Von Heinz Rühmann bis Curd Jürgens - alle kamen zu Rémond

Sein „Theater im Zoo" wird 50 Jahre alt

Heinz Rühmann, Theo Lingen, Grethe Weiser - viele berühmte Schauspieler sind hier aufgetreten. Fritz Rémond regierte in seinem Theater als Alleinherrscher alten Stils, doch die Schauspieler fraßen ihm aus der Hand. Viele Geschichten ranken sich um die großen Jahre der Bühne.

Frankfurt am Main (pia) Es war eine glanzvolle Premiere, obwohl es eigentlich an allem fehlte. Die Dekorationen waren mehr als primitiv. In der Friedhofsszene bestand das Bühnenbild aus drei Holzkreuzen, die von einem blauen Scheinwerfer angestrahlt wurden. Doch die nach Kultur hungrigen Nachkriegszuschauer störte das ebenso wenig wie die unbequemen Holzbänke, auf denen sie während der Vorstellung im schmalen Saal des halb zerstörten Zoo-Gesellschaftshauses wie im Flohkino sitzen mußten. Vor 50 Jahren, am 4. Januar 1947, eröffnete Fritz Rémond mit seiner Inszenierung von Strindbergs „Rausch“, in der er zugleich die Hauptrolle spielte, das „Kleine Theater im Zoo“.

Alle kamen immer gerne „zu Rémond“, das Publikum genauso, wie die Superstars. Heinz Rühmann, Theo Lingen, Curd Jürgens, Martin Held, Grethe Weiser und Inge Meysel spielten einst in Fritz Rémonds kleinem Privattheater. Sie, deren Porträts jetzt das Theaterfoyer schmücken, stehen für eine riesige Schar großer Schauspieler wie Luise Ullrich, Ilse Werner, Willy Birgel, Hanns Lothar, Richard Münch, die alle hier auftraten. Doch er holte nicht nur arrivierte Schauspieler an sein Theater, sondern gab auch zahlreichen Nachwuchskünstlern eine Chance. So begann Hans Joachim Kulenkampff im Herbst 1947 dort seine Karriere. Frei nach Boleslaw Barlog hieß es sogar, daß „jeder junge Schauspieler einmal bei Remond gespielt haben sollte“. Und immer noch sagen die Frankfurter, sie gingen „zu Rémond“, obwohl der Theaterprinzipal schon vor über zwei Jahrzehnten gestorben ist. Aber immerhin trägt das Theater seit 1976 seinen Namen, und die eigentlichen großen Jahre der Bühne sind engstens mit seiner Persönlichkeit verbunden.

Der Kampf ums Überleben war anfangs hart. Tagtäglich schwang sich damals Direktor Rémond persönlich aufs Fahrrad, um Farbe, Pappe, Nägel und Kohlen für sein Theater zu besorgen. Schon im Februar 1947 half alles nichts mehr. Das Theater mußte wegen anhaltender Kälte, gegen die nicht mehr anzuheizen war, vorübergehend schließen. Aber Rémond gab nicht auf, auch nicht, als es zu Jahresbeginn 1948 so stark durch das Dach regnete, daß die Schauspieler durchs Wasser zur Bühne waten und die Zuschauer im Saal die Schirme aufspannen mußten. Selbst der Währungsreform, die das Aus für viele kleine Theater bedeutete, trotzte Rémond. Daß er noch drei Wochen danach seine Eintrittskarten auch für die alte Reichsmark verkaufte, haben ihm viele dankbare Frankfurter Theaterfreunde nie vergessen.

Unter Rémonds Direktion wurde das, „Kleine Theater im Zoo“ schnell über Frankfurts Grenzen hinaus zu einem Begriff im kulturellen Leben der Nachkriegsjahre. Seinem Publikum hatte Rémond versprochen, „nach Möglichkeit f ü r Sie Theater zu spielen - man kann auch gegen das Publikum Theater spielen. Aber das möchte ich nicht.“ In diesem Sinne konzipierte er seinen Spielplan, der eine gelungene Mischung zwischen literarisch ambitioniertem und gehoben unterhaltsamem Theater bot. Schon seit den fünfziger Jahren veranstaltete er öffentliche Diskussionen zum Spielplan, um das Publikum direkt in die Theaterkonzeption einzubeziehen.

Im Jahr 1954 beschwerte sich einmal ein Rechtsanwalt über die Inszenierung von Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“, weil das Stück zu problembeladen sei. Er wolle sich . schließlich abends im Theater erholen, schrieb der gestreßte Jurist an Rémond. Kurz darauf bekam der Direktor eine weitere Zuschauerzuschrift, diesmal von einer wütenden Dame. Sie meinte, das neue Lustspiel „Bedienung bitte!“ sei so leichtgewichtig, daß es keine Aufführung verdiene. Als Antwort schickte Remond kurzerhand jedem der beiden den Brief des anderen.

In seinem Theater regierte er als Alleinherrscher alten Stils. Die Generalproben des Regisseurs dauerten oft bis fünf Uhr früh. Zwischendurch, gegen nachts um halb drei, schickte der „Chef“- wie sie ihn nannten - höchstens einmal in die „Tosca“ in der Kaiserhofstraße, um Grillhähnchen für die geplagten Mitwirkenden holen zu lassen. Nach dem Essen wurde gnadenlos weiterprobiert. Und am nächsten Morgen weckte die Schauspieler oft ein Anruf, sie sollten doch abends etwas früher zur Premiere kommen, weil noch etwas geändert werden müsse. Rémond war das letzte Prinzipalenungetüm der Neuzeit. Die Schauspieler waren von seiner Persönlichkeit fasziniert. „Du hörst zu, bist entzückt, wenn sie dir etwas ‚anbieten‘, bist verstört, wenn einer Dich nicht versteht, bist wütend, wenn du Unvermögen spürst. Du bist gar nicht bequem, sondern anstrengend auf verführerische Weise“, schrieb Renate Bang 1972 an Rémond. „Es gibt keinen mehr wie ihn“, so der Theaterkritiker Günther Rühle 1976 in seinem Nachruf auf dieses „Urtier des Theaters“.

Schon zu seinen Lebzeiten ist das „Kleine Theater im Zoo“, bei aller Popularität, nicht von Krisen verschont geblieben. Der in jeder Hinsicht kolossale Theaterdirektor soll sogar einmal erfolgreich vor Frankfurts legendärem Nachkriegsoberbürgermeister Walter Kolb auf die Knie gefallen sein, um dessen Unterstützung für sein Theater zu erflehen. Seit der Mitte der sechziger Jahre, nachdem die Städtischen Bühnen und die „Komödie“ neue Häuser im Stadtzentrum erhalten hatten, mußte Rémond besonders hart um die Existenz seines Theaters kämpfen. Vor der Premiere zu Molnars „Eins, zwei, drei“ am 3. Mai 1966 trat er vor den Vorhang und erklärte, daß die 20. Spielzeit 1966/67 die letzte des „Kleinen Theaters im Zoo“ sein würde. Erst nach städtischen Zugeständnissen zur Saalrenovierung und Subventionierung entschloß er sich, nicht aufzugeben. Trotz aller Tiefs habe er, wie er einmal sagte, sein unter so viel Schmerzen geborenes Kind doch nicht im Stich lassen können.

Seit dem vergangenen Jahr übernahm Claus Helmer, ehemaliger Rémond-Schüler und Leiter der Frankfurter „Komödie“, die Intendanz, womit er gleich zwei Theater zu bespielen hat. Er kam als rettender Engel, obwohl die Flamingos, die Rémond als die Schutzpatrone seines Theaters ansah, inzwischen das Bassin vor der Tür des Zoo-Gesellschaftshauses verlassen haben. Auf Helmer ruhen nun die Hoffnungen aller, die auch künftig nicht darauf verzichten möchten, „zu Rémond“ zu gehen.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 48 vom 10.12.1996

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