Die Kunstdetektivin

Provenienzforscherin am Städelschen Kunstinstitut

Am Städelschen Kunstinstitut gibt es seit kurzem eine Stelle für Provenienz-forschung. In dreijähriger Arbeit soll die Kunsthistorikerin Nicole Roth die Herkunft aller Gemälde klären, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden. Dadurch kann „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ in der Sammlung gefunden und an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden.

Frankfurt am Main (pia) Auf einer Auktion im Jahr 1943 hat das Städelsche Kunstinstitut eine Landschaft des Frankfurter Malers Adolf Hoeffler (1825-1898) erstanden. Diese knappe Information lässt Nicole Roth aufhorchen. Die Kunsthistorikerin ist seit September als Provenienzforscherin am Städel beschäftigt und soll die Herkunft aller Gemälde klären, die Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie in der NS-Zeit erworben haben. Dem Bild von Hoeffler ist sie schnell auf der Spur: In der Institutsbibliothek findet sie den Auktionskatalog, dem sie das Namenskürzel des Einlieferers entnehmen kann. Tatsächlich entdeckt sie dann im Städelarchiv einen Brief, in dem ein Herr mit denselben Initialen eben dieses Gemälde bereits 1929 zum Kauf anbot. Der Herr ist auch in einer Monographie über Hoeffler erwähnt, und zwar als einer der Erben des Künstlers, so dass Nicole Roth schließlich festhalten kann: Dieses Bild kam rechtmäßig in den Besitz des Städels.

Bei anderen Kunstwerken ist der Fall nicht so klar. Es ist durchaus möglich, dass die Sammlungen von Städel und Städtischer Galerie noch Gemälde beherbergen, die im Zuge der „Arisierung“ zur Zeit des Nationalsozialismus unrechtmäßig den Besitzer gewechselt haben. Um „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ - so die Fachbezeichnung - in den Beständen systematisch aufzufinden und den Eigentümern bzw. deren Erben zurückzuerstatten, wurde jetzt die Stelle für Provenienzforschung am Städelschen Kunstinstitut geschaffen und mit Nicole Roth besetzt. Innerhalb von drei Jahren soll die Kunsthistorikerin die Herkunft („Provenienz“) aller Gemälde, die nach 1933 erworben und vor 1945 erschaffen wurden, möglichst lückenlos dokumentieren. In ihre Recherchen muss sie auch vor 1945 entstandene Werke, die erst nach dem Krieg in die Bestände kamen, einbeziehen: Diese Werke könnten in der NS-Zeit beschlagnahmt worden sein, bevor sie später aus vermeintlich „einwandfreiem“ Vorbesitz und deshalb „in gutem Glauben“ durch das Kunstinstitut erworben wurden.

In den ersten Nachkriegsjahren wurde in den Wiedergutmachungsverfahren auf Initiative der Alliierten schon einmal Kulturgut zurückerstattet, das die Nationalsozialisten, zumeist aus jüdischem Besitz, beschlagnahmt und enteignet hatten. So wurden von 1946 bis 1954 bereits 208 der insgesamt 779 Kunstwerke, die Städel und Städtische Galerie zwischen 1933 und 1945 erwarben, restituiert. Doch diese ersten Rückerstattungsverfahren wurden, vor allem aufgrund der ersten Rückerstattungsverfahren wurden, vor allem aufgrund der damals festgesetzten knappen Fristen für die Antragstellung, lange als unzureichend empfunden. Im Jahr 1998 brachte daher die „Washingtoner Konferenz“ den Stein erneut ins Rollen. Deren Empfehlung „zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz,“ schloss sich im Dezember 1999 die Bundesregierung an. Auch in Frankfurt wurde eine Arbeitsgruppe „Frankfurter Kulturinstute in den Jahren 1933 bis 1945“ gegründet. Die einzelnen Häuser durchforsten seither ihre Bestände nach Gegenständen, die nach 1933 von jüdischen Vorbesitzern unrechtmäßig erworben wurden.

Am Städelschen Kunstinstitut übernahm Nicole Roth die Aufgabe der Provenienzforschung. Zuvor musste sie jedoch erst einmal das Quellenmaterial erschließen. In einjähriger Arbeit hat Roth das glücklicherweise erhaltene Städelarchiv der Jahre 1933 bis 1945 geordnet und in einer Datenbank erfasst. Vorgang für Vorgang, manchmal sogar Blatt für Blatt hat sie die insgesamt 150 Aktentitel verzeichnet. Über die Datenbank wie auch über ein Findbuch ist nun der Zugriff auf diesen Quellenbestand möglich, der die Geschichte des Städels und der Städtischen Galerie in der NS-Zeit ebenso umfassend wie anschaulich dokumentiert.

Auf dieser Grundlage konnte Nicole Roth vor ein paar Wochen endlich mit der eigentlichen Provenienzforschung beginnen. Aus dem digitalen Gemäldeverzeichnis des Städels hat sie sich zunächst eine Liste aller Erwerbungen der Jahre 1933-1945 ausgedruckt: Genau 571 Werke müssen auf ihre Provenienz hin untersucht werden. Für die teilweise sehr aufwändigen und zeitintensiven Einzelrecherchen braucht die Forscherin nicht nur ein fundiertes Fachwissen, sondern auch viel Geduld, vor allem Spürsinn und manchmal etwas Glück. Auf ihrer Suche nach Informationen muss sie nicht nur in der Bibliothek und im Archiv des Städels, sondern auch in anderen Häusern fahnden, wie dem Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt, dem Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden und dem Bundesarchiv in Koblenz. Zum Abschluss der Recherche legt Roth für jedes der Kunstwerke eine eigene Akte an, sozusagen dessen „Stammbaum“, worin die Forschungsergebnisse zu seiner Provenienz nachvollziehbar dokumentiert sind.

Noch steht Nicole Roth ganz am Anfang dieser Arbeit. Aber was wäre, wenn die Provenienzforscherin feststellen würde, dass sich ein Gemälde unrechtmäßig im Bestand des Städels oder der Städtischen Galerie befindet? „Dann müsste ich nach dem Besitzer oder dessen Erben suchen“, sagt Roth. Die Rückgabe oder Entschädigung müsse dann auf juristischer Ebene geregelt werden, erläutert sie weiter: „Ich bin ja nur die Kunstdetektivin, die die Hintergrundinformationen dazu liefert.“

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 42 vom 29.10.2002

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