Erich Kästner wird hundert

Das Frankfurter Institut für Jugendbuchforschung veranstaltet eine Ringvorlesung und ein Symposion zu Ehren Kästners

Das 1963 gegründete Institut für Jugendbuchforschung hat Tradition in der Auseinandersetzung mit Leben und Werk Erich Kästners. Anlässlich Kästners 100. Geburtstag am 23. Februar 1999 lädt das Institut Literaturwissenschaftler aus dem In- und Ausland zu öffentlichen Fachvorträgen ein.

Frankfurt am Main (pia) - Es war das Jahr 1969, und der Hörsaal VI der Frankfurter Universität war voll. Hunderte von Germanistik- und Pädagogikstudenten lauschten gespannt. Aber kein Studentenführer hielt hier eine Rede, es war Erich Kästner, der mit seinem Vortrag die Studenten begeisterte.

Die deutsche Germanistik der sechziger Jahre hatte Erich Kästner links liegen gelassen. Dass er unter anderem auch Autor von Kinderbüchern war, konnte seinen schriftstellerischen Rang bei den Germanisten damals nur schmälern. Und nicht zuletzt war Kästner ihnen auch wegen seines politischen Engagements, das er zu dieser Zeit gegen Atomrüstung, Vietnamkrieg und Verjährung von NS-Verbrechen richtete, eher suspekt.

Doch ein kleines Universitätsinstitut in Frankfurt, das 1963 gerade gegründete Institut für Jugendbuchforschung, wagte sich damals erstmals in Deutschland literaturwissenschaftlich an Kästner heran und analysierte vor allem Kästners beliebte Kinderbücher wie „Emil und die Detektive“ (1929), „Pünktchen und Anton“ (1931) und „Das doppelte Lottchen“ (1949).

Prof. Dr. Klaus Doderer, der Gründer und damalige Leiter des Instituts, lud den Autor schließlich auch persönlich zum Vortrag nach Frankfurt ein. Doderers Vorschlag jedoch, das Institut für Jugendbuchforschung in „Erich-Kästner-Institut“ umzubenennen, stieß dann doch auf den Widerspruch vor allem der studentischen Mitarbeiter. Sie führten dagegen Walter Benjamins Kritik an Kästners zu bürgerlicher „linker Melancholie“ ins Feld.

Anlässlich von Erich Kästners bevorstehendem 100. Geburtstag am 23. Februar 1999 hat sich das Institut für Jugendbuchforschung auf seine Tradition der Auseinandersetzung mit diesem Schriftsteller besonnen und veranstaltet eine Ringvorlesung über „Erich Kästner und die (Kinder-)Literatur seiner Zeit“. Bereits seit dem 22. Oktober berichten allwöchentlich international anerkannte Literaturwissenschaftler aus ganz Deutschland, Österreich und den USA, die sich mit Kästners Leben und Werk befasst haben, in der Frankfurter Universität über ihre neuesten Arbeitsergebnisse. Die Vorträge, die donnerstags von 16 bis 18 Uhr in Hörsaal H II des Hörsaalgebäudes stattfinden, sind für alle Interessierten offen.

Im Anschluss an die Ringvorlesung wird vom 14. bis 17. Februar 1999 im Literaturhaus in Frankfurt noch ein Internationales Symposion über den Autor tagen. Das Institut für Jugendbuchforschung hat dazu 40 Experten aus aller Welt eingeladen.

Einen ersten Höhepunkt in der Vorlesungsreihe stellte der Vortrag von Dr. Franz Josef Görtz und Hans Sarkowicz dar, zwei Frankfurter Journalisten, die im Oktober im Piper-Verlag eine neue Kästner-Biographie vorgelegt haben und auch für die dieser Tage im Hanser-Verlag herausgekommene Neuausgabe von Kästners Werken verantwortlich sind. Das Besondere daran ist, dass die beiden Autoren dafür erstmals den Nachlass des Schriftstellers auswerten durften. Deshalb konnten sie auch mit einigen Legenden aufräumen, die über den Schriftsteller und sein Wirken kursierten. So ist zwar schon seit einigen Jahren bekannt, dass nicht Mutter Ida Kästners Ehemann Emil, sondern der Hausarzt der Familie Erich Kästners leiblicher Vater war. Die Persönlichkeit des Arztes Dr. Emil Zimmermann haben jedoch nun erst Görtz und Sarkowicz biographisch erschlossen.

Auch um Kästners populärstes Buch, den vor fast genau 70 Jahren (1929) erschienenen Kinderroman „Emil und die Detektive“, der neben Grimms Märchen bis heute das im Ausland meistgelesene deutsche Kinderbuch ist, ranken sich einige Mythen. So hat Kästner selbst immer wieder erzählt, dass er keinerlei Erfahrung im Schreiben für Kinder gehabt habe, als er sich an die Arbeit zu seinem „Emil“ machte. Dass das nicht stimmt, bewies die Essener Literaturwissenschaftlerin Dr. Helga Karrenbrock in ihrem Frankfurter Vortrag. Kästner hat nämlich bereits seit 1926 regelmäßig für die Kinderzeitschrift des in Leipzig erscheinenden Magazins „Beyers für Alle“ geschrieben. Dafür hat er eigens die beiden Kinder Klaus und Kläre erfunden, die angeblich das Heft für die kleinen Leser gestalteten.

Weitere Höhepunkte der Frankfurter Ringvorlesung, die auch noch Kästners Kinderliteratur auf der Bühne, in Film und Hörfunk berücksichtigen wird, dürften die Vorträge von Dr. Inge Wild, Karlsruhe, über „Kästners Familiengeschichte(n) aus psychoanalytischer Sicht“ (7.1.1999) und von Prof. Dr. Luke Springman, Bloomsburg (USA), über „Kästner im Radio“ (11.2.1999) werden. Mit der Vorlesung des amerikanischen Germanisten, der im letzten Sommer monatelang in deutschen Archiven recherchierte und in seinem Vortrag die daraus gewonnenen Erkenntnisse vorstellen wird, endet die Ringvorlesung über Erich Kästner.

Weniger der Wissenschaft als der Unterhaltung dient eine weitere Ovation zu Erich Kästners 100. Geburtstag in Frankfurt: Im Volkstheater hat am 6. Februar 1999 Kästners Komödie „Drei Männer im Schnee“ in der hessischen Bearbeitung von Wolfgang Kaus Premiere.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 48 vom 08.12.1998

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