Zum 200. Todestag von Susette Gontard

Die Frankfurter Bankiersgattin war Hölderlins „Diotima“

Als „Diotima“ hat Hölderlin Susette Gontard in seinen Dichtungen verewigt. 1795 hatte Hölderin, der als Hauslehrer des Sohnes bei der Familie Gontard angestellt war, die Bankiersgattin in Frankfurt kennen gelernt. Letztlich zerbrachen die beiden an ihrer unmöglichen Liebe. Am 22. Juni 1802, vor 200 Jahren, starb Susette Gontard in Frankfurt.

Frankfurt am Main (pia) „Ich bin in einer neuen Welt“, schrieb Friedrich Hölderlin im Juni 1796 aus Frankfurt. „Lieber Freund! es gibt ein Wesen auf der Welt, woran mein Geist Jahrtausende verweilen kann und wird (...). Lieblichkeit und Hoheit, und Ruh und Leben, und Geist und Gemüt und Gestalt ist Ein seliges Eins in diesem Wesen.“ Das „Wesen“, von dem der Dichter so schwärmte, war die Frankfurter Bankiersgattin Susette Gontard. Sie wurde seine "Diotima“. Unter diesem Namen, den er von der Priesterin der Liebe aus Platons „Gastmahl“ entlieh, verewigte Hölderlin sie in seinen Dichtungen.

Doch „Herz“ und „Schicksal“ warfen den Dichter und seine „Diotima“ - frei nach einem Wort Hölderlins - nicht nur „an den Himmel hinauf“, sondern auch wieder „in den Meeresgrund hinab“. Letztlich zerbrachen die beiden an ihrer Liebe, die mit Rücksicht auf die gesellschaftlichen Konventionen unerfüllt bleiben musste. Nach der „gänzlichen Scheidung“ von Hölderlin im Mai 1800 verbarg Susette die Trauer tief in ihrem Inneren. „Meinen großen unersetzlichen Verlust berühre ich nicht“, offenbarte sie ihrer Freundin Marie Freifrau Rüdt von Collenberg am 7. April 1802, „meine Gefühle darüber aufzuschließen wäre mehr als ich tragen könnte, ich verhülle sie gern in heilige Dunkelheit, ein dichter Schleier decke sie für immer!“ Am 22. Juni 1802, vor 200 Jahren, starb Susette Gontard in Frankfurt.

Als Susette im Dezember 1795 Hölderlin kennen lernte, war sie erst 26 Jahre alt und nicht zuletzt dank ihrer „vollendeten Schönheit von edler griechischer Gestalt“ gefeierter Mittelpunkt der Frankfurter Gesellschaft. Seit 1786 war sie mit dem Bankier Jacob Friedrich, genannt Cobus, Gontard aus der renommierten Frankfurter Kaufmannsfamilie verheiratet. Die Ehe, aus der vier Kinder hervorgingen, war scheinbar glücklich. Cobus Gontard war nicht nur ein tüchtiger Geschäftsmann, sondern auch ein gütiger Gatte und Vater. Die Gontards residierten im Haus zum Weißen Hirschen, einem riesigen Anwesen am Großen Hirschgraben 3, das sich etwa an der Stelle des heutigen Hotels Frankfurter Hof erstreckte.

Als Henry, der einzige Sohn von Susette und Cobus Gontard, acht Jahre alt war, sollte zu seiner Ausbildung ein „Hofmeister“ angestellt werden. 1796 trat der studierte Theologe Friedrich Hölderlin diese Stelle im Weißen Hirschen an. Der Dichter und die schöngeistig veranlagte Frau des Hauses fanden sich bald zu Gesprächen zusammen, musizierten miteinander, lasen sich aus der neuesten Literatur und seinen entstehenden Werken vor. Allmählich entwickelte sich daraus die Liebesbeziehung zweier Seelenverwandter: „Nun! ich habe dich gefunden, / Schöner, als ich ahndend sah / In der Liebe Feierstunden, / Hohe! Gute! bist du da; / O der armen Phantasien! / Dieses Eine bildest nur / Du, in ewgen Harmonien / Frohvollendete Natur!“ dichtete Hölderlin damals an „Diotima“. Die Frankfurter Jahre wurden zu einer äußerst produktiven Schaffenszeit für Hölderlin: Er vollendete seinen Roman „Hyperion“ (1797/99), schrieb den ersten Entwurf zu dem Drama „Der Tod des Empedokles“ (ab 1798) sowie zahlreiche Gedichte.

Bald sorgte die Beziehung für Gerüchte in der Stadt. Auch im Haus Gontard konnten Spannungen nicht ausbleiben. Nach einem Streit mit dem Hausherrn verließ Hölderlin am 25. September 1798 fluchtartig den Weißen Hirschen. Dank der Hilfe seines Freundes Isaac Freiherr von Sinclair kam er in Homburg vor der Höhe unter. Künftig konnten die beiden Liebenden nur heimlich in Verbindung bleiben. An einem vereinbarten Tag, gewöhnlich jeden ersten Donnerstag im Monat, wanderte Hölderlin von Homburg nach Frankfurt, zeigte sich an der Ecke zum Hirschgraben kurz seiner am Fenster im oberen Stockwerk wartenden Geliebten und legte dann einen Brief in ein unteres Fenster, wofür er ein Schreiben von ihrer Hand vorfand. Im Sommer, wenn die Familie Gontard auf dem Adlerflychthof im Oeder Weg lebte, kommunizierten die beiden „durch die Hecke“ vor dem Garten miteinander, wo sie ihre Briefe und ganz selten ein paar flüchtige Worte wechselten, ohne einander dabei sehen zu können. Am 7. November 1799 übergab Hölderlin seiner „Diotima“ den gerade erschienenen zweiten Band des „Hyperion“ mit der Widmung: „Wem sonst als Dir“.

Angesichts des ständigen Ringens um ihr seelisches Gleichgewicht entschloss sich Susette im Frühjahr 1800 zur völligen Trennung von Hölderlin. Sie entsagte auch, weil sie an ihn als Dichter glaubte und mit ihrer Liebe seiner Karriere nicht hinderlich sein wollte. Am 8. Mai 1800 übergab Susette dem Geliebten am Adlerflychthof ihren von Tränen benetzten Abschiedsbrief. Hölderlin musste geloben, nie mehr zurückzukehren. Kurz nach diesem letzten Treffen verließ er Homburg.

Susette, so sehr sie unter der Trennung litt, durfte sich nichts davon anmerken lassen. Sie erkrankte an Schwindsucht, schlug aber ärztliche Hilfe aus. Im Juni 1802 infizierte sie sich bei der Pflege ihrer an Röteln leidenden Kinder mit dieser an sich harmlosen Krankheit, was sie angesichts ihres schlechten Allgemeinzustandes nicht überlebte. Im Juli 1802 erfuhr Hölderlin durch einen Brief seines Homburger Freundes Sinclair von Susettes Tod. Diese Nachricht gilt in der Forschung als Auslöser für das Abgleiten des Dichters in die Verwirrung. Nach fast 20-jähriger geistiger Umnachtung starb Hölderlin am 7. Juni 1843 in Tübingen. In seinen Papieren fand man Susettes Briefe, die er sorgfältig aufbewahrt hatte. Als Dokumente einer unfassbaren Liebe wurden sie 1921 publiziert.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 21 vom 04.06.2002

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