Ein reizvolles und vornehmes Haus

Das Frankfurter Schauspielhaus wurde vor 100 Jahren eröffnet

Ein Berliner Fachmann für Theaterbauten hatte das Frankfurter Theatergebäude mit einem Gesamtkostenaufwand von etwa 2,1 Millionen Mark gebaut. Am 1. November 1902 fand die feierliche Eröffnung statt. Bei den Luftangriffen auf Frankfurt 1944 wurde es schwer beschädigt und 1951 als „Großes Haus“ für Oper und Schauspiel neu eröffnet.

Frankfurt am Main (pia) „Stolz und schmuck“ - so ein Lokaljournalist der „Kleinen Presse" - erhob sich im Oktober 1902 ein imposanter Neubau in der Untermainanlage: das Schauspielhaus. Der gründerzeitliche, im Anklang an den Jugendstil gestaltete Prachtbau mit seiner mächtigen kupfernen Kuppel, die von einer golden schimmernden Figur der „Francofurtia“ gekrönt wurde, erstrahlte mitten im Grün der Wallanlagen in blendend weißem Mainsandstein. Die helle Fassade erwies sich allerdings bald als „sehr empfindlich“ gegen die „großstädtischen Einflüsse von Ruß und Rauch“, wie der Reporter der „Kleinen Presse“ registrierte.

In jenen Tagen vor 100 Jahren mussten sich die Frankfurter von ihrem alten „Komödienhaus“ am heutigen Rathenauplatz, das einst auch Goethes Mutter regelmäßig besucht hatte, verabschieden. Nach der letzten Vorstellung in diesem seit 1782 bestehenden Theater nahmen die Zuschauer die Dekorationen von der Bühne zum Andenken mit und damit symbolisch den bevorstehenden Abbruch des traditionsreichen, aber sanierungsbedürftigen Hauses vorweg. Zwei Tage später, am 1. November 1902, wurde das neue Schauspielhaus unter der Intendanz von Emil Claar eröffnet. In der glänzenden Festvorstellung wurden zuerst ein eigens verfasstes Vorspiel des zeitgenössischen Bühnenautors Ludwig Fulda, dann der erste Akt von Goethes „Faust I“ und schließlich „Wallensteins Lager“ von Schiller gegeben.

Auf das Erbe der Klassiker hatte sich Frankfurt bereits bei der Grundsteinlegung zu dem neuen Theater verpflichtet. Die Stadtpolitiker hatten sie just auf den 28. August 1899, den 150. Geburtstag ihres „größten Landsmanns“ Goethe, gelegt. In den folgenden drei Jahren wurde das Schauspielhaus nach Plänen des Königlichen Baurats Christian Heinrich Seeling, eines Berliner Fachmanns für Theaterbauten, mit einem Gesamtkostenaufwand von etwa 2,1 Millionen Mark gebaut. Wenn das Schauspiel auch nicht ganz so prunkvoll wie das 1880 eingeweihte (und mehr als dreimal so teure) Opernhaus ausfiel, so zeigten sich Presse und Publikum doch zufrieden. Der Berichterstatter der „Kleinen Presse“ etwa empfand das Innere des neuen Hauses „elegant und behaglich“. Der Zuschauerraum mit seinen 1.250 Plätzen sei dezent ganz „in Weiß und Gold gehalten“: „Dadurch wird dem Ganzen ein festlich-heiteres Gepräge gewahrt; bei vollständig festlicher Beleuchtung wird das Haus einen ebenso reizvollen wie vornehmen Eindruck machen.“ Faszinierend modern für die Zeitgenossen war die elektrische Beleuchtung des Hauses, etwa der riesige Kronleuchter im Zuschauerraum, in dem allein 700 Glühbirnen brannten.

Das Schauspielhaus, das vor allem unter der Intendanz von Richard Weichert von 1919 bis 1929 zu den künstlerisch bedeutendsten Theatern in Deutschland gehörte, wurde bei den Luftangriffen auf Frankfurt 1944 schwer beschädigt. In den ersten Nachkriegsjahren standen den Städtischen Bühnen somit nur „Behelfsbühnen“ zur Verfügung, bis am 23. Dezember 1951 das - allerdings ohne die kriegszerstörte Kuppel - wieder aufgebaute Schauspielhaus als „Großes Haus“ für Oper und Schauspiel neu eröffnet werden konnte. Die Neukonstruktion der Bühne unter der Leitung von Adolf Linnebach war damals eine außerordentliche Leistung: Für die Anforderungen des Mehrspartenbetriebs entwickelte Linnebach eine „doppelte“ Drehbühne, in der eine normale Drehscheibe (Durchmesser 16 Meter) und eine große Drehbühne (Durchmesser 38 Meter) zu einem variablen System kombiniert sind. Damit verfügt die Oper Frankfurt bis heute über die größte Drehbühne Europas.

Künstlerisch setzte eine der ersten Inszenierungen im „Großen Haus“ neue Maßstäbe: Am 30. Januar 1952 wurde die Neufassung von Brechts Oper „Das Verhör des Lukullus“ uraufgeführt. Damit begann die Reihe der Frankfurter Brecht­ Inszenierungen unter Harry Buckwitz. Der von 1951 bis 1968 amtierende Generalintendant sorgte mit seinem Engagement für das Werk von Bertolt Brecht deutschlandweit für Aufsehen, denn der Dramatiker wurde damals wegen seiner politischen Haltung von bundesdeutschen Bühnen nicht gespielt.

Um Oper und Schauspiel wieder jeweils eine eigene Bühne zu verschaffen, wurde das „Große Haus“ ab 1960 zur „Theaterdoppelanlage“ ausgebaut. Die Oper behielt die Bühne des „Großen Hauses“, also des früheren Schauspielhauses, während das neue, am 14. Dezember 1963 eröffnete Schauspiel mit dem Kammerspiel und einem Verwaltungstrakt daran angebaut wurde. Um die Front der „Theaterdoppelanlage“ einheitlich und modern zu gestalten, wurde die erhaltene Fassade des alten Schauspielhauses fast völlig abgeschlagen und verkleidet. Auch die bronzene Quadriga vom Giebel kam auf den Schrott. Dort wurde sie jedoch entdeckt und gerettet - für die Alte Oper, auf der sie seit 1976 steht.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 39 vom 08.10.2002

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