Glückels Geschichte

Die Frankfurter Hebraica- und Judaica-Sammlung ist die größte ihrer Art in Deutschland

Wissenschaftler aus ganz Deutschland benutzen die „Frankfurter Bibliothek des Judentums“ gern. Über Internet ist der Lesesaal online mit Israel verbunden. Die Leiterin der Sammlung Rachel Heuberger hat jetzt ein Buch über die Geschichte der Bibliothek mit all ihren Höhen und Tiefen veröffentlicht.

Frankfurt am Main (pia) Eigentlich wollte sie, damals 45 Jahre alt und früh verwitwet, nur für ihre acht Kinder die Familiengeschichte festhalten. So begann Glückel von Hameln 1690, ihre Memoiren aufzuschreiben. Die aus Hamburg stammende Jüdin, eine fromme, starke und mutige Frau, wurde später für viele Jüdinnen zum Vorbild. So auch für Bertha Pappenheim, die engagierte Vorkämpferin der jüdischen Frauenbewegung in Frankfurt, die das Manuskript ins Deutsche übersetzte. Bis heute ist Glückels jiddische Originalhandschrift das wohl spektakulärste Stück in der Hebraica- und Judaica-Sammlung der Stadt- und Universitätsbibliothek (StUB) in Frankfurt.

Weniger bekannt ist, daß die Frankfurter Hebraica- und Judaica-Sammlung die größte ihrer Art in Deutschland ist. Sie hat den beachtlichen Bestand von über 100.000 Büchern, davon etwa ein Viertel in hebräischer Sprache. Von der mittelalterlichen Handschrift bis zur modernen CD-ROM hat sie alles zu bieten, was zur wissenschaftlichen Literatur über Judentum und Israel gehört. Die wechselvolle Geschichte und die vielseitigen Aufgaben der Frankfurter „Bibliothek des Judentums“ hat jetzt deren Leiterin Rachel Heuberger in einem Band der Reihe „Frankfurter Bibliotheksschriften“ detailliert und kenntnisreich beschrieben.

Dem Bürgerstolz und der Wohltätigkeit jüdischer Frankfurter im ausgehenden 19. Jahrhundert verdankt die Stadt die Entstehung der bedeutenden Büchersammlung. Als 1901 „Baron Willy“, der letzte Frankfurter Rothschild, starb, lud dessen Witwe Freifrau Mathilde von Rothschild sogar den zuständigen Bibliothekar Aron Freimann in die Privatbücherei ihres Mannes ein, wo Freimann alle wichtigen hebräischen Werke selbst für die städtische Sammlung auswählen durfte. Aron Freimann (1871-1948), der seit 1898 die Hebraica- und Judaica-Abteilung an der Stadtbibliothek betreute, hat geleistet, daß die Frankfurter Sammlung innerhalb von dreieinhalb Jahrzehnten zur größten auf dem europäischen Kontinent ausgebaut wurde. Freimann war so anerkannt in seinem Fach als jüdischer Bibliograph, daß die Vatikanische Bibliothek, wo er häufig über dem Studium hebräischer Handschriften seinen Urlaub verbrachte, ihn im Jahre 1908 einmal der Stadt Frankfurt abwerben wollte.

1932 legte Freimann seinen Katalog der Frankfurter Judaica im Druck vor. Sein im Manuskript vollendetes Verzeichnis der Hebraica konnte nicht mehr erscheinen. Am 30. März 1933 wurde Freimann von dem nationalsozialistischen Oberbürgermeister Krebs „bis auf weiteres beurlaubt“. Nur ein paar Tage später mußte er seine Bibliotheksschlüssel abgeben, und auf Geheiß von Direktor Oehler, einem überzeugten Nazi, durfte der verdiente Wissenschaftler seine frühere Wirkungsstätte künftig nicht mehr betreten. Mit Hilfe des Vatikans konnte Freimann mit seiner Familie 1938 in die USA emigrieren, wo er trotz seines Alters seine bibliothekarische Arbeit in der New York Public Library fortsetzen konnte.

Die Frankfurter Hebraica- und Judaica-Sammlung blieb im „Dritten Reich“ zunächst weitgehend komplett, weil die nationalsozialistischen Stadtväter sie für ihre Zwecke mißbrauchen wollten. Mit dem Köder der 1933 auf 40.000 Bände angewachsenen Büchersammlung lockten sie das 1939 gegründete „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ nach Frankfurt, das auf zweifelhafteste Weise den Antisemitismus wissenschaftlich untermauern sollte. Als bei den Luftangriffen 1943/44 die alte Stadtbibliothek an der Obermainanlage zerstört wurde, verbrannten dort alle nicht ausgelagerten Bestände, darunter die Sammlung hebräischer Bücher.

Erhalten blieb ein dennoch beträchtlicher Teil der alten Hebraica- und Judaica-Sammlung, darunter die rechtzeitig in Sicherheit gebrachten Judaica, 370 hebräische Handschriften, die hebräischen Frühdrucke und die jiddisch-deutschen Druckwerke. Weil man sich nach dem Holocaust zunächst nicht vorstellen konnte, daß in Deutschland jemals wieder Juden dauerhaft leben könnten und die Wissenschaft vom Judentum wieder aufblühen würde, veräußerte die StUB 1950 allerdings acht mittelalterliche hebräische Prachthandschriften. Erst in den späteren 50er Jahren besannen sich die Bibliothekare auf den immer noch einzigartigen Schatz der Frankfurter Hebraica- und Judaica­Sammlung. An der StUB wurden damals die Sammelschwerpunkte „Wissenschaft des Judentums“ und „Landeskunde Israel“ eingerichtet. Als „Sondersammelgebiete“ sind sie heute in das Förderprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur überregionalen Literaturversorgung eingebunden und können deshalb systematisch ausgebaut werden.

Studenten und Wissenschaftler aus ganz Deutschland benutzen die Frankfurter „Bibliothek des Judentums“ gern. Im Speziallesesaal im dritten Stock werden ihnen die modernsten Mittel zur Literatursuche angeboten, von Mikrofilmen mit alten hebräischen Handschriften bis zu CD-ROMS mit aktuellsten jüdischen Zeitschriftenverzeichnissen, die auf einem PC mit hebräischer Tastatur eingesehen werden können. Über Internet ist der Lesesaal außerdem „online“ mit dem Gesamtkatalog wissenschaftlicher Bibliotheken in Israel verbunden.

Aber nicht nur für die Wissenschaft ist die Hebraica- und Judaica-Sammlung der Frankfurter StUB eigentlich da. „Ich möchte die Sammlung gern in der Öffentlichkeit bekannter machen“, sagt Leiterin Rachel Heuberger. Heute kommen schon viele Journalisten mit speziellen Anfragen zu ihr. Für einen Fernsehfilm hat sie Noten und Texte von traditionellen Synagogalgesängen herausgesucht, den alten Münzkatalog mit den handschriftlichen Randbemerkungen von Mayer Amschel Rothschild hat sie jetzt für eine Ausstellung nach New York ausgeliehen, und der Frankfurter Romanfabrik ist sie gerade bei einem Projekt über Juden im Ostend behilflich.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 40 vom 15.10.1996

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