Ein reicher Mann, der nie nein sagen konnte

Frankfurts Mäzen Karl Kotzenberg starb vor 50 Jahren / „Mein Leben gleicht der Sonne“

Konsul Karl Kotzenberg, einst als der erste Bürger der Stadt Frankfurt am Main gepriesen, hat sich selbst überlebt. Verarmt und vergessen starb der Frankfurter Mäzen vor 50 Jahren, am 20. Oktober 1940. Man hätte ihn ins Armengrab legen müssen, hätte er sich nicht zu Lebzeiten ein Grabmonument auf dem Hauptfriedhof errichten lassen. Ein kolossaler Grabwächter thront mächtig über der letzten Ruhestätte Kotzenbergs und blickt steinern auf die eigens für ihn angelegte Friedhofsallee. Der große Mäzen hat sich damit selbst ein Denkmal gesetzt.

Karl Kotzenberg, am 1. April 1866 in der noch Freien Stadt Frankfurt geboren, förderte hier so viele kulturelle und soziale Bestrebungen, daß man sie gar nicht alle aufzählen kann. „Wenn er nicht hilft - wer sonst?“ fragten die Frankfurter. Er gab seine Gunst und sein Geld zahlreichen Museen, Stiftungen, Vereinen und Künstlern. Er unterstützte die Gründung der Frankfurter Universität. Er wirkte in der Administration des Städelschen Kunstinstituts, im Vorstand des Physikalischen Vereins und im Verwaltungsausschuß des Freien Deutschen Hochstifts. Dem Goethehaus machte er mit dem Nachlaß von Marianne von Willemer, Goethes Frankfurter Freundin, ein wahrhaft großes Geschenk. Als der Ausschuß für Volksvorlesungen nach einem festen Domizil suchte, ermöglichte er durch seine finanzielle Unterstützung den Kauf des Hauses vom Kaufmännischen Verein, aus dem das heute noch bestehende Volksbildungsheim am Eschenheimer Turm wurde.

Kotzenberg engagierte sich für die Berufung des Völkerkundlers Leo Frobenius von München nach Frankfurt, wodurch dessen Institut für Kulturmorphologie, das spätere Frobenius-Institut, weiterbestehen konnte. Der Konsul gründete die Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft. Er war ein Fürsprecher des Sports und förderte den Bau des Frankfurter Waldstadions.

Besonders am Herzen lag Kotzenberg das Flugwesen. Als Wirtschaftsexperte wirkte er in zahlreichen Kommissionen für den Luftverkehr, etwa in der von ihm gegründeten Frankfurter Luftverkehrsgesellschaft und in der Deutschen Lufthansa. Außerdem war er einer der Pioniere der deutschen Segelflugbewegung. Er war Mitbegründer und Präsident der Rhön-Rossitten-Gesellschaft, die die Rhönsegelflüge an der Wasserkuppe veranstaltete und unterstützte. Für seine Verdienste um die Fliegerei wurde Karl Kotzenberg von der Technischen Hochschule Darmstadt mit dem Doktortitel ehrenhalber ausgezeichnet.

Wie Kotzenberg schenkte, das erzählt der Frankfurter Altstadtvater Fried Lübbecke. In der Inflationszeit sollte das Altstadthaus zum Fürsteneck an einen saarländischen Metzger verkauft werden, der es zu einer „Fleischzentrale“ umbauen wollte. Lübbecke, der Leiter des Bundes tätiger Altstadtfreunde, wollte die Zerstörung des historischen Gebäudes verhindern. Er ging zu Karl Kotzenberg und bat ihn, seinen Namen an die Spitze einer Sammelliste zu setzen. Der Konsul überreichte ihm statt dessen einen Blankoscheck und sagte: „Ich - Karl Kotzenberg - schenke dem Altstadtbund das Fürsteneck. Immer habe ich schon gedacht: Wenn der Lübbecke mal kommt - und er muß ja kommen -, dann werde ich ihm mal zeigen, was Kotzenberg ist. Nun werden Sie's wohl gemerkt haben.“ Das Fürsteneck ging mit der Frankfurter Altstadt bei den Luftangriffen im März 1944 unter. Fried Lübbecke hat seinen Gönner Karl Kotzenberg einmal gefragt, warum er nie nein sagen könne, warum er auch manchem Unwürdigen helfe. Lächelnd antwortete der Wohltäter: „Mein Leben gleicht der Sonne. Sie scheint über Gerechte und Ungerechte, und sie wird noch scheinen, selbst wenn sie das Auge nicht mehr sieht.“

Vielleicht wollte Karl Kotzenberg ein modernes Mäzenatentum, ein neues Patriziat begründen, dessen Basis wiederum die Kaufmannschaft bilden sollte. Der Vater Gustav Kotzenberg stammte aus Westfalen und trat 1853 als Reisender in die Seidenhandlung Gebrüder Passavant am Roßmarkt in Frankfurt ein. Er ebnete dem Sohn Karl den Weg. Nach einer gründlichen kaufmännischen Ausbildung in St. Etienne, Krefeld, Madrid und New York begann der Junior 1889 wie einst sein Vater als Reisender bei der Firma Gebrüder Passavant. Er wurde 1893 deren Teilhaber.

Karl Kotzenberg war ein äußerst talentierter Kaufmann, sprachbegabt und weitgereist. Er brachte es zu Ansehen und Wohlstand. Nach dem Ersten Weltkrieg, als sich die Wirtschaftslage in Deutschland durch den Versailler Vertrag völlig verändert hatte, wandte sich der Kaufmann Kotzenberg zunehmend der Handelspolitik zu. Schon während des Krieges hatte er die deutsche Regierung in Wirtschaftsfragen beraten. Nun wurde er ehrenamtlicher Mitarbeiter im Reichswirtschaftsrat. Als deutscher Delegierter reiste er zu den Wirtschaftsverhandlungen nach Paris und Genua, zu den Handelsvertragsverhandlungen nach Rom und Paris sowie zur Weltwirtschaftskonferenz 1927 nach Genf. Sein Anliegen war der Wiederaufbau des deutschen Außenhandels. So gründete er etwa die Türkisch-Deutsche Handelskammer. In Frankfurt war Kotzenberg als Handelsrichter und Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer tätig. Als Mitglied der Demokratischen Partei war er von 1919 bis 1928 Stadtverordneter.

Gegen Ende der zwanziger Jahre geriet Karl Kotzenberg, der bis dahin so vielen Bedürftigen geholfen hatte, selbst in Not. Seine Import- und Exportfirma M. Andreae & Co., die er 1925 übernommen hatte, ging bankrott. Der Konsul war in den Konkurs der Allgemeinen Spar- und Kreditbank verwickelt. Sein Vermögen war dahin. Es hieß, er habe sich arm geschenkt. Es wurde still um Kotzenberg, zumal er als Demokrat nach 1933 den nationalsozialistischen Machthabern mißliebig war.

Am meisten jedoch schmerzte den alternden Konsul der Verlust seines Hauses an der Senckenberganlage. Von 1902 bis 1905 hatte er sich und seiner Ehefrau Anna, geb. Andreae, die Villa ganz nach seinen Vorstellungen von dem Architekten Ludwig Neher erbauen lassen. Zum Vorbild für sein Heim wählte der Wagnerianer Kotzenberg die Wartburg. Er begriff das Haus als Gesamtkunstwerk, für dessen Ausgestaltung er viele Künstler und Kunsthandwerker beschäftigte. Der Prunkbau im historisierenden Stil der Jahrhundertwende, respektlos „Kotzenburg“ genannt, entsprach schon bald nicht mehr dem Zeitgeschmack und galt - so Hans Reimann 1930 - als „das scheußlichste Haus von Frankfurt“.

Als das Anwesen 1938 in den Besitz der Stadt überging, tröstete es Kotzenberg wenigstens, daß man es in unverändertem Zustand erhalten und als „Gästehaus der Universität" nutzen wollte. Nach dem Tod des ehemaligen Hausherrn wurde das Gebäude jedoch bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört. An seiner Stelle steht heute das Institut für Sozialforschung, dessen ersten Lehrstuhl für Soziologie ehemals kein anderer als Karl Kotzenberg stiftete.

Sabine Hock

FAZ, 11.10.1990, S. 42

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