Die zwei Berufe des Herrn Osawa

Der Geschäftsführer der Japanischen Schule schreibt Frankfurt-Bücher, die in Japan Bestseller sind

„Geschichte der Stadt Frankfurt“ und „Juden und Deutschland“ heißen zwei seiner erfolgreichen Bücher. Takeo Osava ist promovierter Historiker. Zum 250. Geburtstag Goethes will er in Anlehnung an den „Urfaust“ einen Gretchen-Roman vorlegen.

Frankfurt am Main (pia) - An den Wänden im Empfangsraum hängen Architek-turzeichnungen und Luftaufnahmen des flachen, geklinkerten Schulgebäudes. Während aus dem lichtdurchfluteten Treppenhaus fröhliche Kinderstimmen herüberklingen, erzählt Takeo Osawa von den Aufbaujahren der Japanischen Internationalen Schule in Frankfurt. Er ist Geschäftsführer und organisiert seit elf Jahren den gesamten Schulbetrieb. Aber er hat noch einen zweiten Beruf. Osawa ist Autor und schreibt Bücher für japanische Verlage.

Takeo Osawas „Geschichte der Stadt Frankfurt“ erschien 1994 in Japan in einer Auflage von 25.000 Exemplaren -eine unglaublich hohe Auflage für eine Stadthistorie. Und das ist noch nicht alles. Von seinem 1991 in Japan erschienenen Buch „Juden in Deutschland“ ist bereits die zehnte Auflage erschienen. 90.000 Exemplare sind schon verkauft worden. Deshalb hat ihn kürzlich eine Frankfurter Zeitung als Bestsellerautor bezeichnet. Aber das ist ihm sichtlich unangenehm. „Schreiben Sie das bitte nicht“, wehrt er ab und verweist bescheiden darauf, daß man in Japan erst ab 100.000 verkauften Büchern von Bestsellern spricht.

Osawa ist promovierter Historiker. Im Grunde habe sein Beruf als Geschäftsführer der japanischen Schule nichts mit seiner Ausbildung zu tun, räumt er ein. „Aber Goethe war auch Jurist und hat trotzdem so viel für Literatur und Wissenschaft geleistet. Das tröstet mich ein bißchen.“ 1942 geboren und 16jährig zum Katholizismus übergetreten, studierte er an der Sophia-Universität, einer von deutschen Jesuiten gegründeten privaten Hochschule in Tokio, alte Geschichte, insbesondere alte Kirchengeschichte. Von seinem verehrungswürdigen deutschen Professor lernte er Deutsch und Latein. Als Stipendiat des bayerischen Kultusministeriums kam Osawa vor über 20 Jahren nach Würzburg. Weil er sich weiterhin mit deutscher Geschichte und Kultur beschäftigen wollte, kehrte er nicht nach Japan zurück, denn dort könne man Deutschland eben nicht „direkt erleben“.

Seit 1978 wohnt Osawa in Frankfurt. „Als Geschichtsort gibt es kaum eine interessantere Stadt in Deutschland“, glaubt er, und es ist für ihn als Historiker beinahe selbstverständlich, daß er sich mit der Geschichte seines Wohnorts wissenschaftlich auseinandersetzt. Zum 1200jährigen Stadtjubiläum 1994 legte er zusammen mit einem Kollegen das japanische Geschichtsbuch über Frankfurt vor. Besonders beschäftigt ihn aber die Geschichte der Juden in Deutschland, die er am Beispiel Frankfurts aufzuarbeiten versucht. Seine beiden früheren Bücher „Juden und Deutschland“ (1991) und „Hitler und die Juden“ (1995, Auflage „nur“ 32.000 Exemplare) verfaßte er nach dem Mauerfall als eher allgemeine „kritische Betrachtungen der deutschen Geschichte“.

Sein neuestes Werk über die „Sozialgeschichte des jüdischen Ghettos“ dagegen wird sich ganz auf Frankfurt, dessen jüdische Geschichte und das Ghetto in der Judengasse beziehen. „In Japan ist 'Ghetto' ein Schlagwort - aber was es wirklich heißt, weiß keiner“, sagt Osawa. Er hat sich zum Ziel gesetzt, mit klischeehaften Vorstellungen aufzuräumen. Weil er dem breiten Publikum einen tieferen Einblick in die deutsche Geschichte vermitteln will, schreibt er seine Bücher zwar auf der Basis der Wissenschaft, aber in möglichst einfachen Formulierungen.

Die bloße Weitergabe historischen Wissens, gesteht Osawa allerdings, werde ihm auf die Dauer etwas zu langweilig. Er träumt davon, einmal jenseits aller Fakten seine Phantasie spielen zu lassen. Die alte Akte über den Frankfurter Prozeß gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt möchte er als Grundlage für einen historischen Roman benutzen, in dem er „auf die Innenseite der Menschen eingehen“ möchte. Einst inspirierte das Schicksal der 1772 hingerichteten Kindsmörderin den jungen Juristen Goethe zu seinem „Urfaust“. Im Goethejahr 1999 möchte Osawa seinen Gretchenroman vorlegen. Das Interesse seiner japanischen Landsleute, die immerhin den größten Anteil der Besucher im Frankfurter Goethehaus stellen, dürfte ihm gewiß sein.

Womit erklärt er den Erfolg seiner Bücher in Japan? Das Interesse an Deutschland, seiner Kultur und Wissenschaft sei in Japan so außergewöhnlich nicht, meint er. Für Japaner sei Deutschland sogar das interessanteste Land in Europa. Daß seine „Geschichte der Stadt Frankfurt am Main“ dem japanischen Kaiser Akihito anläßlich von dessen Besuch in Frankfurt im Oktober 1994 als offizielles Gastgeschenk der Stadt überreicht wurde, macht Osawa schon ein bißchen stolz. Aber wenn die Schüler der Japanischen Internationalen Schule ihn bitten, er möge sie auf einer Klassenfahrt begleiten, das freut ihn wirklich. Der vielbeschäftigte Geschäftsführer und Buchautor läßt dann alles stehen und liegen, um seinen Schülern die deutsche Geschichte vor Ort zu erklären.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 28 vom 23.07.1996

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