Brechtstadt Frankfurt

Zum 50. Todestag des Dramatikers in diesem Jahr

- Langfassung -

Der Name Brecht ist in Frankfurt eng verbunden mit dem von Harry Buckwitz. Der ehemalige Generalintendant der Städtischen Bühnen hat mit seinen Frankfurter Brecht-Inszenierungen seit 1952 dem in der Nachkriegszeit politisch umstrittenen Autor den Weg auf die westdeutschen Theaterbühnen geebnet.

Als zu Brechts 70. Geburtstag am 10. Februar 1968 die Büste des Dichters im Chagallsaal der Städtischen Bühnen enthüllt wurde, verkündete Oberbürgermeister Willi Brundert stolz: „Frankfurt, die Goethestadt, ist zur Brechtstadt geworden!“ Bertolt Brecht selbst hatte dazu allerdings wenig beigetragen. Das Verdienst gebührte vielmehr Harry Buckwitz, dem damals scheidenden Generalintendanten der Städtischen Bühnen, der seit 1952 insgesamt 15 wichtige Brecht-Inszenierungen in Frankfurt herausgebracht hatte. Damit trug er wesentlich dazu bei, den politisch umstrittenen Autor auf der westdeutschen Bühne der Nachkriegszeit durchzusetzen.

Als Bertolt Brecht vor 50 Jahren starb, war er aus politischen Gründen in der Bundesrepublik wenig anerkannt. Nach seiner Rückkehr aus der Emigration 1948 hatte er sich entschlossen, in Ostberlin zu leben und zu arbeiten. Spätestens seit seiner Auszeichnung mit dem Nationalpreis 1. Klasse durch die DDR im Jahr 1951 wurde der Dramatiker von westdeutschen Bühnen boykottiert. In Frankfurt setzte Generalintendant Harry Buckwitz dennoch Brecht auf den Spielplan der Städtischen Bühnen. Mitten im Kalten Krieg kam es deshalb wiederholt zu Theaterskandalen, wie sie der Autor schon früher anlässlich der Aufführung seiner Stücke in der Mainstadt erleben musste.

Bereits am 23. April 1923 stellte sich Bertolt Brecht erstmals dem Frankfurter Publikum vor, mit seinem frisch mit dem Kleistpreis prämierten Drama „Trommeln in der Nacht“, das der Intendant Richard Weichert am Schaupielhaus inszenierte. Weichert bemühte sich künftig intensiv um den jungen Dichter, brachte u. a. am 11. Dezember 1926 die Uraufführung von dessen Einakter „Die Hochzeit“. Das Stück provozierte prompt einen solchen Skandal, dass es abgesetzt werden musste. Brecht grollte. Als das Schauspielhaus 1927 bei „seinen“ Autoren wegen eines Beitrags für eine Festschrift anfragte, antwortete er schroff: „Ich verstehe Sie gar nicht! Selbstverständlich gehöre ich nicht zu dem ‚Kreis Ihrer Autoren‘. Das sagt Ihnen ein flüchtiger Blick auf Ihr Repertoire." Im folgenden Jahr (20.10.1928) kam seine „Dreigroschenoper“ erfolgreich auch in Frankfurt heraus – allerdings an Arthur Hellmers Neuem Theater, mit Theo Lingen als Mackie Messer und Brechts geschiedener Frau Marianne Zoff als Lucy.

Bei den Städtischen Bühnen stand Brecht fast genau zwei Jahre später wieder auf dem Spielplan: Zum Abschluss der Festwoche zur 50-Jahr-Feier des Opernhauses wurde seine Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ mit der Musik von Kurt Weill gegeben. Nach der Premiere am 16. Oktober 1930 hetzte die Presse gegen das „trostlose Machwerk“: „So endet das Opernhausjubiläum glücklich in der Kloake“, polemisierten die Frankfurter Nachrichten. Daraufhin bliesen die Nationalsozialisten zur Attacke. Während der zweiten Aufführung der Brechtoper am 19. Oktober 1930, mitten im zweiten Akt, stürmten Dutzende von Randalierern unter der Parole „Deutschland erwache!“ das Opernhaus, unterbrachen mit Gebrüll und Pfiffen die Vorstellung, warfen Stinkbomben und Feuerwerkskörper ins Publikum. Nach einer „kleinen Panik“, in deren Verlauf mehrere Zuschauer flüchteten, beendete ein Polizeitrupp die Ausschreitungen. Schließlich wurde die Vorstellung bei halbbeleuchtetem Zuschauerraum fortgesetzt. Doch der Skandal hatte noch ein Nachspiel im Stadtparlament, das gar in einem Misstrauensantrag der NSDAP gegen den jüdischen Kulturdezernenten Max Michel gipfelte.

Nach dem Ende der NS-Herrschaft schien es zunächst selbstverständlich geboten, dass Brecht als Verfemter und Verfolgter des „Dritten Reichs“ auch in Frankfurt auf die Bühne zurückkehrte. So wurde im Komödienhaus, einem Nachkriegsprovisorium der Städtischen Bühnen in einer Sachsenhäuser Turnhalle, am 22. April 1949 „Herr Puntila und sein Knecht“ aufgeführt, das Stück, mit dem sich ein gutes halbes Jahr später (12.11.1949) Brecht und sein Berliner Ensemble erstmals der Öffentlichkeit vorstellten. Nun, nach dem vermeintlichen Bekenntnis des Autors zum sozialistischen Regime „im anderen Deutschland“, wagte sich Frankfurt erst unter der Intendanz von Harry Buckwitz wieder an Brecht heran. Eine der ersten Premieren der Städtischen Bühnen im wiederaufgebauten „Großen Haus“, dem früheren Schauspielhaus am heutigen Willy-Brandt-Platz, war am 30. Januar 1952 Brechts Oper „Das Verhör des Lukullus“ mit der Musik von Paul Dessau, eine „Anklage gegen den Krieg“ – und zwar in der Urfassung, die in der DDR nicht hatte gespielt werden dürfen. Somit war jene westdeutsche Erstaufführung der Oper in Frankfurt eigentlich deren „echte“ Uraufführung.

Schon wenige Monate später brachte Buckwitz eine weitere wichtige Brechtinszenierung in Frankfurt: die deutsche Erstaufführung des Parabelstücks „Der gute Mensch von Sezuan“ am 16. November 1952. Brecht selbst hatte die Proben unter der Regie von Buckwitz in den letzten Tagen begleitet. Anderthalb Wochen nach der erfolgreichen Premiere nutzte jedoch der CDU-Fraktionsvorsitzende Hans Wilhelmi seine Etatrede in der Stadtverordnetenversammlung zu heftigem Protest gegen die Aufführung. Es sei nicht zu vertreten, so wetterte er, dass „in unserer heutigen politischen Situation von einem zum Kommunismus sich bekennenden ‚Dichter‘ ein derartiges Propagandastück“ ohne jeden künstlerischen Belang gespielt werde, worin zudem „das Göttliche in schamloser Weise lächerlich gemacht“ werde. In die öffentliche Diskussion, die er damit entfachte, schaltete sich auch Ernst Beutler ein. Der Direktor des Freien Deutschen Hochstifts interpretierte das Stück als „ein eminent christliches Märchen“, mit dessen Inszenierung sich die Städtischen Bühnen auf die Tradition des Theaters als moralische Anstalt besonnen hätten: „So lange die Leitung unseres Theaters menschlich und künstlerisch so ernste Wege geht, wie in dieser Aufführung des Stückes von Brecht, sollten wir sie unterstützen. Sie hat es schwer genug.“

Nach dem blutig niedergeschlagenen Aufstand vom 17. Juni 1953, als verbreitet wurde, dass Brecht sich in einem Brief an Ulbricht mit den Gewaltmaßnahmen des DDR-Regimes solidarisch erklärt hätte, wurde der Autor an den Bühnen der Bundesrepublik gar nicht mehr gespielt. Buckwitz aber setzte in Frankfurt die westdeutsche Erstaufführung von „Der kaukasische Kreidekreis“ (28.4.1955) an. Wieder kam es zu Protesten, diesmal vonseiten der christlichen Arbeiterbewegung. Doch der Generalintendant ließ sich in seiner künstlerischen Überzeugung nicht beirren. Als Regisseur wandelte er Brechts programmatische Vorgaben für dessen „Episches Theater“ allerdings ab und entwickelte einen eigenen, den „Frankfurter Stil“. Die Schauspielerin Käthe Reichel, die als Gast des Berliner Ensembles auf Brechts Empfehlung die Rolle der Grusche übernahm, konnte damit offenbar nicht umgehen. Als angebliche Anwältin des Autors versuchte sie, sich gegen die Regie durchzusetzen. Brecht, der zu den Proben nach Frankfurt kam, wurde von Buckwitz um Hilfe gebeten. Er sah sich die nächste Probe wortlos an. Nach einer Stunde erhob er sich und sagte völlig gelassen zur Reichel: „Wenn du mir nicht endlich anfängst, Theater zu spielen, so trete ich dich in den Hintern.“ Die bestürzte Darstellerin fragte nach dem Verfremdungseffekt. Brecht antwortete: „Wir inszenieren keinen Verfremdungseffekt, sondern ein Theaterstück.“

Rund fünfzehn Monate nach diesem Frankfurtbesuch, am 14. August 1956, erlag Bertolt Brecht in Berlin einem Herzinfarkt. Für seinen Nachruf hatte er selbst den hintergründigen Satz vorgeschlagen: „Es gibt da auch nach meinem Tode noch gewisse Möglichkeiten.“ Die Möglichkeiten, die Brechts Werk bot, nutzte Harry Buckwitz auch in den kommenden Jahren. Er brachte in Frankfurt u. a. die Uraufführung von „Die Gesichte der Simone Machard“ (1957) und die Inszenierung von „Mutter Courage und ihre Kinder“ mit Therese Giehse in der Titelrolle (1958). Nach dem Berliner Mauerbau 1961 kam es noch einmal zu wütenden Protesten in der Stadtverordnetenversammlung gegen Buckwitzens Inszenierung von Brechts „Leben des Galilei“. Doch schon hatten die Frankfurter Brechtaufführungen eine Entwicklung zur Politisierung des Theaters angestoßen. Wenige Jahre später störte sich jedenfalls niemand mehr an Brecht auf der westdeutschen Bühne.

Sabine Hock

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