Ein geborener Vater

Eine Ausstellung zum 300. Geburtstag von Johann Caspar Goethe

- Langfassung -

Johann Wolfgang Goethe hatte wenig schmeichelhafte Erinnerungen an seinen Vater. Ein ganz neues Bild von Johann Caspar Goethe zeigt nun eine Gedenkausstellung zu dessen 300. Geburtstag im Frankfurter Goethehaus. Sie präsentiert ihn als liebevollen Ehemann und Familienvater, als polyglotten Bildungsbürger und gründlichen Juristen.

Der Sohn hat den Ruf des Vaters ruiniert. In seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ gibt Goethe ein Bild seines Vaters, des Kaiserlichen Rats Johann Caspar Goethe, das alles andere als schmeichelhaft ist. Er erwähnt den Vater zwar wesentlich häufiger als die allseits beliebte Mutter, doch er schlägt dabei einen Ton an, der ahnen lässt, dass auch nach Jahrzehnten noch ein Generationenkonflikt mit dem Vater in ihm schwelte. Nahezu boshaft ist es, wie Goethe wichtige Fakten, die für den Vater sprechen würden, verschweigt oder anderen Personen zuordnet. So weist er das Geschenk des berühmten Puppentheaters, seines liebsten Spielzeugs, das seine Leidenschaft für das Theater weckte, seiner Großmutter als deren Gabe an ihrem letzten Weihnachtsfest 1753 zu. An den Quellen aber lässt sich belegen, dass es ihm der Vater im Sommer 1754, gut drei Monate nach dem Tod der Großmutter, schenkte. Selbst wenn man zu Goethes Gunsten in Rechnung stellt, dass der inzwischen über 60-Jährige längst nicht mehr alle Einzelheiten aus seiner Kinderzeit präsent haben konnte und auch er nicht vor dem verklärenden Blick der Erinnerung gefeit war, dann bleibt doch das negative Image haften, das er seinem Vater verpasst hat: pedantisch, knickerig, unmusisch, humorlos. So wird Johann Caspar Goethe seitdem gesehen, und selbst Thomas Mann fragte sich daher, wie dieser „berufsuntätige, sammeleifrige Eigenbrötler und lastende Pedant“ zum Vater des größten deutschen Dichters werden konnte.

Eleganter Jurist und liebevoller Familienvater

Mit einer Gedenkausstellung zum 300. Geburtstag von Johann Caspar Goethe will nun das Freie Deutsche Hochstift im Frankfurter Goethehaus endlich das negative Bild von Goethes Vater korrigieren. Die Ausstellung der beiden Kuratoren Doris Hopp und Dr. Joachim Seng, die alte und neue Quellen zur Biographie des Herrn Rat zusammengetragen und teilweise neu bewertet haben, stellt Johann Caspar Goethe in sieben Facetten seiner Persönlichkeit vor. Sie präsentiert ihn als selbstbewussten, auf seine Unabhängigkeit bedachten Bürger der Reichsstadt Frankfurt sowie als Doktor beider Rechte, einen „gründlichen, ja eleganten Juristen“ (so Johann Wolfgang Goethe in „Dichtung und Wahrheit“). Auch war er ein umsichtiger Verwalter des ererbten Vermögens, ein liebevoller Ehemann und Familienvater sowie ein verantwortungsbewusster Pädagoge, der nicht nur seinen Sohn in jeder Hinsicht förderte, sondern auch – darin seiner Zeit voraus – seiner Tochter eine umfassende Bildung ermöglichte. Zudem zeigt sich Johann Caspar Goethe als Freund und Förderer der Musen, der mit seiner Familie musizierte, eine bemerkenswerte Bibliothek aufbaute und eine eigene Kunstsammlung zusammentrug, wie als polyglotter Bildungsbürger mit einer „Vorliebe für die italiänische Sprache und für alles was sich auf jenes Land bezieht“, wie der Sohn – diesmal nicht abfällig – in „Dichtung und Wahrheit“ bemerkte. Am 5. Dezember wird die Ausstellung über Johann Caspar Goethe eröffnet, im Goethehaus und damit am historisch passendsten Ort, da das Haus im Großen Hirschgraben vollkommen das Werk von Goethes Vater ist.

Ein „später“ Student

Der eigentliche Gedenktag liegt allerdings schon gut vier Monate zurück. Im Sommer vor 300 Jahren wurde Johann Caspar Goethe in Frankfurt geboren. Sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt. Nur seine Taufe am 31. Juli 1710 ist im Kirchenbuch dokumentiert. Sein Vater war der aus Thüringen stammende Schneidermeister Friedrich Georg Göthé, der – nach vier Jahren in Frankreich – seit 1686 zum „Dior von Frankfurt“ (Doris Hopp) aufgestiegen und schließlich durch die Heirat mit einer verwitweten Schneiderstochter 1705 in den Besitz des ansehnlichen Gasthauses zum Weidenhof auf der Zeil gekommen war. Der jüngste Sohn Johann Caspar sollte es noch weiter bringen und wurde deshalb im Alter von knapp 15 Jahren zur weiteren schulischen Ausbildung auf das Casimirianum in Coburg gegeben. Trotz dem Tod des Vaters im Februar 1730 musste sich der Junge, wohl dank des Familienvermögens, offenbar nicht sonderlich mit der Berufsausbildung beeilen. Als damals relativ „später“ Student ging er im Herbst 1730 zum Jurastudium, zunächst nach Gießen, bald nach Leipzig. Seit 1735 will er sich nach eigener Aussage jahrelang an verschiedenen Institutionen des Reichs, u. a. am Reichskammergericht in Wetzlar, aufgehalten haben, um die Rechtspraxis zu studieren. Erst als sein früherer juristischer Privatlehrer aus Frankfurt, der seinerzeit aufstrebende „Starjurist“ Heinrich Christian Senckenberg, eine Professur in Gießen erhielt, reichte Goethe schnell seine Dissertation bei ihm ein und wurde am 30. Dezember 1738 zum Doktor beider Rechte promoviert.

Schon für Johann Caspar Goethe war Italien das Land seiner Träume

Vor der Entscheidung für eine berufliche Laufbahn konnte Johann Caspar Goethe es sich leisten, im Herbst 1739 zu einer längeren Bildungsreise durch Europa aufzubrechen. Nach kurzen Visiten zur juristischen Weiterbildung in Regensburg und Wien fuhr er Ende 1739 nach Italien weiter, wo er sich jeweils mehrere Wochen in Venedig, Neapel, Rom und Mailand aufhielt. Dann reiste er über Turin nach Genua, um sich im August 1740 nach Marseille einzuschiffen. Von dort aus unternahm er eine viermonatige Tour durch Frankreich, und schließlich schrieb er sich im Januar 1741 noch einmal an der Universität in Straßburg ein. Etwa im Sommer 1741 war Goethe wieder zu Hause in Frankfurt. Doch Italien blieb das Land seiner Träume, und vor allem Neapel hat er geliebt. „Wer Neapel nicht gesehen habe, habe nicht gelebt“, sagte er einmal dem Sohn, der nicht zuletzt durch den Vater zu seiner eigenen Italienreise inspiriert wurde. In späteren Jahren verwandte Johann Caspar Goethe viel Zeit und Mühe darauf, einen Bericht „Viaggio per l’Italia“ über seine achtmonatige Italienreise zu schreiben, als erster deutscher Tourist in der Sprache seines Gastlandes.

Blitzstart in die Berufslosigkeit

Zu Beginn des Jahres 1742 bewarb sich Johann Caspar Goethe um den Titel des Wirklichen Kaiserlichen Rats, der ihm auch gewährt wurde – unglücklicherweise von dem nur drei Jahre regierenden Wittelsbacher Kaiser Karl VII. Damit hatte Goethe – ob gewollt oder ungewollt – seine berufliche Laufbahn beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte, zumal ihm aufgrund des kaiserlichen Titels künftig die Tätigkeit als Anwalt ebenso wie ein städtisches Amt verschlossen waren. Ein Platz im Rat der Stadt war ihm ohnehin versagt, da dort schon sein Halbbruder, der Zinngießermeister Hermann Jacob Goethe, saß und nahe Verwandtschaften unter den Mitgliedern des Rats verboten waren. Aufgrund des ererbten Vermögens konnte Goethe es sich dennoch leisten, einen eigenen Hausstand zu gründen. Im Alter von 38 Jahren heiratete er am 20. August 1748 Catharina Elisabeth, die 17-jährige Tochter des Stadtschultheißen Dr. Johann Wolfgang Textor. In den kommenden elf Jahren wurden dem Ehepaar sieben Kinder geboren, von denen nur der 1749 geborene Sohn Johann Wolfgang und die gut ein Jahr jüngere Tochter Cornelia das Erwachsenenalter erreichten. Als Heim für die Familie schuf Johann Caspar Goethe das Haus zu den drei Leyern im Großen Hirschgraben, ursprünglich zwei alte Fachwerkhäuser, die er nach dem Tod seiner Mutter 1754 ganz nach seinen Vorstellungen großzügig um- und neugestaltete.

Außergewöhnlich begabt für die Begabtenförderung

Besondere Aufmerksamkeit widmete Johann Caspar Goethe der Erziehung seiner beiden Kinder. Er selbst verdankte seinen gesellschaftlichen Aufstieg seiner Bildung. Sein Sohn – so schrieb dieser in „Dichtung und Wahrheit“ – sollte „denselben Weg gehen, aber bequemer und weiter“. Früh hatte der Vater Johann Wolfgangs außergewöhnliche Begabung erkannt, die er bestmöglich fördern wollte. Allerdings misstraute er dem Unterricht an den öffentlichen Schulen, und außer Haus geben wollte er – vielleicht aufgrund seiner eigenen Erfahrungen – den Jungen auch nicht. Also organisierte Vater Goethe für Wolfgang und Cornelia umfassenden und gründlichen Privatunterricht. Der Sohn glaubte sich zu erinnern, dass der Vater aufgrund seiner „lehrhafte[n] Natur“ die Lektionen meist selbst übernommen habe, und warf ihm vor, dass er bei „Leuten vom Metier“ mehr hätte lernen können. Tatsächlich weist das vom Vater geführte Haushaltsbuch („Liber domesticus“) aber genau 14 Fachlehrer aus, die Johann Caspar für seine Kinder engagiert hat, meist die besten, die er in Frankfurt kriegen konnte. Nur die Tanzstunden hat er Wolfgang und Cornelia immer selbst gegeben.

Geheimer Sozius seines Sohnes

Als Johann Wolfgang Goethe vom Studium in Straßburg im August 1771 ins Elternhaus zurückkehrte, hatte er allerdings nicht den vom Vater erwünschten Titel des Doktors beider Rechte erworben, weil seine Dissertation wegen politisch brisanter Thesen abgelehnt worden war. Doch auch als Lizentiat konnte er nun eine eigene Kanzlei eröffnen, und der Herr Rat wurde der geheime Sozius seines Sohnes. Während Wolfgang, damals in einer der dichterisch produktivsten Phasen seines Lebens, die Juristerei nur am Rande interessierte, las der Vater die Akten mit „vielem Vergnügen“ und erledigte alle lästigen Vorarbeiten zu den Prozessen. Der Sohn musste dann nur noch schnell die Schriftsätze verfertigen. Als der Dichter im Herbst 1775 dem jungen Herzog nach Weimar folgen wollte, war der Vater strikt dagegen. Er nötigte den Sohn zu einer Italienreise, die dieser schon in Heidelberg abbrach, um doch nach Weimar zu gehen. (Erst ein gutes Jahrzehnt später, 1786, „floh“ Johann Wolfgang Goethe tatsächlich nach Italien, wo er auch auf den Spuren des inzwischen verstorbenen Vaters wandelte.) Bei Wolfgangs Wechsel nach Weimar fürchtete der Vater, dass der Sohn in die zwielichtige Rolle eines Fürstengünstlings geraten könnte, und so zeigte er sich taub gegen dessen Bitten um Unterstützung, wenn die Geldgeschenke des Herzogs einmal nicht reichten. Möglicherweise trug die konsequente Haltung des Vaters zur baldigen Klärung der Situation in Weimar bei. Im Juni 1776 erhielt Johann Wolfgang Goethe eine feste Anstellung als Geheimer Legationsrat, was der Vater stolz und zufrieden registrierte.

Das Grab auf dem Petersfriedhof

Im folgenden Winter erkrankte Johann Caspar Goethe ernstlich, wovon er sich noch nicht recht erholt hatte, als die Nachricht vom Tod der in Emmendingen verheirateten Tochter, seines geliebten „Cornelgens“, eintraf. Kurz nach einem dramatischen Wiedersehen mit dem Sohn bei dessen Besuch aus Weimar 1779 erlitt Johann Caspar Goethe einen ersten Schlaganfall. Nach langem Siechtum starb er am 25. Mai 1782. Er wurde auf dem Petersfriedhof beigesetzt, wo sein Grab bis heute erhalten ist. Bis vor einigen Jahren trug es nicht seinen Namen, sondern nur die Inschrift: „Hier ruht Goethes Vater“. Darin sahen die Zeitgenossen keine Reduktion, sondern das höchste Lob seiner Person. So meinte Goethes Altersfreund Carl Friedrich Zelter, voller „Ehrfurcht“ vor „Haltung und Methode“ der Erziehung durch Johann Caspar Goethe, einmal zu dem Dichter: „Ihr Vater scheint mir zum Vater geboren gewesen zu sein, ja zum Vater eines solchen Sohnes.“

Sabine Hock

Die Ausstellung „Johann Caspar Goethe zum 300. Geburtstag – Vater, Jurist, Sammler, Frankfurter Bürger“ ist vom 5. Dezember 2010 bis zum 28. Februar 2011 im Frankfurter Goethehaus / Freien Deutschen Hochstift, Großer Hirschgraben 23-25, 60311 Frankfurt am Main, zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog zum Preis von 19,80 Euro.

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