Gartenkultur im Bankenturm

Im Hochhaus der Commerzbank wurden neun Turmgärten angelegt

In der Zentrale der Commerzbank verbringen die Mitarbeiter ihre Pausen „im Grünen“. In den 300 Meter hohen Bau sind Turmgärten integriert, die Teil des architektonischen Gesamtkonzepts sind. Die thematisch gestalteten Gärten sorgen unter anderem auf natürliche Weise auch für die Lüftung des Gebäudes.

Frankfurt am Main (pia) - Vor zweieinhalb Jahrtausenden gehörten die Hängenden Gärten der Königin Semiramis in Babylon zu den Sieben Weltwundern. Heute macht ihnen ein modernes Hochhaus in Frankfurt Konkurrenz: die 300 Meer hohe Commerzbankzentrale am Kaiserplatz, die bei ihrer Eröffnung vor einem Jahr als die „höchste Garten-Bank der Welt“ gefeiert wurde. Insgesamt neun viergeschossige Turmgärten sind in den dreieckigen Bau integriert, der erste im 7. Stock nach Osten, der zweite im 11. Stock nach Süden, der dritte im 15. Stock nach Westen, der vierte im 19. Stock wieder nach Osten und so weiter, so daß sich die Gärten im Innern des Hauses spiralförmig bis hinauf in den 39. Stock „stapeln“. In der 43. Etage, gegenüber dem westlichen Turmaufbau mit der Antenne, gibt es zudem eine Außenterrasse auf dem Dach. Die drei unteren Gärten wurden bereits im Herbst 1996, die restlichen im letzten Frühjahr (1997) bepflanzt. Seitdem wachsen die Bäume bei der Commerzbank in den Himmel.

Derzeit werden die Turmgärten noch von dem Landschaftsarchitekten Hans-Werner Kuhli betreut. Er hat die außergewöhnlichen Grünanlagen in enger Zusammenarbeit mit Baumeister Sir Norman Foster gestaltet und überwacht nun deren Entwicklung, bis die Pflanzung in ein bis zwei Jahren eingewachsen sein wird. Schon jetzt kann Kuhli eine erste Bilanz ziehen: „Unsere Konzeption ist aufgegangen“, sagt er. „Die Pflanzen entwickeln sich gesund. Die Bäume und größeren Sträucher sind alle angegangen.“ So mußte keiner der drei bis sieben Meter hohen Bäume ausgetauscht werden. Da hat sich das zweijährige Trainingsprogramm im Gewächshaus bewährt, das alle Pflanzen zur Gewöhnung an das Klima ihres künftigen Standorts absolviert haben, bevor sie in einer spektakulären Aktion mit Kran und Seilwinden in das Hochhaus „einziehen“ durften.

Die insgesamt 12.000 Pflanzen im Commerzbankturm sind nicht Ausdruck einer aufgesetzten Gummibaumkultur für Büros. Sie sind mehr als nur schmückendes Beiwerk. Der Architekt Sir Norman Foster hat die Gärten von Anfang an in sein Gesamtkonzept einbezogen. Sie gehören zu dem ausgeklügelten, natürlichen Lüftungssystem des Gebäudes und lassen das Tageslicht auch bis in die innenliegenden Büros vordringen. Von jedem Platz im Hochhaus sind die Gärten zu sehen, und durch die Glasfassade lassen sich interessante Durchblicke auf die Stadt erhaschen. Diese ungewöhnlichen Perspektiven machen den besonderen Reiz des Hauses aus. So erzählt ein Mitarbeiter der Commerzbank, daß er sich zwar nach über einem Jahr schon an seinen Arbeitsplatz gewöhnt habe und die Architektur oft nicht mehr bewußt wahrnehme. „Doch dann erwische ich mich dabei, wie mich das Gebäude wieder völlig gefangennimmt. Manchmal abends, wenn es etwas später geworden ist, gehe ich extra noch einmal in den obersten Garten im 39. Stock und sehe hinaus auf die beleuchtete Skyline von Frankfurt. Einfach toll.“

Überhaupt sind die Banker begeistert von den jeweils 34 Meter breiten und circa 360 Quadratmeter großen Turmgärten, die sie gern als Pausenzonen nutzen. Als es im letzten Herbst nicht nur draußen, sondern auch in den Gärten drinnen kühler wurde, mußte sich Gartenarchitekt Hans-Werner Kuhli jedoch Kritik gefallen lassen: „Da die Gärten in das Energie-, Belichtungs- und Belüftungskonzept des Hauses eingebunden sind, sind sie wie geschützte Außenräume, in denen durchaus die Jahreszeiten wechseln. Deshalb gibt es hier im Herbst auch eine Temperaturabsenkung, und bei Minusgraden im Winter ist es in den Gärten höchstens 5 bis 10 Grad warm. Da kann man sich dort eben nicht mehr im Hemd aufhalten. Das war vielen vorher nicht klar, und sie begannen zu nörgeln, weil sie auf ihren beliebten Pausenraum verzichten sollten. Da war einige Überzeugungsarbeit nötig.“ Inzwischen haben sich die Commerzbanker mit dem Konzept ausgesöhnt. Auch im Turm ist es ja längst Sommer geworden, es blühen die Glockenblumen und die Hortensien, und die Mitarbeiter können „ihre“ Gärten wieder voll nutzen. Gerade um die Mittagszeit herrscht Hochbetrieb in den grünen Pausenzonen, besonders in den beiden Bistrogärten im 19. und 35. Stock, wo - so hört man - der Kaffee doch besser schmecke als in den „Automatengärten“.

Gerade daß auch hier drinnen die Jahreszeiten wechseln, ermöglicht den echten Gartencharakter der Turmgärten. Sie sind eben keine vollverglasten Gewächshäuser mit tropischer Bepflanzung und entsprechendem Klima. Auch künstlich wirkende Zierblumenbeete sucht man hier vergebens. Jeder Garten ist vielmehr nach einem eigenen Thema gestaltet, wobei die Anordnung der drei übereinander liegenden Gärten in eine Himmelsrichtung eine Themengruppierung bestimmte: Die Ostgärten sind asiatisch, die Südgärten mediterran und die Westgärten nordamerikanisch bepflanzt. Auch eine gemeinsame Blütenfarbe verbindet die jeweiligen Gärten: im Osten blüht es weiß, im Süden blau und im Westen rot. Zudem wurde als typisches architektonisches Gestaltungselement in den asiatischen Gärten Schiefer, in den mediterranen Terracotta und in den amerikanischen Holz eingesetzt. Diese Konzeption soll Assoziationen wecken: Die asiatischen Ostgärten stehen für „Morgen“ und „Frühling“, die mediterranen Südgärten für „Mittag“ und „Sommer“ und die amerikanischen Westgärten für „Abend“ und „Herbst“.

Trotz dieser Gestaltung nach Themengruppen hat jeder der Turmgärten seinen ganz eigenen Charakter. Nach seinem Lieblingsgarten befragt, zögert Hans-Werner Kuhli etwas: „Ich finde es schön, daß die Gärten so unterschiedlich sind. Jeder hat etwas Eigenes, etwas Besonderes“, sagt er zunächst, diplomatisch wie ein Vater, der keines seiner Kinder bewußt bevorzugen will. Dann rückt Kuhli aber doch mit der Sprache heraus: „Mein Lieblingsgarten ist eigentlich der im 35. Stock, der zur mediterranen Gruppe gehört. Er ist sehr spannungsreich, mit Zypressen, einem sehr schönen Thymianteppich und Glockenblumen. Wenn hier die Sonne durch die Glasfassade fällt, gibt es wunderschöne Lichtspiele auf dem Thymianteppich. Da könnte man meinen, man ist in der Toscana.“

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 24 vom 24.06.1998

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