Zum hundertsten Geburtstag von Leo Löwenthal

Ausstellung in der Stadt- und Universitätsbibliothek

Der Philosoph und Literatursoziologe Leo Löwenthal wurde am 3. November des Jahres 1900 in Frankfurt geboren. Seit 1930 war er fest mit dem Frankfurter Institut für Sozialforschung verbunden. Löwenthal emigrierte in die USA, wo er bis zu seinem Tod 1993 lebte. Die Stadt- und Universitätsbibliothek ehrt Leo Löwenthal mit einer Ausstellung.

Frankfurt am Main (pia) Am Tag der Maueröffnung 1989 verlor Leo Löwenthal mitten auf der Straße die Fassung - aber ganz und gar nicht vor Freude. Der 89-jährige Philosoph der „Frankfurter Schule“ war zu Besuch in seiner Geburtsstadt Frankfurt, die ihm am 1. Oktober 1989 in der Paulskirche den Adorno-Preis verliehen hatte. An jenem 9. November, auf dem Weg zu seinem Hotel in der Bockenheimer Landstraße, geriet Löwenthal in einen heftigen Streit mit seinem Freund und Kollegen Helmut Dubiel, der die Ereignisse in Berlin, Prag und Budapest „nicht ohne Euphorie“ sah. Löwenthal dagegen empörte sich: „Die alten Gespenster werden wiederkommen“, sagte er. „In Osteuropa wird der Geist der nationalistischen und ethnozentrischen Zwischenkriegszeit wiederauferstehen. Hier werden sie die Ausländer drangsalieren, die jüdischen Gräber schänden...“

An den bis ins hohe Alter wachsamen und zornigen Mitbegründer der „Kritischen Theorie“ erinnert die Stadt- und Universitätsbibliothek (StUB) mit einer Ausstellung zu seinem bevorstehenden 100. Geburtstag. Die Schau präsentiert einige wichtige Dokumente zu Leben und Werk des Philosophen erstmals der Öffentlichkeit. Zur Ausstellung erscheint außerdem ein von Peter-Erwin Jansen herausgegebener Begleitband mit dem Titel „Das Utopische soll Funken schlagen ....“ in der Reihe der „Frankfurter Bibliotheksschriften“ (Vittorio Klostermann Verlag, 38 Mark).

Leo Löwenthal wurde am 3. November 1900 als Sohn eines Arztes im Frankfurter Stadtteil Bockenheim geboren. Nach dem Notabitur am Goethe-Gymnasium 1918 wurde er zum Kriegsdienst nach Hanau eingezogen. Das Erlebnis des Ersten Weltkriegs und der Revolution ließ ihn mit dem betont antireligiösen Leben in seinem assimiliert jüdischen, vom Geist des deutschen Bildungsbürgertums geprägten Elternhaus brechen. So gründete er an der Frankfurter Universität, wo er noch 1918 sein Studium aufnahm, sofort eine sozialistische Studentengruppe. Auf der Suche nach einer anderen Lebensform schloss er sich aber auch dem Kreis um den charismatischen Frankfurter Rabbiner Nehemias Anton Nobel (1871- 1922) an, der ihn für die jüdischen Traditionen zu begeistern verstand. Dieses bisher weitgehend unbeachtete Kapitel in Löwenthals Lebensgeschichte wird in der Ausstellung der StUB und dem dazu erscheinenden Begleitband erstmals näher beleuchtet.

Bereits in der letzten Zeit seines Studiums kam Löwenthal als Stipendiat an das 1924 gegründete und später weltberühmte „Institut für Sozialforschung“. Neben Max Horkheimer, Erich Fromm und Friedrich Pollock sowie später Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno wurde er dann zu einem der führenden Mitarbeiter. Vor allem wirkte er als Redakteur der seit 1932 erscheinenden „Zeitschrift für Sozialforschung“, wodurch er das Bild der am Institut begründeten „Kritischen Theorie“ in der Offentlichkeit wesentlich prägte. Er selbst lieferte für das Blatt zahlreiche programmatische Aufsätze, die der kritischen Literatursoziologie den Weg ebneten.

Schon früh sah das „Institut für Sozialforschung“ in einer Studie voraus, dass es gegen die Machtübernahme Hitlers keinen entscheidenden Widerstand geben werde. Das Institut veröffentlichte diese Prognose seinerzeit zwar nicht, zog aber die Konsequenzen daraus. Löwenthal, der Organisationstalent bewiesen hatte, erhielt bereits um 1930 die Aufgabe, für den Fall der Fälle die Emigration des Instituts vorzubereiten. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 sorgte Löwenthal in Frankfurt für eine reibungslose Übersiedlung des Instituts über Genf (1933/34) nach New York und verließ dann als letzter der Mitarbeiter die Stadt. Während das Institut als „Institute for Social Research“ an der Columbia Universität eine neue Heimat fand, wurde in Frankfurt das Institutsgebäude von der SA besetzt und die dort zurückgelassene Bibliothek konfisziert.

Anders als Horkheimer und Adorno, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem „Institut für Sozialforschung“ nach Frankfurt zurückkehrten, entschied sich Löwenthal, in den USA zu bleiben. Er, der sich immer als „Philosoph mit empirischen Interessen“ verstanden hatte, wandte sich verstärkt der Massenkommunikationsforschung zu und folgte 1955 einem Ruf als Professor für Soziologie an die Universität von Berkeley in Kalifornien. Am 21. Januar 1993 starb Leo Löwenthal in Berkeley.

Seine Witwe Susanne Löwenthal übergab 1994 den wissenschaftlichen Nachlass ihres Mannes an die StUB in Frankfurt. Aus dem riesigen Fundus des etwa 120.000 Dokumente umfassenden Bestands schöpft auch die jetzige Gedenkausstellung für Leo Löwenthal. Außerdem werden in der Schau einige Stücke gezeigt, die aus Löwenthals 8.000 Bände umfassender Bibliothek stammen. Diese ist erst vor kurzem dank eines Sponsorings der Lufthansa Cargo AG aus Berkeley nach Frankfurt gekommen. Der Wissenschaftsjournalist Peter-Erwin Jansen, der den Transport begleitete, konnte gleich noch einen Packen von 1.500 Briefen für das Leo-Löwenthal-Archiv der StUB mitbringen, darunter Löwenthals Korrespondenz mit Herbert Marcuse. Von Marcuse stammt auch eines der in der Ausstellung gezeigten Widmungsexemplare aus Löwenthals Bibliothek. Marcuse hat das Buch dem zwei Jahre jüngeren Freund scherzhaft gewidmet: „Von Herbert dem Greisen für Leo den Weisen“.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 43 vom 24.10.2000

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