Galgen, Gauner und Gerechtigkeit

Ungewöhnliche Stadtführung durch die Frankfurter Kriminalgeschichte

Wo das „Gretchen“ geköpft wurde, wo sich das Galgenfeld befand - dies und vieles mehr erfährt man bei einer Stadtführung der Frankfurter „Kulturothek“. Mit wohligem Schauer hören Frankfurtfans und Krimifreunde die blutrünstigen Stories von den wirklich passierten Missetaten.

Frankfurt am Main (pia) - Frankfurt, Stiftstraße 36. In diesem Haus geschah das grausame Verbrechen. Eine blutjunge schöne Frau liegt ermordet in ihrem Apartment. Ganz Deutschland nimmt sensationslüstern teil an dem Mord, bald umlagern Trauben von Kamerateams die Eingangstür, wo Rosemarie Nitribitt gewohnt hat. Vierzig Jahre später stehen hier, vor dem eher nichtssagenden Nachkriegsbau, Besucher einer Stadtführung, die die schauerlichen Seiten Frankfurts kennenlernen möchten. „Gauner, Galgen und Gerechtigkeit“ heißt die Kriminaltour, die die „Kulturothek“ in ihrem Programm ungewöhnlicher Stadtbegehungen anbietet.

Da ist der Fall des ermordeten Klavierhändlers Lichtenstein auf der Zeil, der zu Beginn des Jahrhunderts ganz Frankfurt in Aufregung versetzte. Die Zutaten für einen spannenden Krimi stimmen: Ein Pianist mit dem romantischen Namen Ernesto Consolo entdeckt die blutverschmierte Leiche des stadtbekannten Mannes, ein Kriminalist namens Bußjäger macht sich auf die Jagd nach dem Täter, schließlich führt ein geheimnisvoller Manschettenknopf mit eingraviertem Hufeisen auf die Spur der beiden Raubmörder.

Ein paar hundert Meter vom Ort des Verbrechens liegt die Hauptwache, wo einst Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, eingelocht wurde. Die Hauptwache, wo heute Kaffee getrunken wird, war eben nicht nur Standquartier der Stadtmiliz, sondern auch Gefängnis. Der prominenteste Insasse war der Frankfurter Ratsherr Johann Erasmus Senckenberg, Bruder des berühmten Stifters. Die Ratsherren sperrten ihren Kollegen 1769 ein, weil er bezichtigt wurde, seine Köchin geschwängert und sie fälschlich des Mordversuchs an ihm verdächtigt zu haben. Der wahre Grund war aber wohl, daß der brillante Jurist eine scharfe Zunge hatte und skandalöse Einzelheiten aus dem Privatleben seiner Kollegen öffentlich preisgab. Im südwestlichen Eckzimmer des Obergeschosses der Hauptwache mußte er bis zu seinem Tod 26 Jahre lang schmoren. Sein Fall ist übrigens in den „Criminalia“ der Stadt Frankfurt bestens dokumentiert. Zusammen mit mehr als 12.000 Prozeßakten lagert er in den Archiven des Instituts für Stadtgeschichte.

Der berühmteste Fall, der in den „Criminalia“ überliefert ist, dürfte jener der ledigen Dienstmagd Susanna Margaretha Brandt sein, die am 1. August 1771 ihr neugeborenes Kind getötet haben soll. Die unglückliche junge Frau würde am 14. Januar 1772 auf dem Paradeplatz an der Hauptwache geköpft, nachdem sie zunächst in der Hauptwache, dann im Katharinenturm eingekerkert war. Berühmt wurde der Fall der „Brandtin“, weil ein junger Frankfurter Jurist namens Johann Wolfgang Goethe regen Anteil an dem Prozeß gegen die Kindsmörderin nahm: Ihn inspirierte Susanna Margarethas Schicksal zur „Gretchentragödie“ im „Faust“. Die Prozeßakten, die schon Goethe studiert haben dürfte, enthalten übrigens als „corpus delicti“ bis heute die Schere, mit der die Beschuldigte ihr Kind abgenabelt und verletzt haben soll, bevor sie es tötete.

Ein weiterer Abstecher der etwas anderen Sightseeing-Tour führt zum Frankfurter Hauptbahnhof. Für alle weithin sichtbar, erhob sich hier das Blutgerüst mit dem Galgen. Das große freie Gelände vor den westlichen Toren der Stadt war das „Galgenfeld“, heute „Gallusviertel“. Es bot genug Platz für die Massen von Schaulustigen, die zu jeder Exekution herbeiströmten. Hier weiß Historikerin Silke Wustmann, die die Führung leitet, etliche spannende und lehrreiche Details zu erzählen. Etwa, daß, bevor eine Hinrichtung stattfand, „der Galgen gefegt“ wurde: Die sterblichen Überreste der vorigen Gehenkten wurden abgeräumt und bestenfalls an der Richtstätte verscharrt. Wenn einer der halb verwesten und verwitterten Leichname aber schon vorher abfiel, verfügte der Rat der Stadt sogar manchmal, daß der Körper zusammengeflickt und wieder aufgehängt werden mußte. Er sollte auch künftig allen Passanten ein abschreckendes Beispiel sein.

Frauen durften übrigens nicht erhängt werden, da die öffentliche Zurschaustellung einer weiblichen Leiche am Galgen gegen die Schamhaftigkeit verstoßen hätte. „Den Dieb erhängt, die Hur' ertränkt!“ lautete hier die Grundregel. Dementsprechend wurden Prostituierte und Diebinnen von der Alten Brücke in den Main geworfen, erzählt die Historikerin. Möglichst bei Nacht, um den Durchgangsverkehr auf dieser damals einzigen Brücke weit und breit nicht zu behindern.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 19 vom 20.05.1997

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