Der verkannte Architekt starb mitten im Streit

Richard Lucae, Baumeister der Frankfurter Alten Oper, wird in einem neuen Buch endlich rehabilitiert

Die Alte Oper war ein Prestigeobjekt der Stadt Frankfurt - aber bis in unser Jahrhundert gab es Streit um das Bauwerk. Zu groß, zu teuer, zu bombastisch lauteten die Vorwürfe - dabei hatte der Architekt nur das ausgeführt, was die Stadt von ihm verlangte.

Frankfurt am Main (pia) - Zu dem Architektenwettbewerb um den Neubau eines Opernhauses in Frankfurt am Main wurde Richard Lucae (1829-1877) zunächst gar nicht eingeladen. Der Berliner Baurat war damals ein relativ unbekannter Architekt, der kaum Erfahrungen im Theaterbau hatte. Erst als einer der fünf bereits angefragten Architekten erkrankte und absagen mußte, durfte er einspringen. Am 14. August 1871 wurde es spannend: Die Jury, zu der u.a. der berühmte Dresdner Opernbaumeister Gottfried Semper gehörte, trat zur Entscheidung zusammen. Vier Tage lang prüften die Schiedsrichter gründlich alle fünf eingereichten Bauvorschläge. Dann erging ihr einstimmiges Urteil: Lucae hatte gewonnen.

Die Konzeption des Frankfurter Opernhauses, der heutigen „Alten Oper“, weist Lucae als einen hervorragenden Theaterarchitekten aus. Doch während etwa der Name seines Kollegen Gottfried Semper untrennbar mit dessen Werk, der Dresdner „Semperoper“, verknüpft ist, wurde Lucae sein Rang immer wieder streitig gemacht. Es wurde behauptet, er als Schüler, Lehrer und späterer Direktor der Berliner Bauakademie habe ja „nur“ die Tradition Schinkels fortzuführen brauchen und ansonsten bei Semper „abgucken“ können. Mit solchen Vorurteilen räumt jetzt die Kunsthistorikerin Christiane Wolf Di Cecca auf. Sie hat sämtliche erhaltenen Entwürfe, Grundrisse und historischen Fotografien des Frankfurter Opernhauses systematisch ausgewertet und auf dieser Basis eine detaillierte „Baumonographie“ (1869-1880) verfaßt. In dem soeben erschienenen Buch weist die Autorin nach, daß der Bau der Frankfurter Oper sehr wohl eine originäre Leistung von Richard Lucae ist.

Lucaes siegreicher Wettbewerbsentwurf wurde einst allerdings - statt mit dem vorgesehenen Preisgeld in Höhe von 1200 Talern - nur mit 500 Talern belohnt. Vor allem die Theaterbaukommission, das Sprachrohr jener 1869 gegründeten Bürgerinitiative, die den Opernneubau förderte und mitfinanzierte, hatte sich nämlich ein repräsentativeres Gebäude gewünscht. Lucae legte also am 5. Januar 1872 einen zweiten Entwurf vor. Entscheidend verändert hatte er die Fassade des Opernhauses, die nun - so wie wir es heute kennen - von dem mächtigen Giebel des Portalbaus beherrscht werden sollte. Durch die Vergrößerung des Portalbaus hatte der Architekt im Innern des Gebäudes Platz für großzügigere Repräsentationsräume wie Vestibül, Foyer und vor allem das prunkvolle Haupttreppenhaus geschaffen.

Doch die Theaterbaukommission war noch nicht zufrieden. Lucae mußte erneut nachbessern, zumal die Oper inzwischen an einem anderen Bauplatz als dem ursprünglich vorgesehenen Rahmhof (Börsenplatz) errichtet werden sollte. Dort wollte nun die Handelskammer gern die neue Börse bauen, und sie bot daher der Theaterbaukommission ein Grundstück am Bockenheimer Tor, dem heutigen Opernplatz, zum Tausch an. Trotz solcher zähen Verhandlungen um den Bau nicht entmutigt, fertigte Lucae jetzt einen dritten Entwurf für das Opernhaus an, der am 31. Mai 1872 endlich vom Magistrat genehmigt wurde.

Damit war das Hin und Her noch lange nicht beendet. Denn Lucaes dritter Entwurf war nicht nur der schönste und luxuriöseste, sondern auch der teuerste. Die Kostenfrage erhitzte fortan die Gemüter. Plötzlich dachte niemand mehr daran, daß die Frankfurter vom Architekten einen repräsentativen Opernbau verlangt hatten. Statt dessen wurde Lucae, der doch immer nur geduldig auf die Wünsche der Theaterbaukommission eingegangen war, bald von der Presse vorgeworfen, er wolle zu teuer und zu verschwenderisch bauen. Erst im Februar 1873, über anderthalb Jahre nach dem Architektenwettbewerb, konnten unter Lucaes Oberleitung die Bauarbeiten beginnen.

Lucae hatte die Querelen um das Projekt wohl nur deshalb ertragen, weil er hoffte, durch den Bau des Frankfurter Opernhauses zum vielgefragten Architekten aufzusteigen. Aber er sollte nicht mehr in den Genuß des Ruhmes kommen. Das Opernhaus stand gerade im Rohbau, da starb Richard Lucae völlig unerwartet am 26. November 1877. Seine Mitarbeiter Johann Albrecht Becker und Eduard Giesenberg führten den Frankfurter Bau zu Ende. Giesenberg, der für die Innenausstattung der Oper zuständig war, machte dabei aber immer deutlich, daß er nur die Ideen seines Meisters ausführte. Alle seine Entwürfe signierte er demgemäß mit „Lucae invenit, Giesenberg sculpsit“ („Lucae hat es erfunden, Giesenberg hat es gezeichnet“).

Nach über siebenjähriger Bauzeit wurde das Frankfurter Opern­haus am 20. Oktober 1880 eröffnet. Allgemein wurden Architektur und Technik des Theaterbaus gelobt. Wenn es auch auf den ersten Blick wie ein „glücklicher Zufallswurf“ wirke, schrieb damals Conrad Steinbrecht in der „Deutschen Bauzeitung“, so könne jedoch gerade dieser Effekt nur „ein reifes Ergebnis jahrelangen Studierens und Arbeitens des fein begabten, durch seine weit reichende künstlerische Umsicht charakterisierten Architekten“ sein. Dieser Erkenntnis schien sich die Stadt Frankfurt zu verschließen. Denn sie blieb dem inzwischen verstorbenen Schöpfer des ansonsten vielgepriesenen Bauwerks lange den Dank schuldig. Man nahm Lucae einfach weiterhin übel, daß das Opernhaus zu teuer geworden sei. Immerhin betrugen die Baukosten statt der ursprünglich veranschlagten 1,8 Millionen Mark schließlich über 6,8 Millionen.

Fast genau ein Jahrhundert später kostete der Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten und 1981 wiedereröffneten Oper über 200 Millionen Mark. Lucaes architektonisches Gesamtkunst­werk erstand jedoch nicht ohne Zwistigkeiten. Eine heiße Diskussion war in den 60er, 70er Jahren entbrannt über der Frage, ob die „Alte Oper“ erhaltenswert sei oder nicht. Noch heute von Frankfurtern unvergessen ist die Absicht von Oberbürgermeister Rudi Arndt („Dynamit-Rudi“), sie in die Luft zu sprengen. Die Außenfassade der „Alten Oper“ wurde detailgetreu restauriert, Foyer und Vestibül erstrahlen wieder im alten historischen Glanz. Doch im Innern ist sie heute ein modernes Konzert- und Kongreßzentrum. Im Foyer erinnert inzwischen auch eine Gedenkplakette an Richard Lucae, den Architekten des Frankfurter Opernhauses.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 36 vom 16.09.1997

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