Gedichte und Geschichten um die Villa Oehler

Einstiges bauliches Kleinod auf dem Mühlberg/ Nach Luftangriff zerstört

„Villa Oehler ,Auf dem Mühlberg’ wegzugshalber sehr preiswert zu verkaufen!“ verkündet es in gigantischen Lettern eine halbseitige Anzeige im 5. Morgenblatt der Frankfurter Zeitung vom 21. April 1912.

Der „imposante ... Neubau“ und der „ausgedehnte, vier Hektar große alte Park in freier, gesundester Lage mit prachtvoller Aussicht“ werden darin üppig gelobt. Falls dies immer noch keinen Käufer anziehen sollte, so fügte der geschäftstüchtige „Sensal“ - wie der Makler sich damals noch nannte - hinzu: „Die hervorragende Lage und günstige Form ermöglicht jederzeit eine gewinnbringende Ausnützung als Bauterrain.“

Die drei dem Inserat beigefügten Fotos zeigen in der Tat einen beeindruckenden, schloßartigen Bau, eine Gründerzeitvilla, die eine wechselvolle und auch geheimnisumwitterte Geschichte aufzuweisen hat.

Einst erstreckte sich am Osthang des Mühlbergs, auf dem Terrain der Villa Oehler, das Landgut der Familie Engelbach-Bansa mit weitläufigen Obst- und Weingärten. Obwohl Cleophea Bansa (1793-1875), die brillant im Stile der Biedermeierzeit schriftstellernde Tochter des Hauses, sich „kaum ein lieblicheres Fleckchen Erde“ als den Mühlberg vorstellen konnte, muß es wohl handfeste Gründe gegeben haben, weshalb sich die Familie 1871 von ihrem Besitz trennte. An die ehemaligen Besitzer erinnert heute nur noch der Freundschaftstempel am Parkrand, nur einen Katzensprung vom Willemerhäuschen entfernt. An dieser Stelle soll sich Sophia Bansa-Streiber (1762-1842), die in der Frankfurter Gesellschaft wegen ihrer schöngeistigen Natur hochgeschätzte Freundin der Frau Aja, mit Goethe getroffen haben, der gerade ihre „Nachbarin“, seine „Suleika“ Marianne von Willemer, besuchte.

Von den Bansas erwarb nun der Kaufmann Karl Oehler (1836-1909), der zusammen mit seinem Bruder eine Anilinfarbenfabrik in Offenbach leitete, das Anwesen. Oehler ließ das alte Bansasche Landhaus abreißen und oberhalb davon durch seinen Vetter, den Pariser Architekten Fritz Jaeger, die Villa errichten, die als „Mühlbergschlößchen“ populär werden sollte.

Das Gebäude wurde von einer Gartenterrasse mit radial zur Hausmitte angelegten Blumenbeeten umgeben. Die Obst- und Weingärten der Bansas ließ Oehler in einen wunderschönen Landschaftspark mit ehrwürdigen Baumgruppen umwandeln.

Als dann, mitten in der Verwirklichung dieses Traumes einer Villa, im Herbst 1877 Oehlers junge Frau Karoline, geborene Sandherr, nach kaum einjähriger Ehe im Kindbett starb, verlor der Bauherr das Interesse an der Stätte, auf die er einmal die Hoffnungen künftigen Familienglücks gerichtet hatte. Das Innere des Neubaus blieb unvollendet. Oehler zog mit dem kleinen Sohn nach Paris, wo er sich seinen künstlerischen Neigungen widmete.

Obwohl er keinerlei beruflichen Verpflichtungen mehr in der Offenbacher Fabrik nachzugehen hatte, weil sein Bruder ihn nach Streitigkeiten über die Betriebsführung 1878 ausbezahlt hatte, sagte Oehler sich doch nicht ganz vom Mühlberg los. Er schlug nämlich in einem der Nebengebäude des Anwesens sein Sommerquartier auf. Von seinem Leben dort zeugen noch die vier Hundegrabsteine aus den Jahren 1890 bis 1900, die mit ihren Inschriften wie „Hier liegt unser guter treuer Pascha, gestorben am 10. Januar 1890“ manchen Spaziergänger von heute verwundern.

Ist es etwa der Tierfreund Oehler, den ein Foto der Villa in „Reclams Universum“ vom 9. Mai 1912, von Hunden umgeben, im Park zeigt?

Freilich müßte es sich dann um ein älteres Bild handeln, denn der Hausherr starb am 9. August 1909.

Und der „Sensal“ Julius M. Bier hatte ja auch schon seine Anzeige in der Frankfurter Zeitung aufgegeben.

Die von Bier angepriesene und in „Reclams Universum“ befürchtete Parzellierung des Geländes um den „parkumrauschten Bau“ (Originalton Reclam) fand jedoch nicht statt - trotz des wahren „Baubooms“ auf dem Mühlberg seit der Jahrhundertwende. Aus dem bei Reclam beschworenen „Dornröschenschloß“, von dem den Kindern damals sagenhafte Geschichten erzählt wurden, wurde im Ersten Weltkrieg zunächst ein Offizierslazarett, geführt von einer Majorswitwe. Als sich das nicht mehr rentierte, stand das Haus wieder zum Verkauf und wechselte mehrfach den Besitzer, bis Mister K. aus Amerika seit 1923 fast ein Jahrzehnt lang als Anwohner der Villa „Auf dem Mühlberg 30“ im Frankfurter Adreßbuch erscheint.

Angesichts der politischen Unruhe kehrte er zu Beginn der dreißiger Jahre nach Übersee zurück - und vermietete das Gelände 1933/34 vorübergehend an die SA. Die einquartierte SA-Standarte 97 wurde bald nach dem „Röhm-Putsch“ aufgelöst, so daß dieses dunkle Kapitel in der Geschichte des Anwesens nicht lange währte.

Endlich zog, nach einem Umbau 1938, die Frauenklinik des Bethanien-krankenhauses in die Villa, so daß das Mühlbergkrankenhaus im vergangenen Jahr sein fünfzigjähriges Bestehen feiern konnte. Allerdings war die Klinik nur knapp sechs Jahre in der Villa Oehler untergebracht. Am 29. Januar 1944 wurde diese nämlich bei einem Luftangriff total zerstört. Der Keller trug jedoch wie durch ein Wunder die Trümmer des ehemals herrschaftlichen Hauses - und niemand der 102 Menschen im Luftschutzraum kam zu Schaden.

Der 1950 eröffnete Neubau des Krankenhauses erinnert wenig an das alte Mühlbergschlößchen. Der Park läßt lediglich erahnen, wie großzügig dieses Anwesen einmal angelegt war. An der westlichen Ecke des Parks zur Straße „Auf dem Mühlberg“ hin ist noch der Grundriß der Pergola zu erkennen, an deren inzwischen niedergelegten korinthischen Säulen sich der wilde Wein als letztes Symbol der Wingerte auf dem Mühlberg emporrankte.

Von dort aus haben einst die Bansas und dann die Oehlers den herrlichen Blick über die Mainwiesen auf die Gerbermühle und die Berger Höhe genossen, der uns heute „verbaut“ ist.

Sabine Hock

In: Senioren-Zeitschrift 3/1989, S. 39f.

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