurt zur Brecht-Stadt gemacht. Zu einer Zeit, als der Dramatiker wegen seiner politischen Haltung von den bundesdeutschen Bühnen boykottiert wurde, setzte Generalintendant Harry Buckwitz die Stücke von Bertolt Brecht auf den Spielplan der Städtischen Bühnen. Am 31. März 2004 wäre Buckwitz 100 Jahre alt geworden.

Frankfurt am Main (pia) "Man kann und muss in Frankfurt etwas wagen!", glaubte Harry Buckwitz unerschütterlich. Er setzte auf einen vielseitigen und faszinierenden Spielpan, der sich "nicht mit dem Hergebrachten und Gefälligen begnügen" sollte. Er spielte zeitgenössische Autoren wie Ionesco, Arthur Miller, Sartre und Tennessee Williams, Frisch, Hochhuth, Peter Weiss - und Bertolt Brecht. In den 17 Jahren seiner Intendanz brachte Buckwitz, zunächst noch unter Mitarbeit des Autors selbst, insgesamt 15 Brecht-Inszenierungen in Frankfurt heraus, darunter die Erstaufführungen von "Der gute Mensch von Sezuan" (1952) und von "Der kaukasische Kreidekreis" (1955) und die Inszenierung von "Mutter Courage und ihre Kinder" mit Therese Giehse in der Titelrolle (1958). Wegen dieses Bühnenprogramms wurde Buckwitz immer wieder attackiert, man warf ihm vor, "kommunistische Propagandastücke" aufzuführen. Der Intendant ließ sich davon nicht beirren, zeigte sich aber tolerant und stellte den Abonnenten frei, ihre Karten umzutauschen, "wenn weltanschauliche Hürden ihnen an Brecht-Abenden den Weg ins Haus versperren sollten".

Vor 100 Jahren, am 31. März 1904, wurde Harry Buckwitz in München geboren. In Frankfurt begann die "Ära Buckwitz" am 8. Dezember 1950. An diesem Tag entschied sich nach einem langwierigen Bewerbungsverfahren die Theaterdeputation für ihn als Generalintendanten der Städtischen Bühnen. Der Theaterwissenschaftler, ausgebildete Schauspieler und wagemutige Regisseur war damals Direktor der Münchener Kammerspiele. In einem Drahtinterview mit der "Frankfurter Rundschau" bekannte er, dass ihn die Frankfurter Aufgabe reize: "Das internationale Gepräge Frankfurts, seine Aufgeschlossenheit und Modernität, macht [die Stadt] zu einem Schwerpunkt Europas. Auf solch vielschichtigem Boden muss eine interessante, hochrangige Bühne florieren und einen ganz besonderen Theatertypus entwickeln können." Im Frühjahr 1951 trat Buckwitz in Frankfurt an. Nicht umsonst hieß er bei seinen Mitarbeitern bald "der General": Künftig ging kein Weg bei den Städtischen Bühnen mehr an ihm vorbei.

Als Buckwitz kam, lagen Opern- und Schauspielhaus noch in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs. Theater gespielt wurde auf "Behelfsbühnen" im Börsensaal, in einer Sachsenhäuser Turnhalle und im Handwerkersaal in der Braubachstraße. Es war jedoch bereits entschieden, das ehemalige Schauspielhaus am heutigen Willy-Brandt-Platz als "Großes Haus" für Oper und Schauspiel wiederaufzubauen. Am 23. Dezember 1951 konnte der Intendant das neue Haus feierlich eröffnen. Damit war die Voraussetzung dafür geschaffen, der Oper wieder ihren alten Glanz zu geben, wie Buckwitz es sich vorgenommen hatte. Getreu einem seiner "Wahlversprechen" holte er 1952 einen Generalmusikdirektor von internationalem Rang nach Frankfurt: Georg Solti, der das Frankfurter Opernhaus zu neuer Blüte führte.

Durch stetige Steigerung des künstlerischen Niveaus wollte Buckwitz "die Repopularisierung des Theaters" erreichen: "Man kann die Menschen nur für das Theater gewinnen, wenn man den Menschen auch etwas bietet." Der Intendant hatte sich damit nicht verrechnet. Bereits nach seiner ersten Spielzeit hatten sich die Zuschauerzahlen mehr als verdoppelt, und zwar von 220.230 (1950/51) auf 461.048 (1951/52). Die Platzausnutzung betrug während seiner Amtszeit um die 90 Prozent. Durch diesen Erfolg fühlte sich Buckwitz in seiner Überzeugung vom volksbildenden Auftrag der Bühne bestätigt. Er forderte immer "Theater für alle!" und hegte den Traum, die Industriearbeiterschaft für das Theater zu gewinnen.

Buckwitz wollte durch den Bau einer großzügigen "Theaterdoppelanlage" für Schauspiel und Oper die Zeit der Nachkriegsprovisorien endlich abschließen. Die Einweihung des neuen Hauses der Städtischen Bühnen am 14. Dezember 1963 war der Höhepunkt der Ära Buckwitz. Künftig herrschte "der General" auf seiner "funkelnden Theaterinsel", wo der Himmel voller goldener Wolken (geschaffen von dem ungarischen Künstler Zoltan Kemeny) hing. Doch kaum hatte er das glänzende Ziel des Neubaus erreicht, brach Buckwitz erschöpft zusammen. Er erholte sich nur langsam, ohne seine alte Spannkraft völlig wiederzugewinnen. Nicht zuletzt infolge heftiger Kritiken und unerquicklicher Etatstreitigkeiten erklärte er im Januar 1967 seinen Rücktritt. Zum Ablauf seines Vertrags am 31. August 1968 verabschiedete sich Harry Buckwitz von den Städtischen Bühnen. Er hatte, wie der Frankfurter Kritiker Heinrich Heym damals schrieb, "ein glückhaftes, sternenreiches Jahrzehnt, in dem [ihm] mühelos fast alles gelang", in und für Frankfurt erlebt. Mit seinem Theater, das trotz politischer Aktualität immer zutiefst künstlerischen und ästhetischen Idealen verpflichtet war, hatte er den Boden für die politisierte Bühne bereitet, die nun kommen sollte, aber seine Sache nicht sein konnte.

Trotz des bitteren Abschieds blieb Buckwitz, der von 1970 bis 1977 Intendant des Züricher Schauspielhauses war, der Stadt Frankfurt verbunden: "Ich trage [sie] im Herzen", sagte er in einem Interview zu seinem 75. Geburtstag. Am 27. Dezember 1987 starb Harry Buckwitz in Zürich. Seinem Wunsch entsprechend wurde er in Frankfurt, auf dem Oberräder Waldfriedhof, begraben.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 10 vom 16.03.2004

Seitenanfang