Ein „nackter Zylinder“ als Symbol der Demokratie

Vor 50 Jahren wurde die im Krieg zerstörte Frankfurter Paulskirche wieder eröffnet

Mit dem großen Paulskirchenjubiläum am 18. Mai rückt auch das Gebäude selbst in den Blickpunkt des Interesses. Nach dem Krieg wurde in Frankfurt um den Wiederaufbau der Paulskirche heftig gestritten. Die Wiedereröffnung fand dann genau 100 Jahre nach dem Einzug des ersten deutschen Parlaments statt.

Frankfurt am Main (pia)- Im März 1944 schien es endgültig vorbei zu sein mit der Paulskirche. Das Gotteshaus wurde bei den schweren Bombenangriffen auf die Frankfurter Altstadt von Phosphorbomben getroffen und brannte völlig aus. „Die noch brennenden Teile des Daches stürzen in die Kirche, schlagen die Empore mit ihren 1200 Sitzplätzen herunter, die brodelnde glühende Masse begräbt das Kirchenschiff unter sich. Wie in einem ungeheuren Kessel kracht und platzt es ... Es ist aus, die Paulskirche stirbt“, erinnerte sich Pfarrer Georg Struckmeier der den Untergang „seiner“ Kirche mit ansehen mußte.

Wenn es jetzt wieder ein „Paulskirchenjahr“, das 150jährige Jubiläum der ersten deutschen Nationalversammlung, zu feiern gilt, dann ist es auch ein Anlaß, an den vor 50 Jahren vollendeten Wiederaufbau der historischen Stätte zu erinnern. Am 18. Mai 1948 wurde die neue Frankfurter Paulskirche feierlich eröffnet. Auf dem Paulsplatz hatten sich 35 000 Schaulustige versammelt, als Oberbürgermeister Walter Kolb und Festredner Fritz von Unruh an der Spitze der Ehrengäste zu dem Gebäude schritten. Sehr bewußt wurde hier an das historische Datum erinnert, an den 18. Mai 1848, als 330 Abgeordnete des ersten deutschen Parlaments vom Kaisersaal des Römer in die Paulskirche eingezogen waren.

Nach 1945 hatten die Verantwortlichen gerade noch rechtzeitig die Signalwirkung erkannt, die von einer zur 100-Jahr-Feier wiederhergestellten Paulskirche für den demokratischen Neubeginn in Deutschland ausgehen würde. Noch unter Oberbürgermeister Kurt Blaum war am 1. Juni 1946 ein Ideenwettbewerb für das Projekt ausgeschrieben worden, der es den Architekten zur Auflage machte, unter Verwendung der übriggebliebenen Mauerreste eine variable Nutzung der Paulskirche vorzusehen. Die Paulskirche sollte nicht nur Gotteshaus sein, sondern auch Tagungsstätte. Dabei hatte man im Hinterkopf, daß Frankfurt vielleicht einmal die Hauptstadt des neuen deutschen Staates werden und die Paulskirche dann als Versammlungsort für das Parlament dienen könnte.

Mit dem Projekt wurde schließlich im November 1946 eine „Planungsgemeinschaft Paulskirche“ beauftragt, der die Architekten Gottlieb Schaupp, Rudolf Schwarz und Johannes Krahn angehörten. Dem städtischen Wunsch gemäß, wollte die Planungsgemeinschaft keine historisch originalgetreue Rekonstruktion der alten Paulskirche. Rudolf Schwarz hatte vielmehr die klassische Schönheit der Ruine erkannt, in deren amphitheatralischem Maueroval die einsam stehengebliebenen Emporensäulen eindrucksvoll gen Himmel ragten. „Die große Ruine war weitaus herrlicher als das frühere Bauwerk“, schrieb Schwarz sogar, „ein riesiges Rund aus nackten, ausgeglühten Steinen von einer beinahe römischen Gewaltsamkeit. So schön war das Bauwerk noch niemals gewesen, und wir erreichten, daß es so blieb.“

Das klassizistische Kirchengebäude, das 1833 geweiht worden war, sollte nun in zeitgemäß vereinfachter Form wiedererstehen. Insbesondere bei der Innengestaltung folgte die Planungsgemeinschaft einer ganz eigenen Vision. Der am Hauptturm eintretende Besucher wird zunächst durch eine niedrige, halbdunkle Wandelhalle geführt, in deren Zentrum ein Oval von 14 den oberen Saal tragenden Marmorsäulen steht. An der Rückseite des Foyers kann er über zwei mit der Rundung der Wand geschwungene Treppen hinaufsteigen in den hohen, lichten Plenarsaal. Er vollziehe damit „eine Bewegung aus dem Niedern, Halbdunkeln, Ertragenden ins Hohe, Lichte und Freie“, erläuterte die Planungsgemeinschaft. „Wir wollten damit ein Bild des schweren Weges geben, den unser Volk in dieser seiner bittersten Stunde zu gehen hat.“ Der Plenarsaal selbst sollte äußerst schlicht gehalten sein, mit einer leichten Holzdecke mit Oberlicht, weißen Wänden, einfacher Bestuhlung, einem Natursteinboden und einem marmornen Rednerpult.

Oberbürgermeister Kolb, den an seinem neuen Amt gerade das Paulskirchenprojekt besonders gereizt hatte, fand die Entwürfe der Planungsgemeinschaft geradezu genial. Traditionalistisch gesinntere Gemüter konnten sich dagegen kaum mit der zeitgemäßen Neugestaltung der Paulskirche anfreunden. „Altstadtvater“ Fried Lübbecke etwa, Geschäftsführer des städtischen Paulskirchenausschusses, wetterte öffentlich gegen die Pläne, kritisierte die neue Raumaufteilung, degradierte die niedrige Wandelhalle zum „Kellergeschoss“, nannte den emporenlosen Plenarsaal abfällig einen „nackten Zylinder“ und empfand es auch als Zumutung, daß statt des zerstörten Steildachs nur ein Flachdach ausgeführt werden sollte. Kolb nahm Lübbecke diese harschen Angriffe äußerst übel. Die Affäre eskalierte so weit, daß Lübbecke nicht nur aus dem Paulskirchenausschuß, sondern schließlich auch aus seiner übrigen städtischen Ämtern ausscheiden mußte.

Aus eigener Kraft konnte das unter den Kriegsfolgen leidende Frankfurt den Wiederaufbau der Paulskirche nicht bewältigen. So verschickte Kolb am 20. Januar 1947 einen Aufruf mit der Bitte um Unterstützung an alle möglichen Gemeinden, Firmen und Einzelpersonen in ganz Deutschland. „Das Haus aller Deutschen“ sollte die Paulskirche werden, und tatsächlich erhielt Kolb, obwohl allerorts noch große Not herrschte, 327 Sachspenden und 1,8 Millionen Reichsmark Spendengelder aus allen deutschen Ländern. Sogar das Zentralsekretariat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands steuerte 100.000 Mark bei.

Am 17. März 1947 wurde in der enttrümmerten Ruine der Grundstein für die neue Paulskirche gelegt. „Heute beginnen wir mit dem Wiederaufbau der Paulskirche“, heißt es in der Grundsteinurkunde. „Sie wurde zerstört, weil wir die sittlichen Gesetze mißachteten. Mögen unsere Nachkommen sich selbst überwinden und über die Grenzen hinaus allen Völkern die Hand in Eintracht reichen. Dies ist unser Wunsch und unser Vermächtnis.“

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 4 vom 27.01.1998

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