Die ewige Lampe brennt nicht mehr

Digitaler Rundgang durch drei zerstörte Frankfurter Synagogen

Es war ein hartes Stück Arbeit für die acht Architekturstudenten der TH Darmstadt. Unter ihrem Professor Manfred Koob suchten sie, die zerstörten Synagogen zu rekonstruieren. Doch existierten nur wenige Pläne. So begann man, Zeitzeugen zu befragen. Drei Kurzfilme schließen das Projekt jetzt ab.

Frankfurt am Main (pia) - Gemächlichen Schrittes nähert man sich der Synagoge. Von weitem sind schon die zwiebelförmigen Kuppeln zu erkennen, und da, mitten aus der qualvollen Enge der Frankfurter Judengasse, erhebt sie sich plötzlich in ihrer ganzen Schönheit. Nun geht man in das Innere des Tempels. Durch die hohen Fenster flutet helles Tageslicht. Gegenüber dem Eingang, an der reich mit Mosaiken geschmückten Ostwand, befindet sich die Heilige Lade, wo die Thorarollen, handgeschriebene Pergamentrollen mit dem Text der fünf Bücher Mose, aufbewahrt werden. Doch etwas ist anders. Die Menora, der achtarmige Leuchter, der sonst in keiner Synagoge fehlt, steht hier nicht mehr vor dem Thoraschrein. Auch die Ewige Lampe über dem Vorhang zum Thoraschrank ist erloschen.

Der Rundgang durch die Hauptsynagoge der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt am Main kann nur noch auf dem Computerbildschirm unternommen werden. Während des Pogroms in der Nacht zum 10. November 1938 wurde das jüdische Gotteshaus von SA-Leuten in Brand gesteckt und völlig zerstört. Dem Novemberpogrom fielen auch zwei andere Frankfurter Synagogen, die Synagogen am Börneplatz und an der Friedberger Anlage, zum Opfer. Alle drei, Symbole für Frankfurts einstige Bedeutung als Zentrum des Judentums in Deutschland, haben kürzlich acht Architekturstudenten der TH Darmstadt am Computer rekonstruiert. Zur Zeit entstehen drei Kurzfilme über die Rundgänge. Sie sollen in etwa einem halben Jahr fertiggestellt sein.

Die Idee dazu hatte einer der Studenten. Marc Grellert, der inzwischen sein Architekturstudium abgeschlossen hat, sah in einem solchen Projekt die Chance, seine persönlichen Interessen, das historische an der NS-Zeit und das architektonische am computerunterstützten Entwerfen (CAD), miteinander zu verbinden. „Damals wurde gerade der Anschlag auf die Synagoge in Lübeck verübt“, erzählt er. „Mit unserem Projekt wollte ich ein Zeichen dagegen setzen.“

Grellert trug den Plan seinem Professor vor, dem Bensheimer Architekten Manfred Koob, der den Ruf eines international anerkannten Experten für die Computerrekonstruktion historischer Bauwerke genießt. Doch bevor die Studenten mit der Arbeit loslegten, versicherte sich Koob des Einverständnisses der Frankfurter Jüdischen Gemeinde. Dort wurde das Projekt des Darmstädter Professors ausdrücklich positiv aufgenommen. „Die Enkel rekonstruieren hier etwas, was ihre Großväter zerstört haben. Das ist von außerordentlicher Bedeutung, nicht nur für die Baugeschichte“, meint Salomon Korn, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde.

Korn, der über den Synagogenbau in Deutschland promoviert hat, gab den Studenten auch erste Tips für ihre Recherche nach historischen Quellen und Bauplänen der Synagogen. In allen möglichen Frankfurter Bibliotheken und Archiven gingen die eifrigen Forscher auf Spurensuche. Vor allem im Institut für Stadtgeschichte und im Jüdischen Museum wurden sie fündig. Besonders die 1907 eingeweihte Synagoge der streng orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft an der Friedberger Anlage, wo heute eine Gedenkstätte vor dem 1943 dort errichteten Luftschutzbunker an das zerstörte jüdische Gotteshaus erinnert, war durch Fotografien und Pläne gut dokumentiert. Wesentlich schlechter sah es schon bei der 1882 eröffneten Synagoge am Börneplatz aus, die einst der konservative Teil der Israelitischen Gemeinde für seine Gottesdienste nutzte. Die Studenten konnten sich hier jedoch auf den Bericht stützen, der über die Ausgrabung der Synagogenreste 1990 angefertigt wurde. Ganz schlecht sah es aus bei der 1860 eingeweihten Hauptsynagoge in der Judengasse. Hier fanden sich nur einige Außenansichten, ein maßstabsloser Grundriß und ein einziges Innenraumfoto.

Die Studenten gaben nicht auf und suchten nach Zeitzeugen. Wie konnten sie die aber finden? Gerade zu der Zeit hatte die Stadt Frankfurt ehemalige Bürger, die nach 1933 wegen ihres jüdischen Glaubens Frankfurt verlassen mußten, in ihre alte Heimat eingeladen. Während einer im Rahmen des Besuchsprogramms unternommenen Dampferfahrt konnten sie von den jungen Leuten interviewt werden. Viele erinnerten sich noch gut an die zerstörten Synagogen und konnten wichtige Einzelheiten über den Raumeindruck, die Ausstattung und die Farbgebung erzählen. Mit den Ergebnissen aus der Spurensuche und nach den Gesetzen der Baulogik gelang es den Studenten schließlich, am Computer dreidimensionale Modelle aller drei zerstörten Frankfurter Synagogen zu erstellen. Als erstes Ergebnis konnten sie ihre eindrucksvollen Bilder während einer Ausstellung im Frankfurter „Museum Judengasse“ im vergangenen Sommer präsentieren.

Eine noch breitere Wirkung erhoffen sich Koob und seine Studenten von den Filmen. Doch dazu fehlte der TH Darmstadt das Geld. Koobs Suche nach Sponsoren unter bedeutenden Frankfurter Firmen verlief erfolglos. Erst nachdem der Hessische Rundfunk im Kulturmagazin „City“ zum 9./10. November 1996 über das Projekt berichtet hatte, entschloß sich die Programmdirektion des Senders spontan, die Synagogenfilme zu fördern und für 20.000 Mark die Senderechte daran zu erwerben. An den Filmen wird in Darmstadt zur Zeit eifrig gearbeitet.

Außerdem plant der engagierte Professor eine farbige Buchveröffentlichung über das Projekt, und in ein paar Monaten schon sollen die Bilder der zerstörten Frankfurter Synagogen im Internet zu sehen sein. Dort baut Koob nämlich ein „Digitales Architekturmuseum“ („Architectura virtualis“, Adresse: http://www.cad.architektur.th-darmstadt.de) auf. Darin könnte übrigens bald auch die Paulskirche mit ihrem kriegszerstörten Innenraum vertreten sein, die Koob anläßlich des 250. Jubiläums der Frankfurter Nationalversammlung 1998 zu rekonstruieren plant.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 4 vom 28.01.1997

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