Liebe, Ernst und Treue für die Deutsche Sache

200 Frauen durften den Debatten in der Paulskirche zuhören

An ein Frauenwahlrecht für das erste freigewählte deutsche Parlament vor 150 Jahren war noch nicht zu denken. Doch wie die Frankfurter Kaufmannsgattin Clotilde Koch geb. Contard begannen sich damals viele Frauen für Politik zu interessieren - ein erster Schub für die Frauenbewegung.

Frankfurt am Main (pia) - „Ich habe es in den letzten Zeiten recht schmerzlich empfunden, nur eine Frau sein zu müssen, die das Zusehen hat und doch mit Gefühl und Tatkraft im Leben begabt ist“, gestand die Frankfurterin Clotilde Koch ihrer Freundin in einem Brief vom 20. Juni 1848, gut einen Monat nach dem Beginn der Frankfurter Nationalversammlung. Tatsächlich durften Frauen bei den Sitzungen des ersten deutschen Parlaments in der Paulskirche nur „zusehen“, und bei den vorangegangenen Tagungen des Vorparlaments war ihnen sogar das verboten gewesen. Clotilde Koch schmuggelte sich zur letzten Vorparlamentssitzung am 3. April 1848 trotzdem in die Paulskirche ein, verfolgte von der Kanzel aus heimlich und mit heißem Herzen das Geschehen.

Die Frankfurter Kaufmannsgattin Clotilde Koch geb. Gontard (1813-1869) war eine der vielen Frauen, die sich angesichts der Revolutionsereignisse von 1848 für die Politik zu interessieren anfingen. Damit begann die Frauenbewegung, bereits vor 150 Jahren also und nicht, wie früher angenommen, erst mit der Gründung des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ 1865. Den stärksten Ausdruck fand das erwachende politische Bewußtsein der Frauen 1848/49 in Frankfurt, am Tagungsort der Nationalversammlung. Darauf haben etwa der Historiker Stanley Zucker (1987) und die Frauenforscherin Ulla Wischermann (1995) in wissenschaftlichen Aufsätzen hingewiesen.

An ein Frauenwahlrecht für die Nationalversammlung, das erste freigewählte deutsche Parlament, war 1848 freilich noch nicht zu denken. Es war jedoch schon ein ungeheurer Fortschritt, daß man den Frauen rund 200 Plätze in den Zuschauerreihen auf der Galerie der Paulskirche einräumte. Während der öffentlichen Plenumssitzungen war die „Damengalerie“ stets voll besetzt. „Auf der Empore der Paulskirche sammelte sich die geistige und gesellschaftliche Elite der Frankfurter Frauenwelt“, konstatierte der Revolutionsspezialist Veit Valentin, „und gewiß stritt man sich dort nicht nur darum, ob Fürst Felix Lichnowsky oder Moritz Hartmann der anziehendste Mann des Parlaments sei.“ Das ernsthafte Interesse der Frauen an den Debatten betonte bereits Louise Zimmermann, die Frau des Stuttgarter Abgeordneten Wilhelm Zimmermann, die selbst regelmäßig in die Paulskirche kam: „Trotz der großen Hitze und der langweiligen Reden erdulde[te]n sie manchen Tag von Morgen bis Abend, ohne zu schwanken und ihren Platz zu verlassen. Und manche derselben hatten mehr Liebe, Ernst, klare Besonnenheit und Treue für die deutsche Sache als die Männer des Parlaments.“

Besonders begeisterten sich die Zuhörerinnen für die linken Redner. „Die deutschen Frauen“, bemerkte der Besucher einerParlamentssitzung, „schwärmen für die Republik und ihre Träger.“ Angesichts solcher Sympathien der Damen platzte offenbar nicht nur die übrige Nationalversammlung vor Ärger, wie Robert Blum, der Führer der Linken, einmal berichtete. Blum mußte auch seine daheimgebliebene Frau Eugenie brieflich besänftigen: „Wenn Du besorgst, die [Huldigungen] und besonders die der Frauen möchten mich schwindlig machen, so kannst Du deshalb ruhig sein. Zwar sind die Frauen allerdings fanatisch hier im Süden und ihre Teilnahmsbezeugungen steigen bis zum Unglaublichen. Bei einer lebendigen Verhandlung, einem entschiedenen Auftreten nimmt das Klatschen, das Wehen mit den Tüchern, das Zuwerfen von Blumen und Kußhändchen oder die Übersendung von Buketts oft gar kein Ende. (...) Als ich jüngst über die Zentralgewalt sprach und am Schlusse sehr ernst und feierlich wurde, schwamm das Frauenauditorium in Tränen, und schluchzend streckte man mir hundert Hände entgegen, als ich herabkam.“

Clotilde Koch dagegen hatte für die Linken überhaupt nichts übrig. Ihre respektvolle Bewunderung galt vielmehr Heinrich von Gagern, dem ersten Präsidenten der Nationalversammlung, und seinen Anhängern der erbkaiserlichen Fraktion. Für deren Ziele wollte sie nur zu gern auch selbst tätig werden: „Es macht mir recht viel Mühe, die Küche als den Hauptschauplatz meiner Tatkraft anzusehen“, bekannte sie. Schließlich etablierte sie einen politischen Salon in ihrem Hause, der zu einem wichtigen Zentrum des Gagernkreises wurde. Clotilde Koch verdiente sich damit den Ehrentitel der „Parlamentsmutter“, den ihr der Politiker Ludwig Biegeleben 1849 ins Stammbuch schrieb.

Während auf der Galerie der Paulskirche hauptsächlich Bürgersfrauen wie Clotilde Koch und Abgeordnetengattinnen wie Louise Zimmermann saßen, wurden während des Frankfurter Septemberaufstands (18.9.1848) auch Frauen aus dem einfachen Volk aktiv. Von den 3974 Menschen, die nach dem Aufstand verhört wurden, waren etwa 15 Prozent Frauen. Eine davon, Margarethe Adams, wurde beschuldigt, daß sie Steine als Waffen getragen und Gegenstände für den Bau von Barrikaden gesammelt habe. Sie bestritt das, gab aber zu Protokoll: „Heute darf man die Hände nicht in den Schoß legen. (...) Man kann ja doch nicht mehr wie sterben.“

Auch Henriette Zobel, die 35jährige Ehefrau eines Bornheimer Lithographen, wurde kurz nach dem Septemberaufstand verhaftet. Sie galt als Rädelsführerin des Komplotts gegen die beiden Abgeordneten Auerswald und Lichnowsky, die im Laufe des Aufstands von einer wütenden Volksmenge umgebracht worden waren. Mit ihrem Regenschirm soll die Zobel noch auf den schon schwerverwundeten Lichnowsky eingedroschen haben. Der Schirm wurde daher als corpus delicti zu den Gerichtsakten genommen und befindet sich heute im Besitz des Frankfurter Historischen Museums. Es ist ein einfacher schwarzer Regenschirm. Die Zeichner, die die Ermordung Lichnowskys dargestellt haben, haben den Schirm der Zobel jedoch gern rot koloriert - entsprechend der „extrem-demokratischen“ Gesinnung der Revolutionärin.

Zu sehen ist der Regenschirm übrigens in der großen Jubiläumsschau „1848 Aufbruch zur Freiheit“ vom 18. Mai bis 18. September in der Frankfurter Schirn Kunsthalle. Mit dieser Ausstellung und zahlreichen Veranstaltungen wird in der Mainstadt an das Paulskirchen-Parlament vor 150 Jahren erinnert.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 16 vom 21.04.1998

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