50. Jahrestag der Wiedereinweihung der Westend-Synagoge

Am 6. September 1950 fand der Festakt in der Frankfurter Synagoge statt

Es bedeutete Neubeginn und Kontinuität, als vor 50 Jahren, am 6. September 1950, die seit 1948 wieder aufgebaute Westend-Synagoge neu eingeweiht wurde. SA und HJ hatten die Synagoge in der Pogromnacht 1938 in Brand gesteckt. Bei einem Luftangriff 1944 war die beschädigte Synagoge dann im Inneren vollständig ausgebrannt.

Frankfurt am Main (pia) Rabbiner Dr. Georg Salzberger schlug in seiner Festpredigt zur Wiedereinweihung der Westend-Synagoge versöhnliche Töne an: „Wir wollen nicht vergessen, aber vergeben!“, sagte er vor den 1.600 Gästen des offiziellen Festakts am 6. September 1950. Der eigens aus dem Londoner Exil angereiste Redner stand auch mit seiner Person für das Anknüpfen an die ab 1933 brutal unterbrochene Tradition der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt: Als Rabbiner der früheren Israelitischen Gemeinde hatte Salzberger vierzig Jahre zuvor die damals neu erbaute Synagoge mit eingeweiht.

Der Wiederaufbau der Synagoge im Frankfurter Westend war in der Entwicklung der Jüdischen Gemeinde in den frühen Nachkriegsjahren ein Zeichen dafür, dass nicht alle Juden, die den Holocaust überlebt hatten, nur zu einem Zwischenaufenthalt auf dem Weg in die Emigration in die Stadt am Main kamen. Viele der damals 1.000 Gemeindemitglieder suchten hier, trotz allen in Deutschland erfahrenen Leids, vielleicht ihre alte, jedenfalls aber ihre neue Heimat.

Von 1908 bis 1910 wurde die Synagoge im Westend in der damaligen Königsteiner Straße, der heutigen Freiherr-vom-Stein-Straße, als jüngste der vier Gemeindesynagogen errichtet. Der Stuttgarter Architekt Franz Roeckle hatte das gewaltige Bauwerk aus hellem Muschelkalk im ägyptisch-assyrischen Stil entworfen. Aber nicht nur der orientalisch anmutende Baustil, auch der in der Synagoge gepflegte Ritus war modern. Das Gotteshaus sollte dem liberalen Zweig der Israelitischen Gemeinde dienen. Rabbiner Dr. Caesar Seligmann entwickelte daher eigens eine reformierte Ordnung und ein neues Gesangbuch für den Gottesdienst in der Westend-Synagoge. Wegen zunehmender Unkenntnis des Hebräischen in assimiliert jüdischen Kreisen sollte der Gottesdienst hier künftig größtenteils in deutscher Sprache abgehalten werden.

„Treudeutsch und jüdisch allzeit!“ war die Parole, die der Gemeindevorsitzende, Justizrat Dr. Julius Blau, in seiner Ansprache zur Eröffnung der Westend-Synagoge am 28. September 1910 ausgab. Danach zündete Rabbiner Caesar Seligmann die ewige Lampe an, Rabbiner Arnold Lazarus sprach das Weihegebet, und die Thorarollen wurden feierlich eingeholt. Am Ende des Festakts, nach Seligmanns Predigt und Salzbergers Gebet für Kaiser und Vaterland, kam es noch zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall. Während des Schlussgesangs des Synagogenchors erlosch infolge eines Kurzschlusses plötzlich das elektrische Licht. Manche der Gäste sahen darin ein böses Omen.

In der Pogromnacht zum 10. November 1938 drangen nationalsozialistische Schlägertrupps gewaltsam in die Westend-Synagoge ein. Wie sich Rabbiner Salzberger später erinnerte, hatten zuvor SS-Leute den langjährigen Kastellan Valentin Bachmann, einen frommen Katholiken, halbtot geschlagen, weil er die Schlüssel zu dem Gotteshaus nicht herausgeben wollte. Gegen 5 Uhr morgens steckten SA und HJ die Westend-Synagoge mit Benzin in Brand. Das Gotteshaus, anders als alle anderen Synagogen in der Stadt, wurde dadurch jedoch nicht total zerstört. Angeblich soll NS-Oberbürgermeister Friedrich Krebs vor Ort der - eigentlich nur zum Schutz der umliegenden Wohnhäuser aufgefahrenen - Feuerwehr den Befehl zum Löschen gegeben haben. Vielleicht war der OB nicht über die antisemitische Aktion seiner Partei informiert, vielleicht hatte er aber auch mit dem Synagogengebäude bereits etwas anderes vor.

Jedenfalls fiel die Westend-Synagoge mit dem Zwangsverkauf aller Liegenschaften der Jüdischen Gemeinde zum 1. April 1939 an die Stadt. Sie diente zunächst als Kulissendepot für das nicht weit entfernte Opernhaus, dann als Lagerhalle für „Möbel fliegergeschädigter Volksgenossen“. Bei einem Luftangriff am 20. März 1944 brannte das ohnehin schon schwer beschädigte Innere des ehemaligen Gotteshauses vollends aus. Äußerlich wirkte das Gebäude jedoch völlig unversehrt. So schrieb Walter H. Rothschild, ein aus Frankfurt emigrierter Jude, der als Angehöriger der amerikanischen Besatzungstruppen zurück in seine Heimatstadt gekommen war, am 3. April 1945: „Die Synagoge ist unversehrt, absolut unbeschädigt, die Kuppel und alles, auch das Schulgebäude, die Eisentore geschlossen, als ob sie bereit sei, sich jederzeit zum Gottesdienst zu öffnen. Die Häuser gegenüber alle zerstört, leer, ausgebrannt, aber unsere Synagoge unberührt. Wo sonst könnte sich Gottes unglaubliche Gerechtigkeit besser offenbart haben als hier?“

Tatsächlich konnte die von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmte Westend-Synagoge bald notdürftig wieder hergerichtet und bereits am 12. September 1945 provisorisch eröffnet werden. Im Rahmen des Wiedergutmachungsprogramms wurde die Synagoge ab Juni 1948 wieder aufgebaut. Die Architekten Max Kemper und Werner Hebebrand sowie der Maler und Graphiker Hans Leistikow gestalteten die Innenräume völlig um, so dass sie der „Neuen Presse“ damals „verjüngt und im Geiste unserer Zeit (...) wundersam erneut“ erschienen. Inzwischen sind Betonpfeiler, Neonröhren sowie fast alle anderen Relikte jener 1950 abgeschlossenen Renovierung verschwunden. Im Zuge einer umfassenden Restaurierung wurde zwischen 1988 und 1994 im Synagogeninneren weitgehend der ursprüngliche Zustand rekonstruiert. Wer heute das Gotteshaus betritt, steht also wieder - wie die „Illustrierte Zeitung“ 1911 schrieb - „nach einigen Schritten unter dem unwiderstehlichen Bann eines überwältigend schönen Raumes“.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 33 vom 15.08.2000

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