Flugzeugabsturz in Frankfurt vor 50 Jahren (22.3.1952)

An jenem regnerischen Samstagmorgen im März ist der Frankfurter Fuhruntemehmer Willibald Hofmann wie so oft mit seinem Lieferwagen auf der Landstraße im Umland unterwegs. Gegen zehn vor elf, ganz in der Nähe der Gehspitz im Stadtwald, etwa zwischen Flughafen Rhein-Main und Neu-Isenburg, wird der 39-Jährige plötzlich durch ein fürchterliches Splittern und Krachen aufgeschreckt. Sofort hält er sein Auto an, um der Sache auf den Grund zu gehen. Im Wald, nur unweit der Straße, bietet sich ihm ein grauenhaftes Bild: Ein Verkehrsflugzeug ist abgestürzt. Aus dem Innern des zerborstenen Wracks hört Hofmann Wimmern und Schmerzensschreie. Ohne lang zu überlegen, dringt er gewaltsam in die Flugzeugkabine ein, schneidet mit seinem Taschenmesser vier schwerverletzte Passagiere aus ihren Sicherheitsgurten und schafft sie ins Freie, wobei ihn bald zwei weitere Autofahrer und ein Arbeiter der nahe gelegenen Firma Holzmann unterstützen. Kurz darauf können auch die couragierten Männer nicht mehr helfen: Das Flugzeug explodiert und steht sogleich in hellen Flammen.

Vor 50 Jahren, am 22. März 1952, ereignete sich das Unglück im Frankfurter Stadtwald. Es war die bis dahin „größte Flugzeugkatastrophe in Deutschland“, wie alle Zeitungen am Montag danach titelten, und galt damals als eines der schlimmsten Unglücke in der Geschichte der zivilen Luftfahrt überhaupt. Insgesamt kamen 45 Menschen, 36 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder, ums Leben. Nur zwei der sechs geborgenen Schwerverletzten überlebten letztlich: die holländische Stewardess Anne Gautier und die 23-jährige Frankfurterin Ruth Horn, die beide ihre Rettung Hofmann und seinen Helfern verdankten. Ruth Horn kam mit dem Unglücksflugzeug aus Rom, wo sie nur drei Tage zuvor geheiratet hatte. Ihr Mann gehörte zu den Opfern des Absturzes.

Das Flugzeug der Königlich-Niederländischen Luftverkehrsgesellschaft (KLM), eine viermotorige Maschine vom Typ DC 6 mit Namen „Königin Juliana“, war an jenem Morgen auf einem planmäßigen Flug von Johannesburg über Rom nach Frankfurt, von wo aus es nach einem kurzen Zwischenstopp noch nach Amsterdam weiterfliegen sollte. Im Anflug auf den Flughafen Rhein-Main gab es gegen 10.45 Uhr seine letzte Positionsmeldung über Staden, etwa 20 Kilometer nordöstlich von Offenbach. Danach riss die Funkverbindung mit dem Airport ab. Bei der witterungsbedingt schlechten Sicht verfehlte die Maschine über dem Stadtwald zwischen Neu-Isenburg und dem Flughafen die übliche Einflugschneise, streifte beim Absetzen zum Landen mit dem bereits ausgefahrenen Fahrgestell die Baumkronen und verlor dabei eine Tragfläche und zwei Motoren. Gegen 10.50 Uhr stürzte das Flugzeug vollends ab und explodierte kurz nach dem Aufprall. Als die ersten Hilfstruppen von Polizei und Feuerwehr eintrafen, stand das Wrack bereits voll in Flammen. Erst gegen 13 Uhr hatten die aus Offenbach, Frankfurt, Neu-Isenburg und Darmstadt sowie vom Flughafen herbeigeeilten Rettungskräfte den Brand gelöscht.

Die Unglücksstelle, nur acht Kilometer vom Frankfurter Stadtzentrum entfernt, war schwer verwüstet. Im Umkreis von etwa 500 Metern lagen Teile von Ladung und Trümmer des Flugzeugs verstreut. Zwischen den verkohlten Wrackteilen fanden sich immer wieder Reste der persönlichen Habe der Opfer. So hatte sich etwa an einem Ast in einer Baumkrone ein angebrannter Hut verfangen, und auf dem Waldboden entdeckte ein Reporter die aufgeschlagene Reiselektüre eines Passagiers: den Roman „Point of no Return“ („Es gibt kein Zurück“) des amerikanischen Autors John P. Marquand.

Am Tag nach dem Unglück, einem Sonntag, setzte der Katastrophentourismus ein, wofür sich einige fliegende Händler schon gerüstet zeigten: Sie hatten in den anliegenden Waldschneisen Tische aufgestellt und boten dort Esswaren und Getränke an. Seit den frühen Morgenstunden pilgerten die Schaulustigen zu Tausenden zur Unglücksstätte in den Frankfurter Stadtwald. Obwohl die über 300 Meter lange und 30 Meter breite Schneise, die das Flugzeug bei seinem Sturz in den Wald geschlagen hatte, ebenso wie die Absturzstelle selbst weiträumig abgesperrt waren, hatte die Polizei alle Mühe, die Neugierigen zurückzuhalten. Souvenirjäger steckten viele der im Wald zerstreuten Metallteile ein. Und auch nach den neun Kilogramm Gold aus der Flugzeugladung, die noch unter den Trümmern begraben sein sollten, „wurde eifrig geforscht“, wie ein Lokalreporter zu berichten wusste. Tatsächlich hatte die „Königin Juliana“ 500 Kilogramm Barrengold aus Südafrika an Bord. Das Edelmetall war bereits zum großen Teil aus dem Wrack geborgen worden; die fehlenden neun Kilogramm wurden erst später unter den Flugzeugtrümmern entdeckt.

Derweil untersuchte eine holländische Sachverständigenkommission gewissenhaft die Absturzstelle, ohne die Ursache für das Unglück feststellen zu können. Auch ein daraufhin eingesetzter Untersuchungsausschuss der alliierten Behörde für die zivile Luftfahrt konnte in seinen zweimonatigen Recherchen die Absturzursache nicht klären. Inzwischen war in der breiten Öffentlichkeit über die Katastrophe heiß gestritten und dahinter sogar ein Anschlag auf die bei dem Absturz ums Leben gekommenen Berater der jüdischen Reparationskommission in Den Haag vermutet worden. Auf solche Spekulationen ging der Bericht der Untersuchungskommission allerdings mit keinem Wort ein.

Sabine Hock

Frankfurter Rundschau vom 22.03.2002, S. 27

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