Bücher-Rausch

1949 fand die 1. Frankfurter Buchmesse statt

205 ausstellende Verlage und nur eine Telefonleitung - angesichts der Dimensionen der am 7. Oktober beginnenden 50. Buchmesse mutete die 1. Frankfurter Buchmesse 1949 bescheiden an. Den Initiatoren der ersten Bücherschau empfahl sich Frankfurt damals auch durch seine lange Messe- und Buchhandelstradition.

Frankfurt am Main (pia) - „Nur ein Kamel liest keine Bücher!“ sollte auf dem Schild stehen, das ein echtes Kamel während der 1. Frankfurter Buchmesse vom 18. bis 23. September 1949 durch die Stadt tragen sollte. Die Werbeidee konnte jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden. Zoodirektor Bernhard Grzimek wollte keines seiner Tiere dafür hergeben. Die Buchmesse wurde den­noch ein voller Erfolg. Über 14.000 Besucher - Autoren, Verleger, Buchhändler und Leser - kamen an den sechs Messetagen und fühlten sich angesichts der 8.400 gezeigten Titel im „Bücher-Rausch“, wie eine Journalistin der „Süddeutschen Zeitung“ damals schrieb.

Inzwischen ist die Frankfurter Buchmesse die größte Bücherschau der Welt. In diesem Jahr, wenn sie zum fünfzigsten Mal veranstaltet wird, präsentieren vom 7. bis 12. Oktober 6.758 Aussteller aus allen Ländern der Erde ihre 86.446 Neuerscheinungen. Das hätte sich angesichts der bescheidenen Anfänge als Nachkriegsprovisorium im Jahr 1949 wohl niemand träumen lassen.

Eigentlich, bis 1945, war Leipzig das Zentrum der Buchkultur in Deutschland gewesen. Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nachdem Leipzig zur sowjetisch besetzten Zone gehörte, waren Frankfurt, aber auch Hamburg und Stuttgart bestrebt, zum Buchumschlagplatz für die westlichen Zonen zu werden. Die Stadt am Main empfahl sich dafür nicht nur wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage. Ihr Trumpf war vor allem ihre Tradition als Messe- und Handelsstadt. In Frankfurt hatte es bereits seit 1550 regelmäßige Buchmessen am Mainufer und in der Altstadt gegeben. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde Frankfurt als wichtigster Buchmessenort von Leipzig abgelöst.

Einer der wichtigsten Initiatoren der 1. Frankfurter Buchmesse nach dem Zweiten Weltkrieg war Alfred Grade, der Vorsitzende des Hessischen Verleger- und Buchhändlerverbands. Auf seine Anregung hin gründete der Verband bereits Ende 1948 eine kleine Kommission zur Vorbereitung einer Buchmesse. Am 1. Juli 1949 fiel der endgültige Beschluss, noch im Herbst des Jahres eine Buchmesse in Frankfurt am Main zu veranstalten.

Die Organisation musste mit Hochdruck betrieben werden, weshalb Grade zusätzlich den Buchhändler Heinrich Cobet, den Inhaber der „Frankfurter Bücherstube“, in den Messeausschuss holte. Alles schien bestens zu klappen - da stürzte Grade Anfang August in seinem Geschäft von der Leiter und fiel wegen einer schweren Wirbelsäulenverletzung aus. Cobet wusste Hilfe: Er bestellte Dr. Wilhelm Müller, den er als guten Organisator kannte, nach Frankfurt und schleppte ihn an Grades Krankenbett. Auf der Stelle wurde Müller als Leiter des Messebüros verpflichtet. Dieses „Messebüro“ war eine Ecke in Cobets Antiquariat in der Börsenstraße, wo eine dicke Spanplatte über zwei Kisten gelegt wurde. An dem so entstandenen Schreibtisch arbeitete künftig Müller, unterstützt von „Fräulein Diehl“, seiner Sekretärin. „Buchstäblich Tag und Nacht“, wie er sich einmal erinnerte, hätten sie geschuftet, denn noch hatte erst knapp die Hälfte der angestrebten 200 Aussteller zugesagt. Die Mühe lohnte sich: Schließlich beschickten 205 Verlage die Messe.

Als Veranstaltungsort fungierte damals nicht etwa eine Halle auf dem Messegelände, sondern die Paulskirche, eines der wenigen repräsentativen Gebäude, das inmitten der städtischen Trümmerlandschaft wieder aufgebaut war. Die Paulskirche, unweit des traditionellen Buchhändlerviertels um die Buchgasse in der Altstadt gelegen, bot in Wandelhalle und Untergeschoss honorarfrei aber nur sehr begrenzt Platz. Deshalb wurden die Messestände in vier Größen vom Veranstalter vorgegeben und - da es „keinen Wettbewerb der Dekorateure, sondern (...) ausschließlich des Buches“ geben sollte (so Müller) - einheitlich gestaltet. Begrenzt waren auch die Kommunikationsmittel - ein einziges Telefon gab es für die gesamte Buchmesse!

Die Paulskirche wurde zur „Bücher-Rotunde“, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“. Dort konnte man auch nachlesen, was die Bestseller des Jahres 1949 waren: etwa Jaspers' „Ursprung und Ziel“, Stefan Andres` „Sintflut“, Ernst Jüngers „Strahlungen“, Heideggers „Holzwege“, Churchills Memoiren, Thomas Manns „Dr. Faustus“, Wilders „Iden des März“ und Kästners „Die Konferenz der Tiere“. Am meisten gefragt, fasste Geschäftsführer Müller in seinem Abschlussbericht im „Börsenblatt" zusammen, seien „schöngeistige Literatur (insbesondere der Roman!) und Kinderbücher“ gewesen. Im Goethejahr 1949 wurde natürlich auch der größte deutsche Dichter neuaufgelegt: Insel brachte eine sechsbändige Ganzleinenausgabe zum Preis von 7,50 DM pro Band heraus.

Aus der 1. Frankfurter Buchmesse 1949 zogen Veranstalter, Aussteller und Besucher insgesamt eine positive Bilanz. Die Buchmesse sollte daher ab jetzt in jedem Herbst veranstaltet werden, was künftig der - seit 1948 ebenfalls in Frankfurt neugegründete - Börsenverein Deutscher Verleger- und Buchhändler Verbände (heute Börsenverein des Deutschen Buchhandels) organisierte. Bereits auf der 2. Frankfurter Buchmesse 1950 stellten auch Verlage aus dem europäischen Ausland und den USA aus, und 1951 zog die Buchmesse auf das Messegelände um. Im Jahr 1950 stiftete der Börsenverein außerdem seinen Friedenspreis, dessen Verleihung am Messesonntag, seit 1951 in der Paulskirche, immer einen Höhepunkt im Buchmessen-Geschehen bildet.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 39 vom 06.10.1998

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