Die schöne Heilige ist in Wirklichkeit ein Jüngling

Am Städelschen Kunstinstitut spielt die Gemälderestaurierung eine wichtige Rolle

Nicht selten arbeitet ein Restaurator mehrere Jahre an einem Gemälde. Die Bilder werden mikroskopisch untersucht, geröntgt und von schädlichen Übermalungen befreit. Wichtig ist auch die Originalrahmung, für die man am Städel ein besonderes Händchen hat.

Frankfurt am Main (pia) Eine Geschlechtsumwandlung im Frankfurter Städelschen Kunstinstitut sorgte kürzlich weltweit für Furore: Die „Heilige Katharina“ von dem italienischen Maler Bartholomeo da Venezia aus dem frühen 16. Jahrhundert war vorübergehend in der Restaurierungswerkstatt des Hauses verschwunden und dann plötzlich als Porträt eines schönen Jünglings wieder aufgetaucht. Tatsächlich hat Peter Waldeis, der Leiter der Restaurierungs-werkstatt am Städel, dem jungen Mann nur zu dessen ursprünglicher Gestalt zurückverholfen. Er hatte nämlich zweifelsfrei festgestellt, daß der abgebildete Narziß, der sich im Brunnen spiegelt, zur Heiligen umfunktioniert worden war, weil das besser zum frommen Geschmack der Zeit paßte.

Nicht nur geschäftstüchtige Kunsthändler, auch künstlerisch ambitionierte Restauratoren, vergangener Jahrhunderte gingen mit den Gemälden älterer Meister nicht gerade pfleglich um. Manche „Künstlerrestauratoren“ griffen skrupellos nach ihrem eigenen Geschmack und Gutdünken „verbessernd“ in die Bilder ein. Im Frankfurter Städelschen Kunstinstitut, das 1816 von dem Bürger und Kunstsammler Johann Friedrich Städel testamentarisch gestiftet wurde, zögerte man daher lange mit der Einrichtung einer Restaurierungswerkstatt. „Man wollte die Kinderkrankheiten des Berufes abwarten. Erst 1972 gründete deshalb das Städel als eine der letzten Galerien von diesem Rang eine Restaurierungsabteilung“, erzählt Peter Waldeis. „Damals war das Städel eines der schlechtestgepflegten Kunstmuseen in der BRD.“ Das hat sich inzwischen grundlegend, geändert.

Als Waldeis 1982 die Leitung der Restaurierungswerkstatt im Städel übernahm, hat er zunächst einmal sämtliche Gemälde der Galerie auf ihren Zustand geprüft und seitdem möglichst systematisch die anstehenden Restaurierungsarbeiten veranlaßt und ausgeführt. Weltbekannte Bilder aus dem Städel, darunter Hieronymus Boschs „Ecce Homo“, Claude Lorrains „Landschaft mit ‚Noli me tangere‘ “, Sandro Botticellis „Weibliches Brustbild (vermutlich Simonetta Vespucci)“, Eugen Delacroixs „Hamlet und Horatio“, hat Waldeis in den letzten Jahren erstmals „Totalrestaurierungen“ unterzogen. Aufgrund seiner Arbeit konnte für manche der Gemälde sogar die Autorschaft endgültig geklärt werden. So gilt der „Heilige Markus“, der Mantegna früher nur zugeschrieben wurde, heute unstrittig als sein frühestes bewegliches Werk.

Neben der laufenden Bestandspflege nimmt sich jeder Mitarbeiter der Werkstatt immer ein Kunstwerk zur „Totalrestaurierung“ vor. Waldeis’ einziger ständiger Mitarbeiter Stephan Knobloch, der wie sein Chef eine solide Ausbildung zum Gemälderestaurator in München absolviert hat, arbeitet nun schon seit vier Jahren an Palma Vecchios Gemälde „Jupiter wirbt in der Gestalt Dianas um Callisto“, einem seit 1907 dem Städel gehörenden Werk der venezianischen Renaissance aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dessen maroder Zustand den Restauratoren bei einem ihrer üblichen Kontrollgänge durch die Galerie aufgefallen war. Bei der gemäldetechnologischen Voruntersuchung zeigte sich, daß das Bild sogar noch stärker angegriffen war als gedacht. Die Holztafel, auf die es gemalt ist, war von Schädlingen zerfressen und daher immer wieder notdürftig geflickt worden. Monatelang hat Knobloch in unendlicher Geduldsarbeit unter dem Mikroskop die alten Füllungen aus den Schlupflöchern der Schädlinge entfernt. Auch andere verfärbte und dadurch störend ins Auge stechende Übermalungen früherer Restauratoren mußte er abnehmen. Inzwischen ist er beim behutsamen Retuschieren der Fehlstellen angekommen.

Nach abgeschlossener Restaurierung braucht das Gemälde einen Rahmen. Es ist die besondere Passion von Peter Waldeis, für jedes neue oder restaurierte Bild einen Rahmen aus der Entstehungszeit zu finden und anzukaufen, wie ihn der Künstler selbst dafür gewählt haben könnte. Dank Waldeis’ Engagement ist die Originalrahmung vieler ausgestellter Gemälde inzwischen sogar zu einer besonderen Spezialität des Städel geworden. Knobloch hat bei „seinem“ Palma Vecchio das große Glück, daß dazu schon ein wertvoller Renaissancerahmen gehörte, der im Rahmenhandel sicher einen stolzen Preis um die 100.000 Mark gekostet hätte. Wenn das restaurierte und gerahmte Gemälde dann endlich in die Ausstellung des Städel zurückkehren kann, soll es aber nicht „wie neu“ aussehen. „Prinzipiell gilt: So viel wie nötig und so wenig wie möglich darf der Restaurator eingreifen“, erklärt Waldeis.

Neben der „klassischen“ Restauratorenarbeit ist Stephan Knobloch seit 1990 damit befaßt, in Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Abteilung verstärkt gemäldetechnologische Untersuchungen am Städel auszuführen, wobei jedes Bild unter dem Mikroskop betrachtet, zum Teil auch mit UV-, Infrarot- und Röntgenstrahlen durchleuchtet wird. Die enge Zusammenarbeit zwischen Restauratoren und Kunsthistorikern des Städel, wie sie für Galerien und Museen sonst immer noch nicht selbstverständlich ist, trug bereits erste Früchte in dem Katalog „Niederländische Gemälde im Städel 1400-1550“, den Jochen Sander, Hauptkustos für Malerei am Städel, 1993 vorgelegt hat. „Mit diesem Katalog begann eine neue wissenschaftliche Arbeit am Haus“, meint Peter Waldeis.

Während er auf Hochtouren an einem Bericht über Vermeers „Geographen“ schreibt, sieht ihm von der Staffelei eine „Madonna mit Kind und Johannesknaben“ über die Schulter. Noch ist der Himmel über der Gottesmutter auf dem Gemälde von Perugino nur halb vom gilbenden Schmutz und Firnis gereinigt. Bald wird das frische Blau wieder vollkommen über Maria erstrahlen. Spätestens im Mai. Dann nämlich soll eine kleine Vermeer-Ausstellung in Frankfurt eröffnet werden, und Waldeis wird wieder mehr Zeit für die Restaurierung des Perugino haben.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 8 vom 25.02.1997

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