Eine Motte namens Merianella

Der Geburtstag von Maria Sibylla Merian jährt sich zum 350. Mal

Ihr Vater war der berühmte Frankfurter Kupferstecher Matthäus Merian. Schon als Kind war sie fasziniert von Raupen, die sie beobachtete und zeichnete. Sie trennte sich von ihrem Mann und brach auf in den südamerikanischen Regenwald, um Fauna und Flora zu erforschen.

Frankfurt am Main (pia) Im Frühsommer 1699 ging eine 52 Jahre alte Frau an Bord eines holländischen Segelschiffs, das sie in das Land ihrer Träume bringen sollte. Maria Sibylla Merian segelte nach Surinam, nur in Begleitung ihrer 21jährigen Töchter Dorothea Maria. Im Gepäck hatten die beiden Staffelei, Schmetterlingsnetz und Botanisiertrommel. Sie wollten die Insekten und Pflanzenwelt des fernen Landes erforschen und aufzeichnen. Maria Sibylla Merian gilt heute als die erste deutsche Insektenforscherin. Ihr Porträt ziert inzwischen sogar den 500 Mark-Schein und eine 40-Pfennig-Briefmarke.

Vor genau 350 Jahren, am 2. April 1647, wurde Maria Sibylla Merian in Frankfurt am Main geboren. Sie war die Tochter des bis heute für seine Städteansichten berühmten Kupferstechers Matthäus Merian d. Ä. (1593-1650) aus dessen zweiter Ehe mit Johanna Catharina Sibylla Heim. Der bereits von Alter und Krankheit geplagte Vater liebte die kleine Maria Sibylle, seine Jüngste, offenbar abgöttisch. Auf dem Sterbebett soll er auf das dreijährige Töchterchen gedeutet und prophezeit haben: „Bin ich schon nicht mehr da, wird man noch sagen: Das ist Merians Tochter.“

Die Ahnung des Vaters schien sich zunächst nicht zu erfüllen. Die Mutter ließ dem Mädchen eine harte Erziehung angedeihen, damit Maria Sibylla einmal „eine brave, schaffige Hausfrau“ würde. Doch im Atelier des Stiefvaters, des aus den Niederlanden stammenden Stillebenmalers Jacob Marrel (auch: Morell), konnte das Kind freiere Luft atmen und begann zu zeichnen. Als Dreizehnjährige besuchte sie eine Seidenraupenzucht. Sie durfte sich einige Raupen mit nach Hause nehmen. Voller Begeisterung pflegte und fütterte sie die Tierchen, bis sie sich verpuppten und zum Schmetterling verwandelt ausschlüpften. Maria Sibylla verfolgte diese Vorgänge voller Staunen. Sogleich zeichnete sie die Entwicklung der Seidenraupe zum „Sommervögelein“ und beschrieb dazu, was sie gesehen hatte. Damit begannen ihre Forschungen. Künftig sammelte sie allerlei Insekten und Pflanzen und beobachtete sie, um alles Geschaute mit Pinsel und Feder festzuhalten.

Als Maria Sibylla Merian, im Mai 1665, gerade 18jährig, den Nürnberger Architekturmaler Johann Andreas Graff heiratete, dürfte vor allem ihre Mütter erleichtert aufgeseufzt haben, daß das nicht besonders hübsche und noch dazu schwierige Mädchen endlich unter die Haube kam. Wer wollte schon eine Frau, die Raupen, Würmer und anderes Getier, das damals noch als „Teufelsbrut“ galt, im Hause hielt? Graff sah jedoch offenbar mehr Maria Sibyllas Mädchennamen Merian als unschätzbares Kapital für seine eigene künftige Werkstatt an. Zwei Jahre später übersiedelte die Familie nach Nürnberg. Neben Haushalt und Erwerbstätigkeit - Maria Sibylla betrieb einen Farbhandel und eine Malschule - setzte sie ihre autodidaktischen Studien der Insektenwelt eifrig fort. Sie lernte sogar Latein, um die einschlägigen naturwissenschaftlichen Abhandlungen, die damals alle in der klassischen Sprache abgefaßt waren, studieren zu können.

1679 veröffentlichte sie ihre Forschungsergebnisse erstmals in einem Buch mit dem Titel „Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung“. Die fünfzig Kupferstiche weisen sie als geniale malende Forscherin aus. Und die Reschreibungen vermitteln noch heute ihr Staunen und ihre Begeisterung über die Wunder der Natur. Auf den süßen, frühen Kirschen findet sie beispielsweise die Raupe des Nachtpfauenauges. Sie hat „eine so schöne grüne Farb wie im Frühling das junge Gras ... mit einem schönen geraden, schwarzen Streif, worauf vier weiße, runde Körnlein gleich den Perlen geschienen: Worunter ein gold-gelbes, längliches Düpfelein ist, und unter diesen noch ein weisses Perlen ... “

Im Sommer 1685, nunmehr 38 Jahre alt, verließ Maria Sibylla endgültig ihren Mann, dessen ständige Liebschaften die Ehe zerrüttet hatten. Sie ging mit ihrer Mutter und ihren beiden Töchtern zu ihrem Halbbruder nach Holland. Dort hörte sie erstmals von der niederländischen Kolonie Surinam in Südamerika. Doch bis sie selbst dorthin reisen konnte, mußte sie sich noch lange gedulden. „Patiencya ist ein gut Kräutlein“, hat sie selbst einmal gesagt. Zunächst übte sie sich in der Kunst des Präparierens und fand in Amsterdam Kontakte zu renommierten Naturwissenschaftlern wie dem Botaniker Caspar Commelin und dem Erfinder Antonie van Leeuwenhoek. Leeuwenhoek lehrte sie den Umgang mit dem von ihm gebauten Mikroskop, durch das sie alle Objekte einwandfrei in 300facher Vergrößerung sehen konnte. Nachdem der Bürgermeister von Amsterdam noch einen Reisekostenzuschuß gewährt hatte, konnte es endlich losgehen.

Nach dreimonatiger Seereise kam Maria Sibylla Merian im frühen Herbst 1699 in Surinam an. Fast zwei Jahre lebte und arbeitete sie mit ihrer jüngeren Tochter Dorothea Maria dort. Sie wohnten in einem kleinen Holzhaus in der Nähe der Hauptstadt Paramaribo, von wo aus sie ihre Exkursionen in den tropischen Regenwald unternahmen. Immer wieder traten die beiden Frauen den beschwerlichen Weg in den Urwald an, den sie sich erst von einigen Sklaven freischlagen lassen mußten. Unermüdlich, auch wenn der Schweiß ihre längen Baumwollröcke an den Beinen festklebte und die Wespen ihre Köpfe nur so umschwirrten, sammelten sie Pflanzen und Insekten. Wegen ihrer schlechten Gesundheit - Maria Sibylla hatte sich mit Malaria infiziert - mußten die beiden Frauen früher als geplant nach Holland zurückkehren. Sie brachten zahlreiche Pergamentbilder, getrocknete Schmetterlinge, präparierte Krokodile und Schlangen, eingelegte Eidechseneier und Raupen, Pflanzenzwiebeln und Samen mit nach Amsterdam. All diese Schätze ließ der Bürgermeister gleich im Stadthaus einem staunenden Publikum zur Schau stellen.

Trotz ihrer Krankheit begann Maria Sibylle sofort mit der wissenschaftlichen Auswertung ihrer Reise. 1705 erschien ihr Surinambuch „Metamorphosis Insectorum Surinamensium“, eine Darstellung der surinamischen Insekten- und Pflanzenwelt auf 60 Kupferstichtafeln mit Erläuterungen in lateinischer und holländischer Sprache, die weltweit Aufsehen erregte. Die Forscherin, deren Werke 1716 sogar der russische Zar Peter der Große erwarb, ruhte sich aber nicht auf ihren Lorbeeren aus. Zusammen mit ihrer Tochter Dorothea Maria arbeitete die Merianin damals am dritten Teil ihres Raupenbuchs, dessen Erscheinen 1717 sie jedoch nicht mehr erleben durfte. Kurz zuvor, am 13. Januar 1717, ist Maria Sibylla Merian in Amsterdam gestorben. Der schwedische Naturforscher Karl von Linné, der die moderne Nomenklatur der Biologie begründete, hat ihr einen Platz unter den „Unsterblichen“ zugestanden. Zum ehrenden Andenken an Maria Sibylla Merian gab er einer Motte den Namen „Tinea Merianella“.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 11 vom 18.03.1997

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