Neue Stadt in einer neuen Zeit

Grundsteinlegung zum modernen Wiederaufbau der Altstadt vor 50 Jahren

Im März 1944 fiel die Frankfurter Altstadt, die ehemals größte gotische Altstadt Deutschlands, durch Angriffe der Alliierten in Trümmer. Am 15. Mai 1952 begann der Wiederaufbau. Aber der Magistrat, allen voran Oberbürgermeister Dr. Walter Kolb, hatte sich nicht für die Rekonstruktion, sondern für die Konzeption eines neuen Stadtviertels in der Innenstadt entschieden.

Frankfurt am Main (pia) „Wir haben gebaut, gebaut und noch einmal gebaut“, zog Oberbürgermeister Dr. Walter Kolb 1956 die Bilanz aus der Kommunalpolitik des ersten Nachkriegsjahrzehnts. Darin habe er sich „nicht beirren lassen“, weder durch wohlmeinende noch durch bösartige Kritik, wie sie insbesondere beim modern ausgeführten Aufbau der kriegszerstörten Frankfurter Altstadt immer wieder laut geworden war. Unermüdlich verteidigte Kolb die „Frankfurter Lösung“ für den Wiederaufbau der Innenstadt: „Der vergangene Krieg hat gerade im Altstadtgebiet riesige Lücken gerissen, welche aber dem Städtebauer die einmalige Chance einer großzügigen Neukonzeption gegeben haben“, so schrieb er. „Es wäre durchaus verfehlt gewesen, diese einmalige Chance wegen einiger nur zufällig verschont gebliebener Bauwerke aus alter Zeit (...) zu verpassen.“

Tatsächlich wurde Frankfurt dank seiner Wiederaufbaupolitik die Stadt der fünfziger Jahre und damit - wie die „Frankfurter Neue Presse“ bereits 1954 feststellte das „neuzeitliche Mekka“ für Architekten, Stadtplaner und Sozialpolitiker. Den Grundstein dazu legte OB Walter Kolb am 15. Mai 1952. An jenem Donnerstagnachmittag versammelten sich unter dem Geläut der Domglocken mehr als 6.000 Frankfurter bei den fahnengeschmückten Baugruben an der Töngesgasse, um mitzuerleben, wie ihr Stadtoberhaupt die ersten drei Hammerschläge auf den Grundstein zum Wiederaufbau der Altstadt vornahm: „Der Stadt Frankfurt zum Besten und ihren Bürgern zur Ehre“, wie es in der Grundsteinurkunde heißt. Innerhalb von fünf Jahren, so versprach Kolb seinen Bürgern, sollte die neue Altstadt fertig sein.

Bisher hatten sich die Kommunalpolitiker trotz drückender Wohnungsnot eher Zeit gelassen mit ihrer Entscheidung über die Zukunft der bei alliierten Luftangriffen im März 1944 zerstörten Alt- und Innenstadt. Um vorschnelles Handeln zu vermeiden, wurde zunächst eine Bausperre über das gesamte Kerngebiet der Stadt verhängt. Jahrelang erstreckte sich dort, wo einst die größte gotische Altstadt Deutschlands zu bewundern gewesen war, eine riesige Trümmerwüste.

Als der Magistrat 1946/47 den Aufbau der Paulskirche und des Goethehauses genehmigte, entzündete sich daran der Streit, ob man Frankfurt wieder oder neu aufbauen sollte. Während Altfrankfurter und Lokalhistoriker sich eine originalgetreue Rekonstruktion ihrer untergegangenen Heimatstadt wünschten, sahen Architekten und Kulturkritiker in einem solchen Wiederaufbau eine „Lüge“, die die Tatsache der Kriegszerstörung infolge der Politik des nationalsozialistischen Terrorregimes zu vertuschen versuche. Der Publizist Walter Dirks deutete das neue Goethehaus gar als „eines der ersten Symbole der Restauration“. Auch der Magistrat, trotz seines Einverständnisses mit der Rekonstruktion dieses Hauses, wollte damit kein Exempel statuieren. So betonte Oberbürgermeister Kolb anlässlich der Grundsteinlegung zum Wiederaufbau des Goethehauses am 5. Juli 1947: „Niemand denkt daran, das alte Frankfurt wieder aufzubauen. Eine neue Zeit wird für eine neue Stadt neue Formen zu suchen und zu finden haben!“

Doch die Planungen für den Stadtkern schritten kaum voran. Der OB selbst äußerte seinen Unmut darüber in seiner Haushaltsrede am 30. Januar 1948. Er reagierte damit auf die wachsende Kritik an der Bausperre vonseiten der betroffenen „Altstädter“, die ihren Fürsprecher in dem Lokalhistoriker Dr. Fried Lübbecke gefunden hatten. Lübbecke, der sich als Vorsitzender des „Bundes tätiger Altstadtfreunde“ seit den 20-er Jahren für den Erhalt der - nun doch verlorenen - Altstadt engagiert hatte, fühlte sich selbst und die Alteigentümer bei den Planungen übergangen. Im Oktober 1948 erhielt er zwar die Chance, die Vorschläge seines „Altstadtbundes“ zum Wiederaufbau der Innenstadt auszuarbeiten. Doch der am 1. März 1949 vorgelegte Plan, der die weitgehende Schonung erhaltener Bausubstanz und den Fortbestand des alten Straßennetzes vorsah, wurde von Vertretern der Stadt als „Illusion“ abgeschmettert. Man bevorzugte die Entwürfe des Stadtplanungsamtes und einer Arbeitsgemeinschaft freier Architekten, die auf der Grundlage des „Generalfluchtlinienplans der Innenstadt“ von 1948 erstellt worden waren. Lübbecke mobilisierte daraufhin Hausbesitzer, Makler und Altstadtfreunde zum Zusammenschluss in einem „Heimatbund für den Wiederaufbau unserer Stadt“, als dessen Vorsitzender er heftig weiter agitierte.

Die Stadtplanung ließ sich nun jedoch nicht mehr aufhalten. Im März 1950 schrieb das Hochbauamt einen „Ideenwettbewerb (...) für den Aufbau des Altstadtkernes zwischen Römer und Dom“ aus. Gemäß den Wettbewerbsrichtlinien sollte die neue Altstadt das „Herz“ der Innenstadt werden, ein modernes, durch Grünflächen aufgelockertes Viertel mit „Wohnbauten, Läden des kulturellen Sektors (...), gepflegten Gaststätten (...) und auch Werkstätten des hochstehenden Kunsthandwerks“, das sich durch „ein ruhigeres Gepräge“ von der eigentlichen City unterscheiden sollte. Der Autoverkehr würde das Gebiet nur auf den neuen breiten Achsenstraßen in Nord-Süd- und West-Ost-Richtung (heute Kurt-Schumacher- und Berliner Straße) durchfließen.

Ab März 1952 wurde der 1. Bauabschnitt zwischen Töngesgasse, Fahrgasse, Schnurgasse und Trierischer Gasse enttrümmert. Mit der Grundsteinlegung am 15. Mai 1952 begannen dann dort die eigentlichen Bauarbeiten. Bald waren sie im gesamten Aufbaugebiet rund um Dom und Römer, zwischen Main und Zeil in vollem Gange. Am 3. Dezember 1952 war Richtfest in der neuen Altstadt, und schon im Frühjahr 1953 wurden die ersten Wohnungen und Läden bezogen.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 16 vom 07.05.2002

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